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International «Mangels Alternative wird es zum Deal mit der Türkei kommen»

Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte sind in vielen EU-Staaten im Moment zweitrangig, wie der Leiter der Denkfabrik «Center for European Policy Studies» sagt. Vermutlich werde die EU am Flüchtlingsgipfel in Brüssel Ja zum Abkommen mit der Türkei sagen – und somit ihre Werte untergraben.

SRF News: Täuscht der Eindruck oder kämpft an diesem Gipfel eigentlich nur noch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel für eine Lösung?

Daniel Gros: In der Tat steht Merkel ziemlich alleine auf weiter Flur. Sie hat nur einen Überraschungsfreund: Griechenlands Ministerpräsidenten Alexis Tsipras. Denn Merkel will verhindern, dass Griechenland in eine noch schwierigere Lage gerät, weil sich die Flüchtlinge dort aufstauen.

Daniel Gros

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Daniel Gros ist Direktor des «Centre for European Policy Studies» in Brüssel. Er leitet dort die Abteilung «Wirtschaft und Finanzen». Der Ökonom arbeitete früher für den IWF und als Berater der EU-Kommission oder der französischen Regierung.

Am Gipfel besonders im Fokus stehen die osteuropäischen Staaten. Sie müssten eigentlich Zusagen machen und Flüchtlinge übernehmen. Wie überzeugt man die Osteuropäer von einem solchen Abkommen?

Es ist die Notwendigkeit. Zwei Dinge sind zu tun: Einerseits gilt es den gesamten Flüchtlingsstrom etwas zu verringern. Das kann nur über das Abkommen mit der Türkei gelingen, denn es gibt praktisch keine Alternative. Andererseits müssen alle Staaten ein paar Flüchtlinge akzeptieren. Das werden auch die osteuropäischen Staaten einsehen müssen.

Das Angebot der Türkei hat etwas Bestechendes: Wenn die EU nur noch über die Türkei eingereiste Flüchtlinge aufnimmt, wird die gefährliche Bootsfahrt über die Ägäis unattraktiv, das Schlepperwesen verliert die Grundlage.

In der Theorie scheint das Angebot sinnvoll. Ob es sich in der Praxis aber dann wirklich so abspielt, ist eine andere Frage. Auch sollte man sich davor hüten, die Schlepper zu verteufeln. Denn eigentlich helfen sie ja bloss den Flüchtlingen in deren Not: Sie ermöglichen ihnen, ihr Ziel, von der Türkei nach Europa zu gelangen, zu erreichen.

Man sollte sich hüten, die Schlepper zu verteufeln.

Zumindest die gefährliche Bootsreise würde aber an Attraktivität verlieren.

Oft sind die Flüchtlinge nicht sehr gut informiert. Und vor allem sind sie vom Prinzip der Hoffnung geleitet: «Wenn wir erst einmal drüben sind, sind wir in der EU und dort gibt es gewisse rechtliche Mindestmassstäbe», sagen sie sich.

Audio
Hören Sie hier das Ganze Gespräch mit Daniel Gros
aus SRF 4 News aktuell vom 17.03.2016.
abspielen. Laufzeit 5 Minuten 25 Sekunden.

Für Kritik sorgen auch die geplanten Pauschalrückführungen in die Türkei. Das verletze das individuelle Recht auf ein Asylverfahren. Teilen Sie diese Meinung?

Ja, das stimmt. Aber in Brüssel hat man diesbezüglich bereits vorgesorgt. Statt Pauschalrückführungen will man nun Schnellverfahren einrichten. Jeder Flüchtling soll wenigstens kurz einzeln angehört werden. Mindestens formal wird die Rechtsstaatlichkeit also gewahrt.

Mit Schnellverfahren statt Pauschalrückführungen wahrt die EU die Rechtsstaatlichkeit wenigstens formal.

Die Türkei fordert im Gegenzug für das Flüchtlingsabkommen, dass die Visapflicht für ihre Landsleute für EU-Reisen wegfällt. Das Land erfüllt die technischen und auch politischen Bedingungen hierfür aber nicht. Läuft die EU nicht Gefahr, ihre Werte zu untergraben?

Das ist ganz klar die Entscheidung, vor der die EU steht. Das gilt sowohl für die Forderung der Türkei, als auch mit Blick auf die Frage, ob man die Flüchtlinge nicht einfach aufnehmen soll. Bisher hat sich leider in fast allen Mitgliedstaaten die Abschottungs-Linie durchgesetzt: Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte sind zweitrangig und deswegen ist ihnen jedes Mittel recht.

Eigentlich spricht vieles gegen ein Abkommen. Kommt es dennoch zustande?

Mangels besserer Alternative wird es wohl dazu kommen. Das werden auch die osteuropäischen Staaten einsehen müssen. Die Grenzen der EU lassen sich nicht einfach schliessen. Und solange tausende Flüchtlinge über das Meer strömen, kann man sie nicht einfach in Griechenland lassen und in Lager schicken. Es geht darum, das Problem praktisch etwas zu reduzieren. Lösen wird man es wohl nie.

Das Gespräch führte Salvador Atasoy.

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