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Krieg in der Ukraine Ein offenbar empfindlicher Schlag gegen das russische Militär

Der ukrainische Geheimdienst hat der russischen Luftwaffe offenbar einen empfindlichen Schlag versetzt. Mit einem Überraschungsangriff auf mehrere Militärflugplätze in Russland sollen rund 40 Kampfflugzeuge im Gesamtwert von sieben Milliarden US-Dollar zerstört worden sein. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski feiert diesen Grossangriff als absolut brillanten Erfolg. SRF-Russlandkorrespondent Calum MacKenzie ordnet ein.

Calum MacKenzie

Russland-Korrespondent

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Calum MacKenzie ist Russland-Korrespondent von Radio SRF. Er hat in Bern, Zürich und Moskau Osteuropa-Studien studiert.

Wie reagiert der Kreml auf diese Angriffe?

Der Kreml selbst hat noch nicht öffentlich reagiert. Aber das russische Verteidigungsministerium hat am Sonntagabend bestätigt, dass es tatsächlich zu ukrainischen Drohnenangriffen in den Regionen gekommen sei, die der ukrainische Geheimdienst genannt hat. Also selbst im fernen Sibirien. Und sie schreiben, die Drohnen seien aus nächster Nähe der Flugplätze gestartet worden, die dann angegriffen wurden. Dabei sei es zu Bränden gekommen. Diese seien jetzt aber beseitigt. Viel mehr als das, sagt das offizielle Russland nicht. Aber es lässt durchblicken, dass einige Details sowie das grobe Bild, das wir von dieser ukrainischen Operation haben, sich tatsächlich so abgespielt hat.

Konfuse Berichterstattung

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Noch am Sonntagabend haben die russischen Medien über die Vorfälle berichtet und hielten sich dabei mehr oder weniger an die Informationen aus dem Verteidigungsministerium. Man hat auch die Bilder aus dem Netz gezeigt von diesen Drohnen, die aus Lastwagen aufsteigen.

Aber am Montagmorgen sind die Angriffe aus den Nachrichten verschwunden. Wobei das russische Staatsfernsehen zwar schon mit der Nachricht von ukrainischen Drohnenangriffen aufmacht, aber nicht mit jenen auf die Militärflugplätze, sondern mit Angriffen in der Nacht auf die Regionen an der Grenze zur Ukraine. Es heisst, man habe die Angriffe abwehren können, und dass das Ziel der ukrainischen Angriffe zivile Infrastruktur gewesen sei. das sei typisch für das «terroristische Kiewer Regime», hiess es da wörtlich.

Man verschweigt diesen Angriff auf die Flugflotte also nicht, versucht ihn aber zu vermengen mit anderen angeblichen Angriffen auf Wohnhäuser in anderen Teilen des Landes, sodass der Angriff auf die Flugplätze nicht heraussticht und beim russischen Publikum nicht allzu lange in Erinnerung bleibt.

Wie schwer wiegen diese Angriffe auf das russische Militär?

Das ist schwer zu sagen, weil das Ausmass der Zerstörung, die dieser Angriff verursacht hat, noch nicht bekannt ist. Aber wenn – wie die Ukraine behauptet – tatsächlich mehrere Langstreckenbomber zerstört wurden, ist das schon ein wesentlicher Schlag gegen die russische Luftwaffe. Vor allem auch, weil einige dieser Flugzeuge noch aus Sowjetzeiten stammen und heute nicht mehr hergestellt werden. Es dürfte also sehr lange dauern, bis man sie ersetzen kann.

Screenshot, der sehr undeutlich ist. Man sieht ein Flugzeug, das explodiert.
Legende: Dieses Bild aus einem Video, das am 1. Juni 2025 von einer Quelle des ukrainischen Sicherheitsdienstes veröffentlicht wurde, zeigt eine ukrainische Drohne, die russische Flugzeuge tief im russischen Hoheitsgebiet angreift. Ukrainischer Sicherheitsdienst via AP/Keystone

Diese Bomber sind für die russische atomare Abwehr wichtig, weil sie Atomraketen tragen können. Aber dazu nutzt sie Russland in diesem Krieg nicht, sondern feuert von diesen Flugzeugen konventionelle Langstreckenraketen ab, um ukrainische Städte zu bombardieren. Russland erhält jetzt also die Quittung dafür, dass es seine wichtigen Atomwaffenflugzeuge auf diese Weise eingesetzt hat. Die Ukraine wird hoffen, dass man die russische Kapazität geschwächt hat, diese Luftangriffe durchzuführen. Und dass die ukrainischen Truppen und die Bevölkerung in den Städten etwas entlastet wird.

Auswirkungen auf Gespräche in Istanbul?

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In Istanbul finden ab Montag Verhandlungsgespräche über eine mögliche Waffenruhe im Ukraine-Krieg statt. Auf russischer Seite werden die Angriffe vorerst nicht viel ändern. Moskau hält bei den Gesprächen an seinen Maximalforderungen fest und zeigt sich bislang in keinem Punkt kompromissbereit. Es will das Bild vermitteln, es sei unbesiegbar, dass man die russische Armee nicht aufhalten könne und dass man deswegen Russland proaktiv entgegenkommen müsse, statt die Ukraine zu unterstützen.

Und: Russland will sich vorerst nichts anmerken lassen wollen. Es wird die Angriffe zwar bestätigen, aber die Wirkung herunterspielen.

Die Frage ist eher, wie die Angriffe auf die westlichen Partner der Ukraine wirken. Ein solcher Erfolg zeigt ja, dass die Ukraine durchaus fähig ist, sich zu verteidigen – und dass Russland doch verwundbar ist. Und dass der Ausgang dieses Krieges keineswegs schon feststeht.

Der ukrainische Geheimdienst soll diese Angriffe von langer Hand geplant haben. Hat das politische Folgen für Wladimir Putin?

Dieser Krieg war von Anfang an von russischen Fehleinschätzungen und sogar Blamagen charakterisiert. Denken wir an den Rückzug zu Beginn des Krieges oder die Aufgabe von Cherson. Putin sitzt aber weiter fest im Sattel. In der Bevölkerung und in der Elite gibt es niemand, der es derzeit wagen würde, Putin oder den Krieg wegen dieses Vorfalls infrage zu stellen. Die Leute nehmen diese unrühmlichen Episoden vielleicht zur Kenntnis und schieben die Verantwortung allenfalls auf inkompetente Militärführer ab. Politische Folgen für Putin könnte es erst geben, wenn es an der Front tatsächlich schlecht läuft und die ukrainischen Truppen die russischen zurückdrängen können. Davon sind wir im Moment noch sehr weit entfernt.

Zwei Männer schütteln Hände in einem Büro.
Legende: Wolodimir Selenski schüttelt dem Leiter des Sicherheitsdienstes (SSU), Vasyl Malyuk, die Hand. Malyuk hat ihm am Sonntag, 1.6.2025, bei einem Treffen in Kiew über die Operation gegen russische Luftwaffenstützpunkte berichtet. Pressedienst des ukrainischen Präsidenten via EPA/Keystone

Aber: Dieser Angriff auf die russische Luftwaffe ist ein kleiner Schritt für die Ukraine. Und solche Erfolge müssen auch gelingen, wenn sie das militärische Blatt noch wenden will.

Heute Morgen, 2.06.2025, 6:48 Uhr ; 

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