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International «In den Augen der Richter hat die Anklage geschlampt»

Wer mit einer weiteren Verurteilung eines ehemaligen Kriegsverbrechers gerechnet hat, sieht sich getäuscht. Die Beweise gegen Vojislav Seselj reichten nicht aus. Wie konnte es so weit kommen? Einschätzungen von SRF-Korrespondentin Elsbeth Gugger.

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Freigesprochen mangels Beweisen
aus Rendez-vous vom 31.03.2016.
abspielen. Laufzeit 4 Minuten 54 Sekunden.

SRF News: Wie kommt es zu diesem unerwarteten Freispruch?

Elsbeth Gugger: In den Augen der Richter hat die Anklage total geschlampt. Es sei den Anklägern nicht geglückt, ihre These mit Beweisen zu untermauern, sagte der zuständige Richter, Jean-Claude Antonietta. Er meinte die These, wonach Seselj ein Grossserbien habe schaffen wollen und dafür die nicht-serbische Bevölkerung aus Kroatien oder aus Bosnien-Herzegowina systematisch habe vertreiben lassen.

Seselj war berüchtigt für seine Hassreden, seine Hetze gegen Kroaten und Muslime. Heisst das, die Richter haben auch das durchgehen lassen?

Tatsächlich haben sie das. Es habe sich bei diesen Hasstiraden um politische Reden gehandelt. Die Anklage habe nicht glaubwürdig machen können, dass diese Schimpftiraden Abwanderung zur Folge gehabt hätten. So etwas wie zu Hass anzetteln, hat es aus der Sicht der drei Richter nicht gegeben. Der Richter führte an, die Kämpfer hätten die Vertriebenen ja nicht getötet. Das Urteil kam nicht einstimmig zustande. Einer der drei Richter hatte eine abweichende Meinung.

Viele Zeugen waren für das Gericht unglaubwürdig.

Ist der Freispruch jetzt eine Total-Schlappe für die Anklage nach einem langen Prozess?

Auf den ersten Blick wirkt das sicher so. Es geht aber nicht nur um die These von Grossserbien, die die Anklage nicht habe beweisen können. Es geht auch um einige der 90 Zeugen. Für die Richter waren viele unglaubwürdig. Das ist mehr als erstaunlich: Es ist schliesslich nicht der erste Prozess, der am Jugoslawien-Tribunal geführt wurde. In einer Presseerklärung schrieb Chefankläger Serge Brametz, er habe das Urteil zu Kenntnis genommen. Gleichzeitig erinnerte er an die laufenden Haftbefehle von drei von Seselj-Beratern, die sich wegen Einschüchterung und Bestechung von Zeugen veranworten müssen.

Es war ein langwieriger, schwieriger Prozess, der mit dem heutigen Urteil ein Ende findet. Hat der Angeklagte Vojislav Seselj das Tribunal vorgeführt – zum Beispiel, als er geheime Namen von Zeugen publiziert hat?

Elsbeth Gugger

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Die Journalistin arbeitet seit 1992 als Korrespondentin aus den Niederlanden für SRF und «NZZ am Sonntag». Vorher war sie bei der Schweizerischen Depeschenagentur tätig.

Seselj hat sich dem Tribunal freiwillig gestellt, als er von der Anklage gegen sich hörte. Er sei unschuldig und er komme nach Den Haag, um seine Unschuld zu beweisen. Sobald er dann in Den Haag war, tat er so ziemlich alles, um seinen Prozess zu torpedieren. Er hat die Legitimität des Prozesses infrage gestellt mit unzähligen, ellenlangen Eingaben. Als ihm das Tribunal nicht erlauben wollte, sich selber zu verteidigen, ist er in einen Hungerstreik getreten, bis die Richter nachgegeben haben.

Er hat wie erwähnt die Namen von geheimen Zeugen veröffentlicht. Dafür, wegen Missachtung des Gerichts, wurde er denn auch schon in drei Kurzverfahren verurteilt. Und immer und immer wieder hat er sich im Gerichtsaal wirklich unflätig benommen, er hat geschrien, gestampft, getobt und alle und jeden beschimpft. Dieses für einen Gerichtssaal unziemliche Verhalten wurde ihm nicht angerechnet. Viele Experten finden denn auch, dass der Vorsitzende Richter viel zu schwach gewesen sei.

Wegen Missachtung des Gerichts wurde er schon in drei Kurzverfahren verurteilt.

Vojislav Seselj ist derzeit auf freiem Fuss, er wurde aus der Haft entlassen, weil er geltend machte, er sei schwer krank. Derzeit macht er in Belgrad Wahlkampf. Ist mit dem heutigen Freispruch ein ganz normaler rehabilitierter Politiker?

Er sei ein freier Mann, sagte Richter Antonetti. Dass Seselj nicht bei der Urteilsverkündung dabei war, wird jedoch noch Konsequenzen haben. Im Mai muss das Tribunal dem UNO-Sicherheitsrat berichten, wie die Zusammenarbeit mit Serbien verlaufen ist. Da Serbien Seselj nicht nach Den Haag geschickt hat, wird dies als Nicht-Kooperation eingestuft. Entsprechend wird dies in diesem Bericht vermerkt werden.

Das Gespräch führte Brigitte Kramer.

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