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International Korruption in Ungarn: Wer schummelt, gewinnt

Korruption ist in Ungarn offenbar tief verwurzelt. Vorwürfe richten sich auch an Premier Viktor Orban. Das könnte ihm nun zum Verhängnis werden. In der Stadt Veszprem findet eine Nachwahl für einen Parlamentssitz statt. Der Wahlausgang hat direkten Einfluss auf die Machtverhältnisse im Parlament.

In der westungarischen Stadt Veszprem findet am Sonntag die Nachwahl für einen vakanten Parlamentssitz statt. Brisant: Die Regierungspartei Fidesz von Ministerpräsident Viktor Orban könnte seine knappe Zweidrittelmehrheit verlieren.

Gründe dafür gäbe es. Es regt sich Widerstand im Land. Einer der Auslöser ist die weit verbreitete Korruption in Ungarn. Und sie ist gut dokumentiert.

30 Jahre lang Machtstrukturen untersucht

Istvan Javor ist ausserordentlicher Professor an der Elite-Universität Budapest. Seit über 30 Jahren erforscht er Machtstrukturen in Verwaltungen und Unternehmen. Er geniesst internationale Beachtung. Einige Arbeiten liegen noch unpubliziert auf seinem Tisch.

«Ich habe Manipulationen in der Steuerbehörde untersucht», sagt Javor, «auf der Grundlage von offiziellen Dokumenten und Interviews mit Mitarbeitern.» So habe er festgestellt, dass Steuerbetrüger sehr unterschiedlich behandelt würden. Die einen werden bestraft, andere lässt man laufen. Und zwar auf Anweisung der Regierung.

Für seine Forschungen wollen ihn die ungarische Regierung und die Steuerbehörde vor Gericht bringen. «Was wir taten, war neu. Nie zuvor haben Forscher vorher ein korruptes System so von innen analysiert und die Beziehungen und Abhängigkeiten zwischen Chefs, Topkader und dem ausführenden mittleren Management beschrieben.»

Vollmacht für alles

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Zweidrittelmehrheit heisst in Ungarn: totale Macht für den Regierenden. Es gibt zwei Formen:

  • Zweidrittelmehrheit aller gewählten Abgeordneten: Kann Verfassung ändern, Krieg erklären, Verfassungsrichter wählen
  • Zweidrittelmehrheit der im Saal anwesenden Abgeordneten: Kann Gesetze im Verfassungsrang ändern (z.B. Wahlordnung, Mediengesetze, usw.)

Von der Steuerbehörde verklagt

«Das Ministerium befiehlt den Steuerkommissaren faktisch, was sie zu tun haben», sagt Javor. Zwischen Ministerium und Steuerbehörde bestünden starke informelle Beziehungen. Ein ausgeklügeltes System sei entstanden. Jedes einzelne Dokument scheine in Ordnung. Im Ganzen aber decke das System die Machenschaften der Profiteure.

Audio
Viktor Orbans Problem mit der Korruption
aus Echo der Zeit vom 20.02.2015. Bild: Keystone.
abspielen. Laufzeit 8 Minuten 8 Sekunden.

Harte Anschuldigungen. Javor erzählte Kollegen und Journalisten von seiner Arbeit. Und er stellte sich vor, dass ein Staatsanwalt oder Topchef der Steuerbehörde ihn anrufen würde.

Aber dieser Anruf kam nie. Stattdessen wurde er vom Wirtschaftsministerium und von der Steuerbehörde verklagt. Wegen Rufschädigung fordern sie drei Millionen Forint von ihm. Das entspreche netto 15 Monatsgehältern, sagt Istvan Javor. Er sieht darin einen Einschüchterungsversuch.

Das Schlimmste aber sei der Angriff auf die Freiheit der Forschung. «Als freier Wissenschaftler muss ich doch die Möglichkeit haben, ein System zu analysieren und es aufgrund meiner Ergebnisse als korrupt zu bezeichnen.» Der Professor hofft, dass sein Richter diese Auffassung teilt. Die Steuerbehörde lehnte eine Interviewanfrage von SRF ab.

Transparency International: «Starke Indizien für Korruption»

Gefährlicher als Korruption ist in Ungarn derzeit offenbar das Reden über Korruption. Das hat auch Andras Horvath erfahren, ein ehemaliger Steuerfahnder der nationalen Steuerbehörde. Er gab seinen Job auf und beschuldigte seinen früheren Arbeitgeber, Mehrwertsteuerbetrug im ganz grossen Stil zu decken. Auch er wurde verklagt. Sein Fall ist wie der Javors noch hängig.

