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Immigranten-Debatte in den USA «Mit der Kraft der Bilder hat Trump nicht gerechnet»

Die derzeitige Rechtsprechung in den USA ist klar: Kinder können nicht ohne weiteres mit ihren Eltern gemeinsam inhaftiert werden. Diese rein juristische Argumentation war in den vergangenen Tagen stets zu hören von Präsident Trump und seiner Regierung.

Nun aber sagte Trump, die Bilder hätten auch ihm nicht gefallen, deshalb habe er gehandelt, diese Praxis gestoppt und ein vorübergehendes Dekret unterschrieben. SRF-Korrespondentin Isabelle Jacobi schätzt die Lage ein.

Isabelle Jacobi

USA-Korrespondentin, SRF

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Nach dem Studium in den USA und in Bern arbeitete Jacobi von 1999 bis 2005 bei Radio SRF. Danach war sie in New York als freie Journalistin tätig. 2008 kehrte sie zu SRF zurück, als Produzentin beim Echo der Zeit, und wurde 2012 Redaktionsleiterin. Seit Sommer 2017 ist Jacobi USA-Korrespondentin in Washington.

SRF News: Wie erklären Sie sich diese Kehrtwende?

Isabelle Jacobi: Der Grund ist eine Empörungswelle, die auch die Republikaner erfasst hat. Unamerikanisch, unmenschlich, so tönten selbst Verbündete des Präsidenten. Es war ein politischer Entscheid, eine Schadensbegrenzung. Um die Kinder ging es Trump offensichtlich weniger – eher um sein Image. Er sprach vom Dilemma, stark wirken zu müssen, und doch mitfühlend – und schob noch nach, eigentlich würde er lieber stark sein. Aber er unterzeichnete dann doch das Dekret – ungern.

Also war man sich gar nicht bewusst, welche Dimension dieses Vorgehen medial auslösen wird?

Wahrscheinlich rechneten sie nicht mit der unglaublichen Kraft der Bilder, Bilder und Aufnahmen von wimmernden Kindern, die nach ihren Eltern rufen, von höhnischen Beamten. Das sah die Trump-Regierung nicht voraus.

Der Entscheid, Familien konsequent zu trennen, fiel aber sehr bewusst. Das kann man mit vielen Zitaten belegen. Seit Frühling 2017 kursiert die Idee. Der ehemalige Innensicherheitsminister und jetzige Dienstchef von Trump, John Kelly, brachte sie erstmals aufs Tapet. Dies als abschreckende Massnahme für Familien, die über die mexikanische Grenze kommen.

Trump hat nun ein Dekret unterschrieben, das vielleicht von einem Gesetz abgelöst werden soll. Gibt es da einen Zusammenhang?

Ja, beide Vorlagen würden es in Zukunft erlauben, dass Kinder zusammen mit ihren Eltern länger interniert würden. Das verhindert eine Kinderschutzbestimmung aus den frühen neunziger Jahren.

Auch die Obama-Regierung versuchte diese Bestimmung zu umgehen, und Migranten-Familien zu internieren, wurde aber von einem Gericht gestoppt.

Auch die Obama-Regierung versuchte diese Bestimmung zu umgehen, und Migranten-Familien zu internieren, wurde aber von einem Gericht gestoppt. Seither gilt die Regel, dass Kinder nur 20 Tage zusammen mit ihren angeklagten Eltern inhaftiert werden dürfen. Die Obama-Regierung dachte auch kurz darüber nach, die Kinder von den Familien zu trennen, während der Untersuchungshaft, liess es dann aber bleiben. Die Trump-Regierung hatte da weniger Berührungsängste.

Entscheid verschoben

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Im Repräsentantenhaus waren mehrere Abstimmungen geplant. Ein Entwurf mit härteren Regelungen erhielt keine Mehrheit. Die Abstimmung über einen Kompromissentwurf wurde auf Freitag verschoben.

Wie gross sind die Chancen, dass der Kongress eine Vorlage durchbringt?

Eher klein. Es sind zwei republikanische Vorlagen – die eine etwas strikter als die andere. Beide würden Trumps Mauer an der Südgrenze finanzieren und die legale Immigration beschränken. Beide würden gewissen DACA-Empfängern, also jungen, in den USA geschulten Immigranten, ein Bleiberecht geben.

Beide Vorlagen sind zum Scheitern verurteilt, die eine ist zu radikal für die Demokraten, die andere ist zu schwach für die Hardliner

Beide Vorlagen sind zum Scheitern verurteilt, die eine ist zu radikal für die Demokraten, die andere ist zu schwach für die Hardliner – die übliche Kampflinie, die in den USA jede Einwanderungsvorlage zu Fall bringt. Alles andere wäre eine Riesen-Überraschung.

Was ändert sich nun für diese Familien an der Südgrenze von Mexiko?

Neue Familien, die die Grenze illegal überqueren, werden ab sofort zusammen inhaftiert. Der Präsident hat ja gestern auch versprochen das Prinzip der Null-Toleranz weiter zu verfolgen. Das heisst, dass alle illegalen Grenzgänger strafrechtlich verfolgt und eingesperrt werden.

In spätestens 20 Tagen wird es wohl die ersten Klagen geben, weil die Trump-Regierung das Gesetz bricht, da Kinder eben nicht länger als 20 Tage ins Gefängnis dürfen. Oder es gibt Zivilverfahren für die Familien und man lässt sie frei, wie vorher. Aber das würde nicht dem Null-Toleranz-Prinzip entsprechen.

Und was passiert mit diesen über 2000 Kindern, die in den vergangenen Tagen und Wochen von ihren Eltern getrennt wurden?

Sie werden mit ihren Familien zusammengeführt, auf Geheiss des Präsidenten. Im Dekret gestern war davon noch nicht die Rede.

Trump hält an seiner Nulltoleranz-Politik fest und sagt, es gebe eine Welle von illegaler Migration in die USA. Stimmt das – was sagen die Fakten?

Wie viele Immigranten illegal über die Grenze kommen, lässt sich ja nur indirekt messen, über die Anzahl der Verhaftungen. Diese Zahl ist auf einem Rekordtief seit dem Jahr 2000. Aber es sind immer noch über 300‘000 Immigranten, die letztes Jahr an der Grenze festgenommen wurden.

Und dieses Jahr, das zeichnet sich ab und deshalb wurde die Trump-Regierung aktiv, werden es mehr sein. Viele von ihnen beantragen Asyl, derzeit warten 700‘000 Menschen in den USA auf einen Gerichtsentscheid, ob sie im Land bleiben dürfen oder deportiert werden.

Das Gespräch führte Samuel Wyss.

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