Zum Inhalt springen

Judenhass in Frankreich «Die Hakenkreuze auf den Grabsteinen sind wie eine Unterschrift»

Unbekannte haben über 100 Gräber auf einem jüdischen Friedhof geschändet. Der Vorfall ereignete sich im elsässischen Westhoffen. Der französische Präsident Emmanuel Macron verurteilt die Tat mit scharfen Worten und kündigte an, hart gegen die Täter vorzugehen. Es ist nicht der erste solche Fall. SRF-Frankreich-Mitarbeiter Rudolf Balmer über die Hintergründe.

Rudolf Balmer

Freier Journalist

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Der Journalist Rudolf Balmer berichtet für deutschsprachige Medien aus Paris über französische Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Darunter auch für SRF.

SRF News: Was weiss man über die Grabschänder von Westhoffen?

Rudolf Balmer: Die Hakenkreuze auf den Grabsteinen sind wie eine Unterschrift. Schon am 1. November hat man in Strassburg vor der Rechtswissenschaftlichen Fakultät Schmierereien entdeckt. Signiert waren sie mit NSDAP. Man muss vermuten, dass da offenbar Neonazis am Werk sind.

Aber es gibt in Frankreich auch andere Antisemiten. Gerade in der jüngeren muslimischen Bevölkerung grassiert ein Antisemitismus, der sich oft auf religiöse Schriften oder auf den Palästina-Konflikt beruft. In diesem Zusammenhang wird oft von einem neuen Antisemitismus gesprochen.

Wie äussert sich das im Alltag?

Das kann sich in sehr simpler Weise in Gesprächen unter Jugendlichen äussern, indem zum Beispiel «dreckiger Jude» als Schimpfwort gebraucht wird, auch gegen Jugendliche, die nicht Juden sind. Damit werden antisemitische Bemerkungen und Beschimpfungen banalisiert. Man erkennt es auch auf dem Internet. Dort grassiert ebenfalls Antisemitismus, angeheizt von Leuten wie dem Komiker Dieudonné oder dem Essayisten Alain Soral.

Das gibt vielen Internetnutzern den Eindruck, dass das etwas völlig Normales und Legitmes sei. Das ist nicht der Fall. Neuer Antisemitismus äussert sich aber auch in Quartieren, in denen Juden, Muslime, Christen und andere bisher völlig friedlich zusammenwohnten und sich plötzlich das Klima verschärft.

Lässt sich die Zunahme solcher Übergriffe in Frankreich quantifizieren?

Für das Jahr 2018 ist in den französischen Statistiken von mehr als 75 Prozent Zunahme die Rede. Alle Formen von antisemitischen Aggressionen, Attacken und Beschimpfungen werden festgehalten. Die Tendenz ist eindeutig: Solche Übergriffe nehmen in Frankreich zu.

38 Prozent aller französischen Juden erwägen ernsthaft, auszuwandern.

Sie führen dazu, dass sich viele in der jüdischen Gemeinde bedroht fühlen. Rund 30 Prozent der Befragten sagen, dass sie schon persönlich bedroht wurden und 38 Prozent aller französischen Juden erwägen ernsthaft auszuwandern. Gerade im Zusammenhang mit Attentaten wie in Toulouse oder Paris hat die Zahl der Juden, die nach Israel auswandern, signifikant zugenommen. Jedes Jahr sind es nun etwa 7000 Erwachsene und Kinder.

Man scheint das Problem nicht in den Griff zu bekommen. Hat man bisher die falschen Massnahmen ergriffen?

Die Staatsführung reagiert eigentlich jedes Mal gleich, sehr klar. Sie will auf keinen Fall den Verdacht aufkommen lassen, dass Frankreich antisemitischer sei als andere Länder in Europa. Ich kann mich gut erinnern.

Die französische Regierung will auf keinen Fall den Verdacht aufkommen lassen, dass Frankreich antisemititischer sei als andere Länder in Europa.

1990 wurde bereits ein Friedhof in Südfrankreich geschändet. Das hat das ganze Land sehr schockiert. Damals marschierten Zehntausende mit dem Präsidenten François Mitterrand an der Spitze gegen den Antisemitismus. Diese Szenerie wiederholt sich jedes Mal. Dennoch wirkt das irgendwo ein bisschen hilflos. Aber notwendig sind diese Reaktionen. Denn es darf nicht der Eindruck entstehen, dass so etwas ungestraft bleiben wird. Deshalb ist auch die Arbeit der Justiz nun nach dieser jüngsten Schändung sehr wichtig.

Das Gespräch führte Joël Hafner.

Meistgelesene Artikel