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Inhaftiert in der Türkei «Seine Anwälte haben den Text im Wäschesack gefunden»

Der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel, der als Korrespondent in Istanbul für die Zeitung «Welt» lebte, ist seit einem Jahr in der Türkei inhaftiert. Anlässlich dieses Jahrestages und des Besuchs des türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildrim bei Angela Merkel hat der amtierende deutsche Aussenminister Sigmar Gabriel erneut seine Freilassung verlangt.

Zum Jahrestag erscheint auch ein Buch mit Texten Yücels, das von der Journalistin und Verlegerin Doris Akrap herausgegeben wird. Sie erklärt, wie manche der Texte im Gefängnis entstehen – und nach draussen gelangen konnten.

SRF News: Wieso heisst das Buch: «Wir sind ja nicht zum Spass hier»?

Doris Akrap: Der Titel entstammt dem ersten Text, den Deniz in der Haft geschrieben hat. Er durfte damals noch kein Papier und keinen Stift in der Zelle haben. Er hat den Text in ein Exemplar des kleinen Prinzen hineingeschrieben und stichwortartig festgehalten, wie es im Gefängnis aussieht. Die Leute, die er im Gefängnis kennengelernt hat – das sind Aktivisten und inhaftierte Polizisten – haben ihm gesagt, er müsse es aufschreiben, er sei ja Journalist. Darauf habe er geantwortet: «Logisch, das mache ich, wir sind ja nicht zum Spass hier».

Doris Akrap

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Journalistin Doris Akrap
Legende: srf

Akrap ist eine Freundin von Deniz Yücel. Sie arbeitet als Journalistin bei verschiedenen Medien und veranstaltete ab 2012 zusammen mit Yücel und anderen die Lesungen «Hate Poetry», bei der im Stile eines Poetry Slams rassistische Leserbriefe vorgelesen werden.

Anfangs wurde ihm verboten, im Gefängnis zu schreiben. Wie ist der Text trotzdem zu Stande gekommen?

Diesen einen Text, der in der «Welt» unter dem Titel «Das Haftprotokoll» veröffentlicht worden ist, hat er in den kleinen Prinzen hineingeschrieben. Er hat das Buch in den Wäschesack geschmissen und seine Anwälte habe den Text gefunden, als sie den Wäschesack ausgeleert haben. In dem neuen Buch sind nur vier Texte, die er aus der Haft geschrieben hat. Drei davon sind entstanden, nachdem man ihm zu schreiben erlaubt hat.

Bringen Sie Ihren Freund nicht zusätzlich in Gefahr, wenn Sie diese Texte veröffentlichen?

Ich wüsste nicht warum. Die Texte sind alle bekannt. Im Gegenteil, wir verschaffen mit diesem Buch den Texten nochmals eine Aufmerksamkeit.

Geändert hat sich in diesem Jahr gar nichts. Er ist weiter in Einzelhaft und es gibt keine Anklageschrift.

Geändert hat sich in diesem Jahr gar nichts. Er ist weiter in Einzelhaft und es gibt keine Anklageschrift. Das Einzige, was sich geändert hat, ist dass er Anfang Dezember in eine andere Zelle verlegt wurde. Sonst blieb sich alles gleich. Ich habe nicht damit gerechnet, dass das Buch erscheint und Deniz immer noch im Gefängnis sitzt.

Was erhoffen Sie sich von der Veröffentlichung?

Ich wünsche mir, dass die Leute das Buch lesen und sich in irgendeiner Weise noch mehr dafür einsetzen, dass dieses Unrecht in der Türkei nicht weitergeht.

Sämtliche Journalisten, die dort inhaftiert sind und mit ähnlich absurden Vorwürfen belegt sind, gehören genau so wenig ins Gefängnis wie Deniz.

Das Buch heisste ja nicht: «Ich bin ja nicht zum Spass hier», sondern: «Wir sind ja nicht zum Spass hier». Sämtliche Journalisten, die dort inhaftiert sind und mit ähnlich absurden Vorwürfen belegt sind, sind unter denselben Umständen dort und gehören genau so wenig ins Gefängnis wie Deniz. Selbst wenn er morgen freigelassen werden sollte, sollte die Solidarität mit den anderen inhaftierten Journalisten nicht nachlassen.

Deutschland als Rübenacker

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Yücel in einer Archivaufnahme von 2016
Legende: Keystone

Grosse öffentliche Aufmerksamkeit erregte Yücel, weil er sich in einer Kolumne im November 2013 in der «taz» über die sinkende Geburtenrate in Deutschland gefreut hatte. «Der baldige Abgang der Deutschen ist aber Völkersterben von seiner schönsten Seite», schreibt Yücel. Denn der grösste Beitrag der Deutschen zur Zivilisationsgeschichte der Menschheit habe darin bestanden, dem absolut Bösen Namen und Gesicht verliehen zu haben. Yücel schlägt in diesem Text vor, Deutschland in einen Rübenacker zu verwandeln.

Das Gespräch führte Romana Costa.

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