«Es ist inakzeptabel, dass die Regierung auf den Whistleblower Andras Horvath losgeht, statt die Zustände in der Steuerbehörde genau zu untersuchen», sagt Miklos Ligeti von Transparency International Ungarn. Tatsächlich beliess es die Regierung bei einer internen Untersuchung und kehrte die Beweislast um. Und Beweise hat Whistleblower Horvath tatsächlich nie vorgelegt.

Das System sei in Ungarn so konstruiert, dass man kaum je harte, rechtsgültige Beweise hat für Korruption, sagt der Rechtsexperte von Transparency International. Aber starke Indizien gebe es durchaus.

Als Beispiel erwähnt Ligeti das Tabakverkaufsgesetz. Früher verkauften 40'000 Kioske Zigaretten, jetzt sind es nur noch 6000. Sie brauchen dafür eine Lizenz von der Regierung. Und die vergibt sie an ihr nahestehende Leute.

Regierung bestreitet Vorwürfe

Ligeti kann viele solche Geschichten erzählen. Alle haben sie dieselbe Pointe. Um in Ungarn Erfolg zu haben, reicht es nicht, gut zu sein. «Man braucht gute Beziehungen zur Regierung. Und die helfen nicht nur beim Einstieg in den Markt. Sondern auch dabei, Konkurrenten aus dem Markt zu drängen.»

Die Regierung bestreitet diese Vorwürfe. Beim Tabakgesetz geht es offiziell darum, das Rauchen einzuschränken. Das geplante Sonntagsverkaufsverbot soll den christlichen Feiertag schützen, und nicht etwa die Interessen derjenigen ungarischen Unternehmer, deren Geschäfte nicht unter das Verbot fallen.

Doch unter den Wählern in Ungarn macht sich Misstrauen breit. Zu viele Leute aus Partei und Regierung wurden in letzter Zeit unerklärbar reich. Deshalb verliert die Regierungspartei Fidesz derzeit laut Umfragen enorm viele Anhänger. Doch die Korruption sitzt in Ungarn tiefer. Nicht erst diese Partei, schon ihre Vorgängerinnen galten als korrupt.

Armes Land, hohe Mehrwertsteuer

Webdesigner und Programmierer Zolt Varady geht noch einen Schritt weiter. Er sucht den Fehler nicht allein bei den Mächtigen. «Wir sind das Problem, die ungarische Gesellschaft. Die Regierung ist nur unser Spiegel.» Korrupt ist für ihn auch, wer seine Steuern nicht bezahlt. Und das machen in der einen oder anderen Weise fast alle, vermutet er.

«Die Leute denken nicht, dass sie Steuern für das Gemeinwohl zahlen», sagt Varady, «sie sagen sich vielmehr: Warum sollte ich Steuern bezahlen, die da oben sind ja ohnehin korrupt.»

Hinzu kommt, Ungarn ist ein armes Land, und die Mehrwertsteuer ist mit 27 Prozent sehr hoch. Wer beharrt da schon auf einer Rechnung, wenn zum Beispiel die Renovation einer Küche so viel teurer wird.

Schummler im Vorteil

Wer bei den Steuern nicht schummelt, sagt Varady, der überlebt als Unternehmer kaum in Ungarn. Er habe es eine Weile versucht, sein Kleinstunternehmen komplett legal zu führen. Ein Versuch, der ihn in die Pleite führte. Zu kompliziert ist das System, zu hoch die Steuerlast, zu massiv der Vorteil der schummelnden Konkurrenz.

Nach dieser Erfahrung packte ihn die Wut auf die Politik. Er beteiligte sich als Organisator an den vielen Demonstrationen gegen die Regierung, die seit letztem Herbst in Budapest stattfanden. Doch inzwischen hat er sich da wieder zurückgezogen. Aus privaten Gründen, aber nicht nur.

Zolt Varady will jetzt den Bürgersinn und die Steuermoral in seinem Land stärken. So hat er zum Beispiel eine Website eingerichtet, wo man seine Erfahrungen mit den Behörden posten kann. Kleine Schritte, um das grosse Problem der Korruption auch von unten anzugehen.

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