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Flughafen der Superlative Die hochfliegenden Pläne des türkischen Präsidenten

In Istanbul wird der bald weltgrösste Flughafen symbolisch eröffnet. Erdogans Prestigeprojekt hat aber Schattenseiten.

Präsident Recep Tayyip Erdogan lässt sich nicht lumpen. Just zum 95. Geburtstag der Republik macht er dem Vaterland ein Geschenk der Superlative. Nichts Geringeres als einen Flughafen im Norden von Istanbul, der einst zum grössten Flugdrehkreuz der Welt werden soll. Allerdings ist die Eröffnung nur symbolisch. Der grosse Umzug der Fluggesellschaften findet frühestens Ende Jahr statt.

Das ehrgeizige Prestigeprojekt des Präsidenten ist im Verzug, obwohl über 35'000 Arbeiter rund um die Uhr an dem Grossprojekt schuften, das mitten in ein Naherholungsgebiet der Millionenstadt gebaut wurde.

Todesfälle und Verhaftungen

Der immense Zeitdruck hat einen hohen Preis: Es gab zahlreiche schwere Arbeitsunfälle. Offiziell ist die Rede von 27 Todesopfern. Gewerkschaften berichten allerdings von mehr als 300 tödlichen Unfällen in den letzten vier Jahren der Bauzeit. Als im September die Arbeiter wegen unmenschlichen Arbeitsbedingungen, fehlenden Sicherheitsvorkehrungen, Zeitdruck und schlechter Bezahlung streikten, wurden sie von der Polizei mit Wasserwerfern attackiert; rund 500 Demonstranten nahmen die Sicherheitskräfte fest.

Mit diesem neuen Hub wird der massiv überlastete Atatürk-Airport ersetzt. Zudem dient der Flughafen als Basis für die stark expandierende nationale Fluggesellschaft Turkish Airlines. Die Türkei soll ihre geografische Lage ausnützen und als Drehscheibe zwischen Europa, Asien und Afrika fungieren.

Wir streben in einer ersten Tranche eine Kapazität von 90 Millionen Passagieren pro Jahr an.
Autor: Ahmet Arslan Verkehrsminister Türkei

Der Flugbetrieb startet zunächst nur mit wenigen Flügen nach Ankara, Izmir und Antalya. Die einzigen Auslandsdestinationen sind Baku und Ercan im von der Türkei besetzten Nordzypern. Der grosse Umzug aller Fluggesellschaften ist für Ende Jahr geplant. Verkehrsminister Ahmet Arslan strebt in der Anfangsphase eine Kapazität von 90 Millionen Passagieren im Jahr an.

2028, wenn alle Start- und Landebahnen in Betrieb sind, sollen – so der ehrgeizige Plan – 200 Millionen Passagiere pro Jahr abgefertigt werden. Damit wird der neue Flughafen den Airport von Atlanta überholen, der mit einem Passagieraufkommen von 103 Millionen an der Weltspitze liegt.

Der neue Flughafen ab 2028

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Visualisierung neuer Flughafen Flugbild
Legende: imago
  • Passagiere: 200 Millionen jährlich
  • Arbeitsplätze: 250'000
  • Destinationen: 350

Auch Zubringerbahn verspätet

In der Anfangsphase werden die Flugpassagiere mit Bussen, Taxis oder ihrem eigenen Auto zum neuen Flughafen fahren müssen. Der Bau einer unterirdischen Zubringerbahn aus dem Stadtzentrum zum 50 Kilometer entfernten Flughafen ist massiv verspätet.

Kosten soll dieser Flughafen der Superlative – nach heutigen Schätzungen – umgerechnet rund 10,5 Milliarden Euro. Gebaut und während den ersten 25 Jahren betrieben wird er von einem privaten türkischen Konsortium namens «Istanbul New Airport». Viele der beteiligten Firmen stammen aus dem näheren Umfeld von Präsident Erdogan.

Lifte von Schindler

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Rolltreppe und Schild «Schindler»
Legende: SRF

Auch Schweizer Firmen bauen mit. Schindler, das Fahrstuhlunternehmen aus dem luzernischen Ebikon, kann beispielsweise 306 Lifte, 183 Rolltreppen und 159 Rollbänder liefern. Über den finanziellen Rahmen des Auftrages wurden keine Angaben gemacht.

Das Areal dieses dritten Flughafens an der Schwarzmeerküste ist immens: 76'500'000 Quadratmeter. Das entspricht rund 1100 Fussballfeldern. Eine achtspurige Autobahn dient als Zubringer. Dafür mussten mehr als eine halbe Million Bäume gefällt werden.

Kritik unerwünscht

Eine breite öffentliche Diskussion über das Vorhaben fand kaum statt. Kritik am Prestige-Projekt war von Anfang an unerwünscht. Wer es dennoch wagte, wurde mit Gerichtsverfahren eingedeckt. So wie Mücella Yapici, die nun unter anderem der Präsidentenbeleidigung angeklagt ist.

Mücella Yapici arbeitet als Generalsekretärin der Türkischen Architektenkammer. Im Namen ihrer Organisation hat sie mehrfach gegen den Flughafenbau geklagt. Sie und ihre Mitstreiter beklagen, dass das Riesenprojekt ein Naherholungsgebiet und Trinkwasservorräte zerstört hat. Auch sei das Gebiet wegen Zugvogelrouten, den starken Winden und häufigem Nebel als Flughafen absolut ungeeignet, sagt Mücella Yapici.

Dereinst der «Recep Tayyip Erdogan Flughafen»?

Offiziell getauft wurde dieser dritte Flughafen am Schwarzen Meer noch nicht, auf den Verkehrsschildern, die bereits angebracht sind, steht «3. Flughafen» oder «Neuer Flughafen». Bis Ende Jahr läuft er unter dem IATA-Flughafencode ISL. Nach dem Umzug soll er aber jenen des Atatürk-Havalimani übernehmen: IST. Dass der dritte Flughafen auch den Namen des Gründervaters der Republik erbt, ist unwahrscheinlich. Gerüchte halten sich hartnäckig, dass er einst «Recep Tayyip Erdogan Flughafen» heissen könnte.

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