Im Schatten des Kriegs zwischen Israel und dem Iran verschlimmert sich die Situation der Menschen im Gazastreifen. Immer wieder gibt es Berichte über Tote nahe den Verteilzentren für humanitäre Hilfsgüter, die allerdings nicht unabhängig überprüfbar sind. Gleichzeitig befindet sich Israel seit einigen Tagen im Kriegszustand mit dem Iran. Christian Katzer hat regelmässigen Kontakt mit den Teams vor Ort im Gazastreifen.
SRF News: Wie sehr spüren die Menschen im Gazastreifen schon, dass das Augenmerk derzeit auf dem Krieg zwischen dem Iran und Israel liegt?
Christian Kratzer: Die Menschen sind total verzweifelt. Ich glaube, dass noch nicht wirklich angekommen ist, was das für sie bedeuten könnte. Ihr Augenmerk liegt darauf, zu überleben – also für Sicherheit, Essen und medizinische Versorgung zu sorgen. Es fehlt einfach an allem.
Welche Befürchtungen haben Sie als Hilfsorganisation?
Dass jetzt das Augenmerk auf dem Krieg von Israel mit dem Iran liegt und damit der Druck der Weltöffentlichkeit auf die israelische Regierung, mehr humanitäre Hilfe in den Gazastreifen zuzulassen – eventuell sogar über eine Waffenruhe zu verhandeln –, wieder wegbricht. Dann würden wir wieder dahin zurückgehen, wo wir im März und April waren, als die israelische Regierung den kompletten Gazastreifen abgeriegelt hatte, sodass es gar keine Hilfslieferungen für die Menschen im Gazastreifen mehr gab.
Was berichten denn Ihre Mitarbeitenden im Moment aus dem Gazastreifen?
Die Lage ist weiterhin verzweifelt und katastrophal. Es gibt keinen sicheren Ort im Gazastreifen. Spitäler, Kliniken, Krankenwagen werden angegriffen. Die Menschen sind auf sehr engem Raum zusammengepfercht. Es fehlt an sauberem Trinkwasser. Um Trinkwasser-Entsalzungsanlagen dauerhaft betreiben zu können, bräuchte es Treibstoff. Daher sehen wir viele Hautinfektionen und Durchfallerkrankungen aufgrund mangelnder Hygiene. Ausserdem gibt es immer wieder Bombardierungen.
Die Menschen brauchen viel mehr humanitäre Hilfe und vor allen Dingen viel mehr Nahrungsmittel und Medikamente.
Und wenn die Menschen doch Hilfslieferungen bekommen sollen durch diese umstrittene Stiftung (Anm. der Red. Gaza Humanitarian Foundation), dann wird immer wieder auf sie geschossen. Allein gestern wurden 59 Menschen erschossen und mehr als 200 verwundet, als sie versucht haben, an so einer Verteilungsstelle Mehl zu bekommen. Die Menschen brauchen viel mehr humanitäre Hilfe, und vor allen Dingen viel mehr Nahrungsmittel und Medikamente.
Es gibt Berichte darüber, dass das Internet nicht immer funktioniert. Wie informieren sich die Menschen vor Ort denn derzeit?
Dass das Internet immer wieder abgeschaltet wird oder ausfällt, ist tatsächlich ein Problem. Selbst mit unseren Kolleginnen und Kollegen haben wir im Moment nur per SMS Kontakt. Daher dringen auch weniger Informationen aus dem Gazastreifen nach aussen. Dabei wäre gerade die Berichterstattung in den sozialen Medien sehr wichtig, weil es ja keine unabhängigen Journalistinnen und Journalisten gibt. Die Menschen im Gazastreifen wissen sehr wohl, dass diese Aufmerksamkeit wichtig ist, um dafür zu sorgen, dass Druck auf Israel stattfindet, damit mehr humanitäre Hilfe in den Gazastreifen kommt und damit die Menschen im Gazastreifen und deren Leid nicht vergessen wird.
Das Gespräch führte Rachel Beroggi.