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Italienische Asylverfahren EuGH setzt höhere Hürden für Listen sicherer Herkunftsländer

  • Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) erhöht mit einem Urteil die Hürden für die Festlegung sicherer Herkunftsstaaten für beschleunigte Asylverfahren.
  • Die EU-Länder dürfen solche Listen nur selbst erstellen, wenn sie die Quellen für ihre Einschätzung offenlegen.
  • Zudem gilt derzeit, dass die gesamte Bevölkerung in dem Land sicher sein muss, entschieden die Richterinnen und Richter in Luxemburg. 

In dem Verfahren ging es um Italiens umstrittenes «Albanien-Modell» für schnelle Asylverfahren im Ausland. Die Bestimmung von sicheren Herkunftsstaaten ist eine Grundvoraussetzung, um das Modell umsetzen zu können.

Luftaufnahme eines Hafens mit Schiffen und Lagerhallen.
Legende: Die italienischen Asylunterkünfte in Albanien dürfen nur unter Umständen betrieben werden, urteilte das EuGH. REUTERS/Florion Goga

Wer aus einem sogenannten sicheren Herkunftsstaat kommt und in der EU einen Asylantrag stellt, kann schneller abgelehnt werden. EU-Länder können selbst bestimmen, welche Staaten sie als sicher ansehen. Der EuGH legt in seinem Urteil nun fest, dass diese Einschätzung aber überprüfbar sein muss. 

Es gibt noch zahlreiche Rechtsfragen, die beim ‹Italien-Albanien-Modell› im Raum stehen.
Autor: Pauline Endres de Oliveira Migrationsrechts-Expertin Humboldt-Universität Berlin

Ausserdem dürfen dem Urteil nach Mitgliedstaaten – zumindest bis zum Inkrafttreten einer neuen EU-Asylregelung – einen Drittstaat nicht als «sicheren» Herkunftsstaat bestimmen, wenn bestimmte Personengruppen, etwa homosexuelle Menschen, dort nicht sicher sind.

Das italienische «Albanien-Modell»

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Grundidee des «Albanien-Modells» ist es, Asylanträge von männlichen erwachsenen Migranten, die aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten kommen und auf dem Mittelmeer aufgegriffen werden, in Schnellverfahren im Ausland zu prüfen. Dazu schloss Italien ein Abkommen mit Albanien zum Aufbau von zwei Lagern auf albanischem Territorium. 

Es ist ein Prestigeprojekt von Italiens rechter Regierungskoalition unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, das aber wegen Widerstand der italienischen Justiz derzeit auf Eis liegt. Laut einem Bericht der Menschenrechtsorganisation ActionAid und der Universität Bari waren die Zentren 2024 effektiv nur an fünf Tagen in Betrieb – und das bei sehr hohen Kosten.

Im konkreten Fall, der dem EuGH-Urteil zugrunde liegt, klagten zwei Menschen aus Bangladesch gegen die Ablehnung ihrer Asylanträge, weil ihr Herkunftsland von Italien als sicher eingestuft wird. Sie gehörten zu denjenigen Migranten, die von Italien in eines der Lager nach Albanien gebracht wurden.

Die zwei Geflüchteten aus Bangladesch kamen später nach Italien und zogen dort vor Gericht. Weil das italienische Gericht nicht sicher war, ob die Liste der sicheren Herkunftsländer der italienischen Regierung mit EU-Recht vereinbar ist, wandte es sich an den EuGH.

Wegweisend auch für andere EU-Staaten

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Die Entscheidung wurde vor allem in Italien, aber auch von vielen anderen EU-Regierungen mit Spannung erwartet. Ministerpräsidentin Giorgia Meloni ist die erste europäische Regierungschefin, die in einem Nicht-EU-Land für viele Millionen Euro Lager finanziert hat. Das Urteil könnte auch zum Beispiel für Deutschland wichtig sein, weil das Land auch eine Liste sicherer Herkunftsstaaten führt.

Das Urteil sei für Deutschland wegweisend, bestätigt Migrationsrechts-Expertin Pauline Endres de Oliveira. Die deutsche Liste umfasst neben den EU-Mitgliedstaaten die Westbalkanländer sowie Georgien, Ghana, Moldau und Senegal. «Die europäischen Vorgaben zur Einstufung sicherer Herkunftsstaaten gelten auch hier», so Endres de Oliveira. 

Ob und wie es nach der Entscheidung mit dem «Albanien-Modell» weitergehen kann, ist laut der Rechtsexpertin Pauline Endres de Oliveira unklar. «Es gibt noch zahlreiche Rechtsfragen, die beim ‹Italien-Albanien-Modell› im Raum stehen», erklärt die Professorin der Humboldt-Universität Berlin. Zum Beispiel, ob die geplante Unterbringung von Asylsuchenden in solchen Zentren rechtlich einer Inhaftierung gleichkomme. Das wäre problematisch, denn nach internationalem Recht dürfe niemand ohne rechtlichen Grund inhaftiert werden – und eine Asylantragstellung sei kein Haftgrund.

Die Entscheidung des Gerichtshofs schwächt die Politik zur Bekämpfung der illegalen Masseneinwanderung und zum Schutz der nationalen Grenzen.
Autor: Giorgia Meloni Italiens Ministerpräsidentin

Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni kritisierte das Urteil des EuGH. Die Entscheidung sei überraschend und schränke den ohnehin begrenzten Handlungsspielraum der Regierungen weiter ein, teilte sie mit. «Dies ist ein Schritt, der alle beunruhigen sollte. Die Entscheidung des Gerichtshofs schwächt die Politik zur Bekämpfung der illegalen Masseneinwanderung und zum Schutz der nationalen Grenzen», sagte Meloni, auch Chefin der rechten Regierungspartei Fratelli d’Italia (Brüder Italiens).

Schlechter Zeitpunkt

Meloni kritisierte die Entscheidung als Einmischung der Gerichte in politische Angelegenheiten. Die Justiz – diesmal die europäische – beanspruche Zuständigkeiten, «die ihr nicht zustehen, während die Verantwortung bei der Politik liegt», teilte sie mit.

Kritisch sieht Rom auch den Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung. Das Urteil ergeht wenige Monate vor Inkrafttreten eines neuen EU-Migrationspakts, der strengere Regeln für den Umgang mit sicheren Herkunftsländern vorsieht. Die Regierung kündigte an, bis dahin alle möglichen technischen und rechtlichen Lösungen zu suchen, «um die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten».

SRF 4 News, 01.08.2025, 12:30 Uhr ; 

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