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Extremismus in Deutschland Der Bürgermeister, der sich den Rechtsextremen entgegenstellt

Andreas Hollstein wurde attackiert, weil er mehr Flüchtlinge aufnehmen wollte. Nun wehrt er sich gegen Extremismus.

Seit 25 Jahren ist Andreas Hollstein Bürgermeister in Altena in Nordrhein-Westfalen. In seiner schrumpfenden Kleinstadt setzte er sich dafür ein, mehr Flüchtlinge aufzunehmen als vorgeschrieben. Das hat ihn zur Zielscheibe von rechtem Hass gemacht. Als er dann – ein deutscher, bürgerlicher Bürgermeister – von einem Deutschen attackiert und von türkischstämmigen Männern gerettet wurde, sei es erst recht losgegangen, erzählt Hollstein.

Morddrohungen und gelöste Radmuttern

«In den vier Wochen nach dem Angriff hatte ich ungefähr 8000 Einträge in den sozialen Medien, die der Staatsschutz geprüft hat. Ich erhielt rund 200 Drohbriefe, Hassmails und Morddrohungen.»

Allein daraus entstanden 67 Verfahren vom Staatsschutz, 37 Anklagen, und bis anhin null Verurteilungen. Der einst sehr geachtete Posten als Bürgermeister sei gefährlich geworden, das habe sich auch bei einem Bürgermeistertreffen gezeigt. Viele Kollegen hätten von gelösten Radmuttern, kotbeschmierten Haustüren, Mahnwachen von Rechten, aber auch von Galgen mit Bildern und abgesägten Weinstöcken und vielem mehr erzählt.

Täter ist ein Instrument der Rechten

Aufgeben ist für Andreas Hollstein keine Option. Der Täter, der ihn mit einem Messer angriff, gelte zwar als psychisch verwirrt, doch, so Hollstein: «Er ist ein Werkzeug, ein Instrument. Die Rechte versucht, unseren Staat da anzugreifen, wo er angreifbar ist», bei den Menschen, die sich hinstellten.

So wird es immer schwieriger, Ehrenamtliche zu finden. Beleidigung, Beschimpfung, Bedrohung – nicht nur aus der rechtsextremen Ecke – seien ein riesiges Problem, sagt auch Politologe Reiner Becker: «Uns rutscht gerade auf kommunaler Basis die Demokratie weg.»

Im Demokratiezentrum Hessen, das Becker leitet, kämpft er dagegen an. Menschen werden motiviert, Verantwortung zu übernehmen. Und man berät etwa Bürgermeister bei Veranstaltungen, wie sie massiver Stimmungsmache im Saal entgegentreten können.

Es gibt in Deutschland immer mehr gewaltorientierte Rechtsextremisten. Sie rekrutieren ihre Leute an Rockkonzerten und zunehmend an Kampfsportanlässen. Daneben arbeitet eine neue Rechte daran, die Grenzen des Sagbaren, das Klima zu verändern.

Mit Erfolg: Es gebe eine Diskursverschiebung nach rechts, sagt der Politologe. Die Entgleisungen seien womöglich Folge einer Enthemmung. Die Nachfrage nach Hilfe vom Demokratiezentrum sei jedenfalls gestiegen. Seit einigen Jahren gebe es eine Gewöhnung.

Braune Esoteriker

Dadurch mischte sich die gemässigte mit der radikalen Szene. «Es gibt viele Biotope, in denen rechtes Gedankengut zu einer Diskursverschiebung geführt hat, auch dort, wo per se nicht die ganze Szene rechts ist», so Becker.

Für den Staat bedeute dies, dass der Radar der Sicherheitskräfte auf organisierte kleine Gruppen zu eng gefasst sei, bemängelt der Politologe vom Demokratiezentrum Hessen. «In unserer Arbeit spielt der organisierte Rechtsextremismus nur bei rund 30 Prozent der Fälle eine Rolle. Die restlichen 70 Prozent haben wir es mit Anlässen zu tun, bei denen es keinen organisierten Rechtsextremismus gibt. Es sind Einzelpersonen, die keine Bezüge zum Rechtsextremismus haben.»

Ganze Teile der Gesellschaft radikalisierten sich zurzeit. Das sei der Radar, der erweitert werden müsse, um zu verstehen, mit welchen Prozessen und Herausforderungen man es zu tun habe. Latente Täter seien aber kaum zu kontrollieren.

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