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International «Es ist ein Sommertrauma, das noch Jahre anhält»

Vor zwei Jahren kamen durch Anschläge auf der Insel Utöya und in Oslo 77 Menschen ums Leben. Mehr Demokratie, mehr Toleranz wollte Norwegen wagen. Das ist dem Land gelungen. Und dennoch hat die Tat Breiviks Spuren hinterlassen. Nordeuropa-Korrespondent Bruno Kaufmann erklärt.

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Zwei Jahre nach Utoya zeigen sich die politischen Folgen
aus HeuteMorgen vom 22.07.2013. Bild: Keystone
abspielen. Laufzeit 2 Minuten 35 Sekunden.

Bei den Anschlägen auf der Insel Utöya und in Oslo mussten 77 Menschen ihr Leben lassen. Kurz nach der Tat des rechtsradikale Norweger Anders Behring Breivik hatte Regierungschef Jens Stoltenberg die Richtung des Landes vorgegeben: «Unsere Antwort ist mehr Demokratie, mehr Offenheit und mehr Humanität.»

Was ist daraus geworden – vierundzwanzig Monate danach? Wie geht es den Norwegern zwei Jahren nach der Tat? SRF-Nordeuropa-Korrespondent Bruno Kaufmann hat sich mit den Folgen der Tragödie auseinandergesetzt.

SRF: Hat man in Norwegen nach der Tat Breiviks die Sicherheit stark in den Fokus gestellt?

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Legende: srf

Bruno Kaufmann berichtet seit 1990 für das Schweizer Radio und Fernsehen aus Nordeuropa. Er ist studierter Politikwissenschaftler und Spezialist für Fragen der direkten Demokratie. In seiner schwedischen Wohngemeinde leitet er die lokale Wahlbehörde.

Bruno Kaufmann: Man hat die Sicherheitsmassnahmen ganz bewusst nicht stark erhöht. Allerdings wurden vor wchtigen Gebäuden Hindernisse errichtet, wie man das von amerikanischen Botschaften kennt. So, dass es nicht möglich ist mit einem Auto direkt vor die Tür zu fahren, wie Breivik es damals tat.

SRF: Hat sich an der Polizeiarbeit etwas geändert?

Die Führung der Polizei wurde ausgewechselt. Inzwischen ist auch der gesamte Bereitschaftsdienst auf den Kopf gestellt worden. Damals hatten praktisch alle Beamten Ferien. Letztlich wird sich erst in einem Ernstfall zeigen, wie gut all diese Massnahmen sind.

SRF: Wie sieht es auf der Gesetzesebene aus? Gab es radikale Veränderungen?

Man hat den Geheimdienst mehr Kompetenzen gegeben. Aber immer auch ausbalanciert mit einer parlamentarischen Kontrolle. Man will bewusst nicht in die amerikanische Falle treten, dass man den Staat und der Polizei so viel Macht gibt, dass die individuellen Freiheiten untergraben werden.

SRF: Haben die Anschläge das Sicherheitsgefühl der Norweger nachhaltig beeinflusst?

Wenn man mit den Leuten spricht, ist es nicht schlecht. Im Gegenteil, man hat fast ein bisschen das Gefühl, es sei gestärkt durch die Ereignisse. Es war keine externe Bedrohung, die zu dieser Tat führte – kein terroristischer Akt. Es war die Tat eines Einzeltäters. Jetzt wo er hinter Schloss und Riegel sitzt, muss man keine Angst mehr haben.

SRF: Hat sich die Einstellung gegenüber Einwanderern geändert?

Instrumentalisierungsversuche hat es natürlich von allen Seiten gegeben. Doch allgemein ist die Toleranzschwelle was extremistische Äusserungen angeht eher gesunken. Im Untergrund bleiben aber ganz klar viele Ängste. Es gibt zahlreiche Gruppen, die das Gefühl haben Norwegen wird von Ausländern überrannt. Vor allem an sozialen Brennpunkten in den grösseren Städten.

SRF: Wie geht es den Überlebenden und ihren Angehörigen heute?

Die Betroffenen schlagen sich mit riesigen Problemen herum. Es gibt auch eine neue Untersuchung die zeigt, dass etwa 80 Prozent der Jugendlichen, die Utöya überlebten, psychische Probleme haben. Zum Teil auch Depressionen. Es ist ein Sommertrauma, dass noch einige Jahre lang Thema sein wird.

SRF: Trotzdem: Am 9. September wählen die Norweger ihr neues Parlament. Bei den Wahlen treten Überlebende des Attentats an.

Das ist richtig. Der Angriff auf das politische Engagement dieser Jugendliche hat dazu geführt, dass sich manche mehr engagieren. Somit erreichen sie auch genau das Gegenteil, was Breivik mit dem Angriff bezwecken wollte – sie verstummen zu lassen. Politisch hat das Unglück ihnen Antrieb gegeben.

SRF: Seit acht Jahren bildet eine rot-grüne Koalition die Regierung. Die grosse Frage ist nun, ob es zu einem Regierungswechsel kommen wird.

Die Sozialdemokraten haben an Sympathie verloren. Die Regierung und der sozialdemokratische Ministerpräsident waren nicht vorbereitet auf eine solche Situation. Man war offenbar etwas zu naiv gegenüber potentiellen Gefahren. Es sieht tatsächlich so aus, als würde es einen Regierungswechsel geben – von der rot-grünen zu einer bürgerlichen Mehrheit. Auch könnte die Fortschrittspartei, der Breivik früher angehörte, trotz und nicht wegen Breivik in die Regierung kommen. Ministerpräsident Jens Stoltenberg selbst, muss damit rechnen, nach acht Jahren seinen Posten abzugeben.

Das Interview führte Sharon de Wolf.

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