Zum Inhalt springen

Griff nach dem Strohhalm Theresa May sieht «Bemühungen» nach ihrer Europa-Tour

  • Theresa May hat versucht, auf einer Europa-Tour Zugeständnisse für ihr Brexit-Abkommen zu erhalten.
  • Sie traf den niederländischen Regierungschef Mark Rutte, Kanzlerin Angela Merkel und am Abend Spitzenvertreter der EU in Brüssel.
  • May spiele auf Zeit, sagte SRF-Korrespondentin Engbersen, um möglicherweise den politischen Druck im Inland für das Abkommen zu verstärken.

Auf einer eintägigen Reise durch mehrere europäische Hauptstädte hat sich die britische Premierministerin Theresa May bemüht, von anderen Regierungschefs weitere Zugeständnisse in der Brexit-Frage zu erhalten. Sie will dabei auch ausloten, in wie weit Spitzenpolitiker vor dem EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag bereit sind für Nachverhandlungen.

Brüssel will helfen – aber wie?

Am späten Nachmittag traf May den EU-Ratspräsidenten Donald Tusk. Dieser sprach danach von einem «langen und offenen» Gespräch. Es sei klar, dass die restlichen 27 EU-Staaten helfen wollten, das Brexit-Abkommen zu retten.

Die EU möchte May zwar helfen, einen chaotischen Austritt Grossbritanniens aus der EU im März zu verhindern. Nur, «die Frage ist wie», schrieb Tusk auf Twitter.

May traf auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Für ihn ist das aktuelle Vertragswerk der bestmögliche und einzige Deal für das Vereinigte Königreich, wie er am Vormittag vor dem Europäischen Parlament in Strassburg sagte. «Es gibt überhaupt keinen Raum für Neuverhandlungen.»

May stellt «Bemühungen» fest

In einem Interview mit der BBC sagte May am Abend, sie sehe nach den Gesprächen Bemühungen auf beiden Seiten des Ärmelkanals, um das Brexit-Abkommen für das britische Parlament akzeptabel zu machen. Auch beim «Backstop» gebe es eine «gemeinsame Entschlossenheit, sich mit diesem Problem zu befassen», sagte May. Sie brauche diese Rückversicherung als Garantie für die Menschen in Nordirland.

Auf Spekulationen über einen möglichen Misstrauensantrag im Unterhaus wollte May nicht eingehen. Das nötige Quorum von 48 Stimmen sei wahrscheinlich erreicht, berichtete die BBC unter Berufung auf hochrangige Parteivertreter.

Klare Absage von Merkel

Kurz nach 13 Uhr hatte sich May während einer Stunde mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer in Berlin beraten. Merkel erteilte Nachverhandlungen eine klare Absage. «Es gibt keine weitere Öffnung des Austrittsabkommens», sagte sie laut der Agentur dpa an der CDU/CSU-Fraktionsitzung.

Am Morgen war May als erste Station in Den Haag mit dem niederländischen Regierungschef Mark Rutte zusammengetroffen. Rutte sagte im Anschluss, es sei ein «nützliches Gespräch» gewesen.

Widerstand im Königreich

Im britischen Unterhaus zeichnete sich seit Wochen erheblicher Widerstand gegen das mühsam ausgehandelte Brexit-Vertragswerk ab. Nicht nur die Oppositionsparteien wollten dagegen stimmen, sondern auch rund 100 von Mays regierenden Konservativen.

Viele von ihnen kritisierten insbesondere die im Pakt festgehaltene Garantie für Irland, mit der nach dem Brexit Grenzkontrollen zwischen Nordirland und dem Rest der Insel vermieden werden sollen. Gelöst werden könnte das Problem durch einen neuen Handelsvertrag zwischen der EU und dem Königreich, der aber erst nach dem Brexit verhandelt werden kann.

«Theresa May spielt auf Zeit»

Henriette Engbersen zu Mays Europa-Tour

Box aufklappen Box zuklappen

Die aktuelle Europa-Tour von Theresa May ändert nichts am grundlegenden Dilemma: Für das Nordirland-Problem gibt es keine Lösung, die allen passt. Das Brexit-Abkommen ist ein Kompromiss, denn einen perfekten Brexit-Deal gibt es nicht. Darauf hat May ihr Land viel zu spät vorbereitet, sie hat monatelang zu viel versprochen – und das muss sie jetzt ausbaden.

Und May spielt jetzt – wie sie es schon oft getan hat – auf Zeit und schiebt die wichtigen Entscheidungen hinaus. Der Kurseinbruch beim britischen Pfund gestern ist ein deutliches Zeichen von wachsender Nervosität.

Aber es könnte sein, dass May darin ihre Chance sieht. Denn es heisst hier, May wolle die Abstimmung vielleicht bis ins neue Jahr hinausschieben. Bis dahin wäre die Unruhe in der Wirtschaft noch viel höher. Das wiederum würde den Druck auf die Parlamentarier immens erhöhen, dem Brexit-Deal zuzustimmen – schlicht aus Angst, dass es sonst zu einem ungeregelten, chaotischen Brexit kommen könnte.

Meistgelesene Artikel