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International «Eine Politik der Versöhnung sieht anders aus»

Vor knapp einem halben Jahr einigten sich die sechs Grossmächte und der Iran im Atomstreit. Die Iraner feierten – und hofften auf bessere Zeiten. Was ist daraus geworden? Ein Gespräch mit Iran-Kenner Mohammed-Reza Djalili.

Das Atomabkommen mit dem Iran hat eine weitere Hürde genommen: Am vergangenen Dienstag beschloss die internationale Atombehörde IAEA, die Untersuchung gegen das iranische Atomprogramm einzustellen. Damit sind weitere Sanktionserleichterungen in greifbarer Nähe.

Gute Nachrichten für die iranische Bevölkerung, könnte man meinen. Doch haben die Iraner vom Abschluss des Abkommens im Juli wirklich profitiert? Iran-Kenner und Politologe Mohammed-Reza Djalili gibt Auskunft.

Mohammed-Reza Djalili

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Mohammed-Reza Djalili ist emeritierter Professor in Geschichte und internationaler Politik des Institut de Hautes Etudes Internationales et du Développement in Genf. Sein besonderes Interesse gilt der jüngeren Geschichte Irans und den Konflikten im Nahen Osten. Er ist iranisch-schweizerischer Doppelbürger

SRF News: Welche Auswirkungen hatte der Atom-Deal auf das tägliche Leben der Iraner?

Mohammed-Reza Djalili: Die Leute haben sich erst einmal über das Abkommen gefreut. Sie dachten, die Vereinbarung bedeute das Ende der aussenpolitischen Isolation. Doch dann mussten sie feststellen, dass der oberste Führer, Ali Khamenei, keineswegs plant, seine revolutionäre Politik aufzugeben. Die staatlichen Demonstrationen gegen die USA finden immer noch statt. Und noch immer warnt Khamenei vor den USA und deren angeblicher Absicht, sich in iranische Angelegenheiten einzumischen. Eine Politik der Versöhnung sieht anders aus. Gleichzeitig hat das Regime auch jede Hoffnung auf eine Liberalisierung im Inneren erstickt. Ein Ende der Repression ist nicht in Sicht, die Leute sind enttäuscht.

Hat das Abkommen nicht auch dem moderaten Präsidenten Hassan Rohani den Rücken gestärkt?

Rohani hat nach dem Abkommen an Popularität gewonnen, das stimmt. Doch Khamenei will nicht, dass Rohanis Popularität seine eigene in den Schatten stellt. Rohanis Spielraum ist zudem begrenzt: Die wichtigen Entscheidungen fällt der oberste Führer, nicht der Präsident. So sind beispielsweise das Militär und die Justiz direkt Khamenei unterstellt.

Studentinnen haben sich Tod Amerika auf die Hände geschrieben
Legende: Noch immer heisst es «Tod Amerika»: Studentinnen demonstrieren vor der ehemaligen US-Botschaft in Teheran (4.11.15). Reuters

Ist Rohani zu schwach, um sich durchzusetzen?

Ich denke, anfangs hatte Rohani durchaus den Willen, die Situation der Menschen zu verbessern. Aber er hat nicht den Mut, sich gegen den obersten Führer zu stellen. Wenn er mit Khameneis Entscheidungen nicht einverstanden ist, könnte er ja zurücktreten. Aber das macht er nicht. Wahrscheinlich fürchtet er, ihm könnte dasselbe Schicksal wie dem ehemaligen Premierminister und Präsidentschaftskandidaten Moussavi widerfahren: Dieser steht heute unter Hausarrest. Und dann darf man nicht vergessen, dass Rohani selbst ein Produkt des Systems ist: Er ist ein Reformer, kein Oppositioneller. Alle Präsidentschaftskandidaten müssen im Iran durch den Wächterrat genehmigt werden, der Teil des Systems ist. Oppositionelle Kandidaten sind damit von vornherein von den Wahlen ausgeschlossen.

Khamenei hat kein Interesse daran, dass die westlich orientierte Mittelschicht von der Öffnung profitiert.
Autor: Mohammed-Reza Djalili emeritierter Professor für Geschichte und internationale Politik

Die Freude über das Atomabkommen war auch darum so gross, weil die Iraner auf eine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation hofften. Hat sich diese Hoffnung erfüllt?

Für die Mittelklasse hat sich die Lage nicht verbessert – und das ist durchaus gewollt. Denn Khamenei hat kein Interesse daran, dass die westlich orientierte Mittelschicht von der Öffnung profitiert. Vielmehr will er sicherstellen, dass die Öffnung seiner Klientel zugutekommt. Dazu zählt in erster Linie die paramilitärische Revolutionsgarde, die weite Teile der Wirtschaft kontrolliert.

Im Oktober hat der Westen den Iran zum ersten Mal an den Verhandlungstisch eingeladen, als es um den Syrien-Krieg ging. Hat dieser plötzliche Sinneswandel ebenfalls mit dem Abschluss des Atomabkommens zu tun?

Natürlich spielt das Atomabkommen eine wichtige Rolle, weil es bis zu einem gewissen Grad das Ende der Ächtung durch den Westen bedeutet. Auf der anderen Seite hat der Westen gemerkt, dass es ohne den Iran in Syrien keine Lösung geben kann, weil das Regime zu den wichtigsten Unterstützern von Präsident Assad zählt. Als der Westen die iranische Regierung an den Verhandlungstisch eingeladen hat, hat diese natürlich akzeptiert – denn die Einladung erfolgte, obwohl sie ihre Position um keinen Zentimeter geändert hat und weiterhin voll hinter Assad steht. Ich glaube auch nicht, dass der Iran seine Politik bezüglich Syrien kurzfristig ändern wird. Vielmehr pflegt die Regierung stärkere Beziehungen zu Russland.

Junge Menschen demonstrieren in Iran
Legende: Die Proteste gegen die Wahl von Mahmud Ahmedinejad im Sommer 2009 wurden vom Regime brutal niedergeschlagen. Reuters

Iran sendet Geld und Sicherheitsberater nach Syrien, um das Regime Assad zu unterstützen. Kommt das in der Bevölkerung gut an?

Die Öffentlichkeit ist gar nicht begeistert über den Einsatz in Syrien. Er kostet viel Geld – das anderswo fehlt – und auch immer wieder Menschenleben. Die Leute glauben nicht, dass der Einsatz in Syrien in Irans nationalem Interesse ist. Zwar sind die beiden Nationen seit dem Iran-Irak-Krieg enge Verbündete, aber schliesslich hat Syrien nie auch nur einen einzigen Soldaten nach Iran geschickt, um das Land im Krieg gegen den Irak zu unterstützen.

Und Khamenei kann es sich leisten, die öffentliche Meinung zu ignorieren?

Ja, weil er auf einen riesigen Repressions-Apparat zählen kann. Das hat sich 2009 gezeigt, als das Regime die Proteste gegen die gefälschten Wahlen mit massiver Gewalt unterdrückte.

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