- Im schwedischen Malmö beginnt heute der Prozess gegen einen Journalisten. Der Vorwurf: Menschenschmuggel.
- Bei den Arbeiten an einer TV-Dokumentation über die Flüchtlingskrise traf der Beschuldigte in Athen auf einen syrischen Flüchtlingsjungen.
- Dieser bat ihn, ihm zur Flucht nach Schweden zu verhelfen, wo er Verwandte habe. Der Journalist willigte ein.
Eigentlich hätte es ein Dokumentarfilm über das Schicksal der abertausenden Bootsflüchtlinge werden sollen, die 2014 in Griechenland strandeten. Dann wurde der Beobachter selbst zum Protagonisten: «Nimm mich mit!», flehte ein syrischer Flüchtlingsjunge Fredrik Önnevall an.
Der Junge wollte auf einen Lastwagen aufspringen und sein Leben riskieren. Ich musste eine Entscheidung treffen.
Erst war der schwedische Journalist überrumpelt. Dann entwickelte er einen Plan. Gemeinsam mit seiner Dolmetscherin, die aus dem Nahen Osten stammte, sollten sie eine Familie auf Zeit bilden. Mit der Fähre setzten sie von Griechenland nach Italien über, dann ging es mit dem Zug über Österreich, Deutschland und Dänemark bis nach Schweden.
Nun, über zwei Jahre später, steht Önnevall im schwedischen Malmö vor Gericht. Trotzdem würde der Journalist wieder gleich handeln: «Bereue ich es? Keine Sekunde!», sagte er vor Prozessbeginn.
Als der Fall öffentlich wurde, waren die Sympathien auf der Seite des Journalisten. Für die Anklage ist klar: Wer einem Flüchtling hilft, unbemerkt über die Grenzen eines Dublin-Landes zu gelangen, macht sich des Menschenschmuggels strafbar; die Verteidigung macht geltend, dass der Journalist sich nicht bereichert und damit aus humanitären Gründen gehandelt habe.
Das Amtsgericht in Malmö wird kein moralisches, sondern ein rechtliches Urteil sprechen: Es muss darüber befinden, ob der 43-Jährige eine Straftat beging. Nichtsdestotrotz stellten sich im Fall Önnevall, so Bruno Kaufmann, SRF-Mitarbeiter in Schweden, grundsätzliche Fragen.
Das Dilemma – wegschauen im Angesicht des Flüchtlingselends oder handeln – formuliert Önnevall rückblickend so: «Ich war nicht mehr Journalist. Es ging darum, welche Werte ich als Mensch vertrete.»
Schweden revidiert seine Flüchtlingspolitik
Seit 2015 verzeichnet Schweden einen sprunghaften Anstieg der Asylgesuche (von 80‘000 im Jahr 2014 auf 160‘000 im Jahr 2015). Die rot-grüne Minderheitsregierung ist inzwischen von Schwedens traditionell grosszügiger Flüchtlingspolitik abgerückt: Seit letzten Herbst werden etwa junge Afghanen ausgeschafft. Gleichzeitig nahmen Fälle von Fluchthilfe zu: 2016 wurden 116 Personen angeklagt. Acht Mal mehr als noch 2014. Die Beschuldigten können mit einem Bussgeld, aber auch bis zu zwei Jahren Haft bestraft werden. |
Ungeteilte Zustimmung für sein Handeln erhielt der Journalist, der im Auftrag eines öffentlich-rechtlichen Senders unterwegs war, jedoch nicht. Zwar fordern zu Prozessbeginn Demonstranten einen Freispruch für den vermeintlichen Schlepper. In den sozialen Medien ist die Stimmung aber, wie Kaufmann beschreibt, gemischt: «Viele Menschen kritisieren, dass Önnevall die abenteuerliche Reise mit Konzessionsgeldern bezahlt und der Sender von dem aufsehenerregenden Bericht profitiert habe.»
Veränderte Stimmungslage gegenüber Flüchtlingen
Die kritischen Stimmen widerspiegeln, dass sich auch in Schweden die «politische Grosswetterlage» gegenüber Flüchtlingen verändert hat, so Kaufmann: «Von der offen liberalen Haltung der früheren bürgerlichen Regierung zu restriktiv unter rot-grün.» Für viele Schweden sei klar: Der Rechtsstaat müsse auch für Journalisten gelten und Önnevall verurteilt werden.
Für den Flüchtlingsjungen nahm die Geschichte ein gutes Ende. Abed wurde in Schweden von Verwandten aufgenommen und erhielt schliesslich Asyl. Bald darauf konnte auch seine Familie aus Syrien nachziehen. Heute spricht er fliessend schwedisch, nächstes Jahr macht er seine Matura.