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International «Jeder potentielle Nachfolger des Diktators wurde vernichtet»

Der usbekische Langzeit-Herrscher Islam Karimow ist tot. Nach drei Jahrzehnten an der Macht starb er 78-jährig an den Folgen eines Schlaganfalls. Das hat die Regierung mittlerweile bestätigt. Davor war tagelang über den Tod des Despoten spekuliert worden. Journalist Marcus Bensmann erklärt die Lage.

SRF News: Wie lässt sich die tagelange Geheimnistuerei um den Tod Karimows erklären?

Marcus Bensmann

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Während 20 Jahren arbeitete Marcus Bensmann als freier Journalist in Zentralasien und im Kaukasus. Er berichtete 2005 als einer von wenigen Journalisten vor Ort über die Anfänge des Machtumsturzes in Kirgisistan und das Massaker von Andischan (Usbekistan).

Heute arbeitet Bensmann für das deutsche Non-Profit-Recherchezentrum correctiv.org.

Marcus Bensmann: Die Geheimnistuerei hat den Grund, dass die Nachfolge in diesem Land mit 30 Millionen Einwohner nicht geklärt ist. Es sind verschiedene Clane, es ist die Familie, es sind verschiedene Prätendenten und unter anderem gibt es auch eine grosse islamistische Bewegung ausserhalb des Landes.

Der Karimow-Clan bestimmt seit Jahrzehnten über die politischen und ökonomischen Ressourcen des Landes. Dank Export von Gold, Baumwolle oder Erdgas lebt sie in Reichtum. Geht es darum, wer sich diese Pfründe sichern wird?

Es geht sicher um die Pfründensicherung und es geht auch um die Position, wer die Macht in dem Land innehat. Karimow hat sich dadurch ausgezeichnet, dass er innerhalb des Landes eine Diktatur aufgebaut hat. Es gibt keine legale säkulare Opposition und es gibt keine unabhängige Veröffentlichung von Meinungen. Alles ist unter Kontrolle von Karimow und seinem Geheimdienst. Auch die Wirtschaft ist an der kurzen Leine der Präsidialherrschaft. Es ist nicht möglich, Kapital zu akkumulieren, ohne dass der Präsident seinen Segen gibt. Man muss ihn natürlich dafür bezahlen, und darum geht’s.

Was war Karimow für eine Figur?

Karimow war ein Sowjetkader. Er stammt aus der Region Samarkand, hat lange in einem Waisenhaus gelebt und er musste seine Staatssprache erst lernen. In seiner Familie wurde tadschikisch gesprochen und die Amtssprache war russisch. Usbekisch konnte er nicht so gut. Er war ein machtbewusster und misstrauischer Mann, der in allem eine Gefahr sah. Er war von Anfang an darauf bedacht, alles zu kontrollieren. So hat er die Macht auf sich konzentriert. Als dann seine Familie begann, eigenständig zu werden und sich an den Pfründen des Landes zu bedienen, da war der Vater in der Lage, seine älteste Tochter zu entmachten und unter Hausarrest zu stellen. Er wollte nicht von der Macht vertrieben werden und hat für den Machterhalt seine älteste Tochter geopfert.

Er wollte nicht von der Macht vertrieben werden und hat für den Machterhalt seine älteste Tochter geopfert.

Haben die Beobachter, die vor einem Machtvakuum warnen, recht?

Der Diktator hat seine Nachfolge nicht bestellt, es gibt keine legale zivile Möglichkeit, die Macht zu übergeben. Jeder potentielle Nachfolger während der Lebenszeit des Diktators war sein potentieller Gegner und wird vernichtet. Im Grund genommen stehen wir vor einer schwarzen Box. Wir wissen nicht, was aus Usbekistan kommen wird.

Sie sprechen von eine Blackbox, von verschiedenen Clans. Wer wird da rauskommen?

Karimow hat fast 25 Jahre mit sehr harter Hand regiert. Er hat es verstanden, die verschiedenen Clane aus Samarkand und anderen Regionen gegeneinander auszuspielen. Er liess sie teilweise an den Pfründen teilhaben, hat sie aber dann auch wieder davon entfernt, wenn sie zu nahe an die Macht kamen. Ein grosser Bündnispartner Karimows war seit 1994 der Geheimdienstchef Rustam Inojatow. Er war gewissermassen Karimows Kettenhund und wenn es eine friedliche Nachfolge gibt, dann wird sie nicht ohne seinen Segen vonstattengehen. Er selber kommt nach meiner Einschätzung nicht in Frage, aber er wird die Vorbereitung leiten. Das andere Szenario ist der Zerfall. Man darf nicht vergessen, dass in Syrien tausende ausgebildete IS-Kämpfer auf die Heimkehr nach Usbekistan warten.

Sind diese Islamisten das grundsätzlich ein Problem des Landes?

Der Islamismus hat dem usbekischen Regime als Vorwand gedient hat, die säkulare Opposition zu zerstören. Nach 25 Jahren hat man eine entkernte Gesellschaft. Es gibt keine unabhängige Zivilgesellschaft. Sie hat keine eigenständigen Politiker oder Parteien. Insofern ist der radikale Islamismus die einzige Alternative. Das ist die grosse Gefahr, die Usbekistan droht, wenn es nicht gelingt, das Land quasi in eine neue Diktatur überzuführen, die von dem Geheimdienstchef und der Geheimdienstjunta gestützt wird.

Der Islamismus hat dem usbekischen Regime als Vorwand gedient hat, die säkulare Opposition zu zerstören

Welchen Einfluss hat Russland?

Es wird keinen Nachfolger geben, der nicht den Segen Russlands hat. Nach der Ukraine-Intervention wird es keinem postsowjetischen Staat gelingen, eine Machtregelung zu gestalten, ohne dass Russland diese gutheissen würde. Und wenn ich sage, dass der Geheimdienst so oder so die Nachfolge regeln wird, so muss man wissen, dass alle Geheimdienste der ehemaligen Sowjetunion eng zusammenarbeiten und eng an den russischen Geheimdienst geknüpft sind. Wenn es eine friedliche Nachfolge gibt, die eine despotische sein wird, wird sie mit der Zustimmung aus Moskau etabliert werden.

Das Gespräch führte Samuel Wyss.

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