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Spielcasinos als Japans neue Wirtschaftsmotoren?
Aus Echo der Zeit vom 28.04.2017. Bild: SRF
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Roulette-Tische für Nippon Japan will Glücksspiel ausbauen

Casinos statt nur Pachinko-Hallen. Die Regierung will Touristen locken, doch auch die eigene ältere Generation hat Geld.

Das Wichtigste in Kürze

  • Ende 2016 verabschiedete das japanische Parlament ein Gesetz, das Casinos erlauben soll. Die Regierung mit Premier Shinzo Abe arbeitet zurzeit die Rahmenbedingungen aus.
  • Grosse Casinos wie in Las Vegas, Singapur oder Macau sollen auch in Japan künftig Touristen aus dem Ausland anlocken und so die Wirtschaft ankurbeln.
  • In Japan gibt es schon jetzt Tausende Spielsüchtige in den rund 12'000 Pachinko-Hallen – trotz Glücksspielverbots mit direkten Geldgewinnen. «Umtausch» heisst die Lösung.

Kügelchen schiessen in die Höhe, an Schildkröten und roten Fischen und Zauberern vorbei. Dutzende sitzen vor den blinkenden Automaten und spielen Pachinko – eine Mischung aus Flipperkasten und Glücksspielautomat. Doch Geld gibt es nicht zu gewinnen. Das ist in Japan nicht erlaubt. Stattdessen gibt es Sachpreise wie Zigaretten, Feuerzeuge und Snacks, welche dann in einem anderen Geschäft gegen Geld umgetauscht werden können.

Legal zocken trotz Verbots

Die Betreiber der Pachinko-Hallen selbst dürfen mit dem Umtausch des Sachpreises nichts zu tun haben. Was der Kunde mit dem Preis anstellt, ist dessen Angelegenheit.

Chef des Pachinko-Magazins, Taisuke Nozaki
Legende: Chef des Pachinko-Magazins, Taisuke Nozaki: SRF/Martin Aldrovandi

«Es gibt in den Pachinko-Hallen aber auch kleine Goldbarren zu gewinnen», erzählt Taisuke Nozaki vom «Amusement Japan Pachinko Magazine», einer Fachzeitschrift der Branche. Die Umtausch-Geschäfte haben sich auf die Pachinko-Hallen spezialisiert. Sie ermöglichen das Zocken, ohne gegen das Gesetz zu verstossen.

Ein besonderer Kreislauf

Die Pachinko-Hallen und die Umtausch-Geschäfte seien aufeinander angewiesen, erklärt Wirtschaftsprofessor Takeo Shibata von der Seigakuin Universität: «Der Käufer, der den Preis abkauft, ist nicht unabhängig. Dieselben Sachpreise tauchen am nächsten Tag wieder in den Regalen der Pachinko-Hallen auf.»

Umtauschgeschäfte haben in Japan Tradition: Aufgekommen sind sie nach dem Zweiten Weltkrieg, als Kriegswitwen Spielern gewonnene Zigaretten abkauften und diese weiterverkauften. Daraus ist später eine ganze Industrie entstanden: Rund 12‘000 Pachinko Spielhallen gibt es im Land.

Spielsucht ist weitverbreitet

Neben Lotterien und Sportwetten sind die Pachinko- Automaten eine der wenigen Möglichkeiten für Japaner, um Geld zu spielen. Laut einer Studie des japanischen Gesundheitsministeriums könnten über fünf Millionen Japaner spielsüchtig sein, umgerechnet einer von 20 Erwachsenen.

Ungeachtet dessen will nun Japan die Glücksspielindustrie weiter ausbauen. Im letzten Dezember verabschiedete das Parlament ein Casino-Gesetz. Die Regierung unter Premierminister Shinzo Abe arbeitet zurzeit an den Rahmenbedingungen.

Ökonom und Glücksspielexperte Takeo Shibata.
Legende: Ökonom und Glücksspielexperte Takeo Shibata: SRF/Martin Aldrovandi

Das sei ein grosser Fehler und werde vermutlich der Gesellschaft zusätzlich schaden, kritisiert der Ökonom und Glücksspielexperte Shibata. «Beim Pachinko kann man an einem Tag maximal 300.000 Yen (2800 Franken) verlieren. Im Casino können Sie pro Tag locker das Zehnfache verspielen.»

Nur Touristen im Visier?

Doch Japans Regierung will mit den Casinos den Tourismus ankurbeln. Vorbilder sind asiatische Casino-Städte wie Singapur oder Macau, wo grosse US-Casino-Betreiber locken.

Vor allem die ältere Generation hat viel Geld gespart und gibt es nicht aus.
Autor: Takeo ShibataWirtschaftsprofessoer, Seigakuin-Universität:

Shibata ist allerdings skeptisch und verweist auf das Alleinstellungsmerkmal der genannten Casino-Hochburgen. Japan habe ganz andere Ressourcen und viele Sehenswürdigkeiten. «Glauben Sie wirklich, dass jemand extra nach Japan reist, nur um in den Casinos um Geld zu spielen?»

Es gehe also nicht nur um die Touristen, sondern um die Japaner selbst, folgert Shibata. Denn vor allem die ältere Generation habe viel Geld gespart, gebe es aber nicht aus. Mit den Casinos werde also der Konsum im Inland angekurbelt – auf Kosten der japanischen Gesellschaft.

«Die Gesellschaft denkt, dass wir am besten sterben sollen.» (Tetsuro Yamasaki, Zahnarzt, 40, spielsüchtig)

«Die Gesellschaft denkt, dass wir am besten sterben sollen.» (Tetsuro Yamasaki, Zahnarzt, 40, spielsüchtig)
Wenige Gehminuten von einer Pachinko-Halle entfernt lebt Tetsuro Yamasaki in einer schäbigen  Einzimmerwohnung. Der 40-jährige Zahnarzt spielte erstmals mit 19, noch im Studium. Mit 30 verlor er umgerechnet 10‘000 Franken in einem Jahr, brachte aber die Schulden für kurze Zeit in den Griff. Heute beläuft sich der Schuldenberg bei Kredithaien auf eine Million Franken. Auf die väterliche Praxis verzichtete er. Zu gross war das Risiko, alles zu verspielen. Seit zwei Jahren verwaltet eine Selbsthilfegruppe für Spielsüchtige sein Einkommen und gibt ihm Taschengeld für den Alltag. Dafür ist Yamasaki sehr dankbar, denn er ist nicht geheilt. Auf der Arbeit weiss niemand von seiner Sucht: «Die Gesellschaft denkt, dass wir nutzlos sind und am besten sterben sollen.» Auch von der Regierung erwartet Yamasaki nichts. Die Industrie sei zu wichtig, als dass sie auf Süchtige Rücksicht nehmen würde. Bisher nahmen sich mehrere Tausend spielsüchtige Japaner das Leben. Seine Arbeit als Zahnarzt sei nicht beeinträchtigt, sagt Yamasaki: «Wenn ich Patienten behandle, sehe ich einen Sinn im Leben und kann Pachinko kurz vergessen.»

Martin Aldrovandi

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Martin Aldrovandi

Martin Aldrovandi ist seit 2016 Korrespondent für Radio SRF in Nordostasien mit Sitz in Schanghai. Zuvor hatte er mehrere Jahre lang als freier Journalist aus dem chinesischsprachigen Raum berichtet.

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