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Marode New Yorker U-Bahn Eine amerikanische Tragödie

Einst war sie der Stolz einer ganzen Nation. Heute versinnbildlicht die New Yorker Subway, wie sich ein Land um seine Infrastruktur foutiert.

  • Die New Yorker U-Bahn, die Subway, ist die zweitälteste Untergrundbahn der Welt. Man merkt es: Sie genügt den Anforderungen längst nicht mehr.
  • Doch seit Jahrzehnten wurde kaum Geld in die Subway gesteckt. Schuld daran ist die amerikanische Abneigung gegen öffentliche Investitionen.
  • Jetzt will die wirtschaftlich blühende Metropole ihr Nahverkehrssystem auf Vordermann bringen.
  • Denn eine Milliardensanierung ist unumgänglich. Nur wer bezahlen soll, ist noch immer nicht klar.

Ein ganz normaler Tag im Untergrund von New York. Der Zug der Linie 4 rollt durch den Süden Manhattans. Quietschend, schnaubend und ratternd, die Wagen sind gerammelt voll. Nur wenige reden, zwei Frauen kichern, eine wühlt in ihrer Tasche, ein Mädchen liest in einem Buch.

Die meisten Passagiere starren auf ihre Handybildschirme. Oder einfach vor sich hin. Bei der Haltestelle Borough Hall in Brooklyn steigen viele aus, nur wenige Schritte von hier befindet sich New Yorks U-Bahn-Museum.

Subway, im Hintergrund die New Yorker Skyline.
Legende: Der verfallene Schick mag seinen Charme haben, doch die New Yorker U-Bahn ist hoffnungslos veraltet. Keystone

Der Eingang ist nicht leicht zu finden – eine unauffällige Treppe, die hinunterführt in eine ehemalige, längst aufgegebene Station. Alte U-Bahn-Waggons sind die Attraktion – von den Anfängen bis in die 1960er-Jahre.

Stolz bezeichnet die Führerin die New Yorker Untergrundbahn als eine der grossen Ingenieursleistungen in den USA: «Also lasst uns damit eine Ausstellung machen, die die Leute auch im 21. Jahrhundert geniessen können.»

Pendler in einer Archivaufnahme
Legende: Schon 1944 quetschten sich die Passagiere zur Rush Hour in die Züge. Heute geht vielen New Yorkern die Geduld aus. Keystone

Eine Zeitreise ist der Besuch der Ausstellung aber nur bedingt. Die Museumsstation sieht kaum anders aus als die heutigen 472 Haltestellen. Dieselbe Technik aus den 1930er-Jahren. Die Beleuchtung düster, die Platzverhältnisse eng, die Züge lottrig. Dazu krächzende Lautsprecher mit schwer verständlichen Durchsagen.

113 Jahre alt ist die New Yorker U-Bahn. Sie ist damit nach London die zweitälteste der Welt. Bis vor kurzem auch jene mit dem zweitlängsten Netz, bis Peking und Schanghai vorpreschten. Doch die gute alte Subway, das Blutbahnsystem der Zehn-Millionen-Metropole, ist marode.

Bürgermeister Bill de Blasio hat für seine Pressekonferenz in eine U-Bahn-Station eingeladen und spricht von einer Krise.

Seit Jahrzehnten wird sträflich wenig investiert. Bloss noch sechzig Prozent der Züge verkehren pünktlich. Jährlich gibt es mehr als 700 Brände. Nur wenige Linien besitzen ein computerisiertes Signalsystem. Haltestellen werden nur einmal im Monat gründlich geputzt.

Im Sommer ist es im Untergrund erstickend heiss. Berstend volle Züge und Bahnsteige sind ein Dauerärgernis. In Lokalsendern gehören Berichte über U-Bahnpannen und das U-Bahnchaos zur täglichen Ration.

Bill de Blasio
Legende: Der New Yorker Bürgermeister will voranschreiten – doch noch ringt die Politik, wer für die Kosten aufkommen soll. Keystone

Der Vertreter einer Interessengemeinschaft von Passagieren meint, der Gouverneur von New York sollte endlich den Unmut der Benutzer erfahren: «Er sollte den Druck von allen Seiten spüren. Die Passagiere sind wütend.»

Passagiere gibt es immer mehr. Ihre Zahl stieg in den vergangenen 25 Jahren von täglich vier auf sechs Millionen. Gedacht war die Infrastruktur für einen Bruchteil davon. Die Subway ist Opfer ihres Erfolges in einer notorisch verstopften Metropole.

Pendler in der Metro
Legende: Dichtestress auf amerikanisch: Es kann eng werden in der New Yorker, und dauern, bis man wieder rauskommt. Keystone

Sie ist zugleich Opfer der Politik. Vor allem im rechten politischen Lager, aber selbst darüber hinaus sind Investitionen in die öffentliche Infrastruktur des Teufels. Weshalb selbst in New York, einer der reichsten Städte der Welt, vieles verlottert.

Genau das kostet wiederum viel Geld: Ein städtischer Buchhalter hat ausgerechnet, die volkswirtschaftlichen Kosten der Verspätungen summierten sich jährlich auf 390 Millionen Dollar.

Problem erkannt, Lösung vertagt

Die Botschaft, dass es so nicht mehr weitergeht, scheint allmählich anzukommen. Der frühere, erfahrene U-Bahn-Chef Joseph Lhota wurde zurückgeholt. Ihm traut man am ehesten zu, die Subway wieder flottzukriegen. Bei seinem ersten öffentlichen Auftritt sprach er selber von einem maroden System:

Wir alle wissen, warum wir hier stehen: Die Qualität und die Leistung des New Yorker U-Bahn-Systems verschlechtern sich fortlaufend.

Endlich soll auch Geld fliessen. Dreissig Milliarden in fünf Jahren. Doch wer bezahlen soll, ist immer noch nicht klar. Was auch damit zusammenhängt, dass sich die beiden führenden New Yorker Politiker, obschon Parteikollegen, in herzlicher Abneigung verbunden sind.

Bürgermeister Bill de Blasio möchte die Rundumüberholung der Lebensarterien seiner Stadt mit einer Millionärssteuer bezahlen. Mario Cuomo, der Gouverneur des Bundesstaats New York, der eigentlich für die U-Bahn zuständig ist, will reiche Sponsoren suchen, die 600'000 Dollar und mehr bezahlen, wenn sie einer Haltestelle ihren Namen oder den ihrer Firma geben dürfen.

Immerhin sieht auch Cuomo inzwischen ein:

Die Subway-Krise bedroht die gesamte New Yorker Wirtschaft.

Doch die Passagiere bleiben skeptisch. Viele fürchten: Nachdem der «Sommer der Hölle» nun in den «Herbst der Frustration» übergegangen ist, komme wohl schon bald der «Winter der Blockade».

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