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International Haben die russischen Dörfer eine Zukunft?

Russland ist 17 Millionen Quadratkilometer gross. Aber die Menschen ziehen sich immer mehr aus den Weiten des Landes zurück. Tausende russische Dörfer sind schon verlassen und verfallen langsam. Es gibt aber auch Enthusiasten, die versuchen, wieder Leben in die tiefe Provinz zu bringen.

Andrej Pavlichenkov stapft los durch das Dorf Ostaschowa, 500 Kilometer nordöstlich von Moskau. Besser gesagt: Pavlichenkov stapft durch das, was vom Dorf Ostaschowa übrig geblieben ist: eine grosse Lichtung im Wald, eine Holzhütte, ein altes, verfallenes Bauernhaus.

Grosse Zukunftspläne

Und da ist noch Andrej Pavlichenkovs Lebenswerk, sein Renovationsobjekt: der über 100 Jahre alte Holzpalast von Ostaschowa. Es ist ein prächtiger, bunter Bau mit Türmchen und Schnörkeln. Von Ferne sieht er ein bisschen aus wie eine orthodoxe Kirche. Der Holzpalast ist aber ein ganz weltliches Werk: ein reicher Unternehmer hat ihn sich gebaut, als in Ostaschowa noch das Leben pulsierte. Dieses Leben will Pavlichenkov zurückbringen.

Ich hatte immer schon die Idee, etwas in der tiefen Provinz aufzubauen. Echtes russisches Landleben für Touristen, weit weg von Moskau.
Autor: Andrej Pavlichenkov Dorfbewohner Ostaschowa

Abgelegen ist Ostaschowa weiss Gott. Neun Stunden mit dem Zug aus der Hauptstadt, dann zwei Stunden über holprige Strassen. Will man seine Nachbarn besuchen, braucht man fast ein Schneemobil, der Winter ist lang hier im Norden. Andrej Pavlichenkov, ein Moskauer, der in der Finanzbranche viel Geld verdient hat, kommt ins Schwärmen. «Der Holzpalast ist einzigartig, die Geschichte dieses Hauses ist einzigartig. Und erst die Landschaft. So etwas gibt es in ganz Russland nicht.»

Menschenleere Gegend

Der Enthusiasmus von Pavlichenkov steht im Kontrast zur sonst eher heruntergekommenen Gegend. Rundherum sind unberührte Wälder. Bären gibt's hier, aber die sind noch im Winterschlaf. Dann tauchen Ruinen einer alten Kirche auf; sie ist schon ganz überwachsen. Auf einer Lichtung stehen zerfallene Häuser. Das war mal ein Dorf. Wieder Wald. In der Gegend haben einst tausende Menschen gelebt. Sie haben Holz geschlagen, Getreide angepflanzt und Kartoffeln. Jetzt stehen die Felder brach; sind voll mit kleinen Bäumen. Der Wald holt sich zurück, was ihm einst genommen wurde.

Schweres Schicksal der Bauern

Das Sterben dieser Dörfer ist ein Spiegelbild der russischen Geschichte. Erst die Revolution, dann liess der sowjetische Diktator Stalin reiche Bauern verfolgen. Die anderen wurden in Sowchosen gezwungen, staatliche Kollektivbetriebe. Als die Sowjetunion auseinanderbrach, zerfielen auch diese letzten ökonomischen Strukturen. Die meisten Menschen zogen weg.

Audio
Das Sterben der Dörfer - Spiegelbild der russischen Geschichte
aus Rendez-vous vom 12.04.2016. Bild: SRF
abspielen. Laufzeit 4 Minuten 56 Sekunden.

Besuch bei Valentina Murina. Die Rentnerin ist noch in Ostaschowa geboren. Jetzt lebt sie mit ihrem Mann in einem Haus in der letzten grösseren Siedlung der Gegend. Die Begrüssung ist herzlich. Murina tischt eingemachte Gurken und Tomaten auf, Schwarzbrot und eine würzige Knoblauch-Sauce. Auch ein Gläschen Wodka darf nicht fehlen.

«Früher haben hier viel mehr Leute gelebt. Wenn man nur denkt, wie viele Dörfer es gab», erinnert sich Valentina Murina. «Ich bin aus Ostaschowa weggezogen wegen der Schule. Später habe ich in einer Sowchose gearbeitet und Kinder bekommen. Ins Heimatdorf konnte ich da schon nicht mehr zurück – da war ja nichts und niemand mehr.»

Die Kinder leben nicht mehr im Dorf

Auch die Kinder von Murina und ihrem Mann haben die Gegend verlassen auf der Suche nach einem besseren Leben. Ein Sohn ist in Moskau, die Töchter in der Gebietshauptstadt Kostroma. Die Eltern sind geblieben, leben von ihren kleinen Renten und ihrem grossen Gemüsegarten.

Zurück im Holzpalast, der zu einer Attraktion für Gäste von nah und fern werden soll. Die Renovationsarbeiten sind noch nicht ganz fertig, aber Andrej Pavlichenkov hat in einem Nebengebäude schon mehrere Gästezimmer eingerichtet. Einige Touristen sind da; Leute mit einem Faible für die russische Geschichte – und für Ferien in der unberührten Wildnis.

Alle sitzen um einen grossen Tisch. Bei Tee und Gebäck wird gelacht und über alles Mögliche diskutiert. Es geht darum, wie man roten Kaviar am besten würzt; welche Ausflüge man von Ostaschowa aus machen kann. Und es geht um das Schicksal Russlands, dieses grossen, leeren Landes.

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