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Grosse Not in Jemen Kein Ende des Krieges in Sicht

In Jemen wird seit vier Jahren gekämpft. Viele Menschen hungern. Doch Hilferufe verhallen. Zwei Beobachter sind ratlos.

Niemand hatte einen Waffenstillstand oder gar ein Kriegsende erwartet bei dem Gesprächsversuch Anfang Monat in Genf. Viel zu verfahren und komplex ist die Lage in Jemen. Aber man habe grosse Hoffnungen in Fortschritte in humanitären Fragen für die Bevölkerung gesetzt, sagt Mustafa Noman.

Es sollte nicht sein. Die Houthirebellen kamen erst gar nicht zu den Gesprächen in die Rhonestadt. Sie wollten mehr Sicherheitsgarantien, ein anderes Flugzeug. Die vorgebrachten Hinderungsgründe wirken auf Noman jedoch fadenscheinig. Der Publizist war jemenitischer Diplomat, er stammt aus einer angesehenen Familie in der Stadt Taez, im Zentrum des Landes.

Er verliess Jemen, als die Houthi in der Hauptstadt Sanaa die Kontrolle übernahmen und ihre Macht bis weit in den Süden Jemens ausdehnten. Nun beobachtet er den fortschreitenden Zerfall seiner Heimat von Bahrain aus.

Die Houthi werden von der schiitischen Regionalmacht Iran unterstützt. Als Antwort auf ihren Vormarsch mobilisierte der draufgängerische saudische Kronprinz Mohammed bin Salman vor gut drei Jahren eine Streitmacht.

Saudis auf Seite der jemenitischen Regierung

Diese saudisch geführte Militärkoalition wird vom Westen mit modernster Logistik unterstützt. Erklärtes Ziel der Koalition ist es, die jemenitische Regierung um Präsident Abd Rabbo Mansour Hadi wieder im ganzen Land an die Schalthebel zu bringen. Noman ist kein Freund der Houthiführung.

Man kann ein Land nicht mit Whatsapp und Telefonanrufen regieren.
Autor: Mustapha Noman ehemaliger Diplomat

Die Rebellen aus dem Norden beanspruchten für sich politische Macht in Jemen, die weit über ihre Bevölkerungsstärke hinausreiche, das sei nicht akzeptabel, sagt er. Doch mindestens ebenso so scharf geht der ehemalige Botschafter mit der jemenitischen Regierungsseite ins Gericht. Wo die Houthis zurückgedrängt wurden, herrsche nachher nicht Ordnung, sondern Chaos.

«Man kann ein Land nicht mit Whatsapp und Telefonanrufen regieren. Man muss den Mut haben, tatsächlich vor Ort zu sein», so Noman. Doch in der Hafenstadt Aden markierte die Regierung gerade einmal ein paar Wochen Präsenz, dann überliess sie die Region bewaffneten lokalen Gruppen.

Machtvakuum führt zu Blutvergiessen

«Die Regierung war faul und sorglos», sagt Noman. «Jetzt ist es leider zu spät.» In Aden und in der östlichen Provinz Hadramaut sei die Lage inzwischen «erschreckend, chaotisch und sehr beängstigend». Verschiedene bewaffnete Gruppen operieren dort mit unterschiedlichen Hintermännern in einem Machtvakuum. Deren Rivalität werde zu neuen blutigen Auseinandersetzungen führen, befürchtet Noman.

Auch auf der Ebene der regionalen Sponsoren divergieren die Interessen. Das verkompliziert die Lage zusätzlich. Eine Schlüsselrolle in der Militärkoalition gegen die Houthis spielt Scheich Mohammed bin Zayed, der starke Mann der Vereinigten Arabischen Emirate – eine Art Mentor des jungen saudischen Kronprinzen, wie manche vermuten. Saudis und Emiratis kämpfen gemeinsam.

Ein Houthirebell mit einer roten Fahne
Legende: Ein Houthirebell: Jemen befindet sich seit vier Jahren im Krieg. Keystone

Sie haben in Jemen aber andere Prioritäten: Die Saudis sind besser vernetzt und sorgen sich vor allem um Ruhe im Norden, entlang der Grenze, im saudischen Hinterland sozusagen. Die Emirate fokussieren auf die Küste mit ihren Häfen, versuchen dort ihren Einfluss zu stärken, sagt der Politbeobachter, der Kontakte zu allen Seiten unterhält. Mit seinem Entsetzen über die Instabilität im Regierungsgebiet ist er nicht allein.

Wenn das so weitergeht, steuern wir auf einen Krieg zwischen Sunniten und Schiiten zu.
Autor: Baligh al-Mikhlafi Publizist

Der regierungsnahe Publizist Baligh al-Mikhlafi warnt davor, dass islamistische Kräfte im Süden immer stärker werden. Er sieht darin vor allem eine sunnitische Gegenreaktion auf den schiitischen Konfessionalismus der Houthirebellen im Norden. «Wenn das so weitergeht, steuern wir auf einen Krieg zwischen Sunniten und Schiiten zu», warnt Mikhlafi, was völlig quer stehe zur gesamten jemenitischen Tradition.

Aber wie in andern Kriegen geht es im Jemenkrieg auch ganz zynisch um die Sicherung von Pfründen. Die Kriegswirtschaft hat Schwarzmärkte entstehen lassen, die manche schwerreich gemacht haben. Dass der Genfer Gesprächsversuch scheiterte, erstaunt al-Mikhlafi schon deshalb nicht.

Kriegsgewinnler auf beiden Seiten

Die Netzwerke der Kriegsgewinnler unternähmen alles, um eine Friedenssuche zu hintertreiben. Er sieht Profiteure bei den Houthis, aber auch auf der Regierungsseite. Während die Bevölkerung leidet, versuchen humanitäre Organisationen, die Welt mit Berichten über Kinder, die nur noch Haut und Knochen sind, erneut aufzurütteln.

Befeuert wird der Konflikt zusätzlich durch die Rivalität zwischen Saudiarabien und Iran. Die Houthis stünden unter iranischem Einfluss, erhielten Training von Iran und der iranisch finanzierten Hizbollahmiliz, sagt Mustafa Noman, das sei offenkudig.

Extrem mageres Mädchen, Rippen stehen hervor, die Arme dünn wie Streichhölzer.
Legende: Nur noch Haut und Knochen: Drei Viertel der Bevölkerung Jemens sind auf Hilfe angewiesen. Keystone

Ob Teheran allerdings auch genügend Druck auf sie ausüben könnte, um die Houthis zu Verhandlungen zu zwingen, bleibt eine offene Frage für den jemenitischen Politexperten. Doch seit dem Scheitern der Genfer Gespräche setzt die saudisch-emiratische Gegenseite ohnehin wieder auf Eskalation, besonders um die Hafenstadt Hudeida. Drei Viertel der Versorgung für die von Houthi kontrollierten Gebiete wird an diesem Hafen umgeschlagen.

Wenn es nun gelinge, Houdeida den Houthis zu entreissen, wären sie isoliert und würden doch noch verhandlungsbereit, so offenbar das Kalkül in Riad und Abu Dhabi. In der Hafenstadt aber leben noch mehr als eine halbe Million Zivilisten. Die Hilfsorganisationen warnen vor neuem entsetzlichem Leid. Während die Houthis bekräftigen, dass sie bis zum letzten Blutstropfen kämpfen werden. «Niemand wird diesen Krieg gewinnen», warnt Noman.

Nur habe keiner der Kriegsgegner bis jetzt die moralische Grösse gehabt, der notleidenden Bevölkerung in die Augen zu sehen und zu sagen, es reicht jetzt.

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