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Chance für einen Neuanfang in Montenegro
Aus Echo der Zeit vom 20.10.2020. Bild: Keystone
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Montenegro Dritan Abazović: Der Jungpolitiker, der den Balkan neu denkt

Nach den Parlamentswahlen in Montenegro begehren neue Kräfte auf – unter ihnen ein junger Idealist.

Gerne erzählt Dritan Abazović die Anekdote, wie er als Student zur Prüfung bei einem besonders strengen Professor antrat. «Er kam herein, schaute mich an und sagte: ‹He Kleiner, was machst du hier?› Ich antwortete, ich will die Prüfung ablegen. Er sagt: ‹Was? Du bist erst ein Jahr hier und willst schon die Zwischenprüfung ablegen?›»

Abazović bestand die Prüfung und verdiente sich bald den Respekt des berühmten Professors Esad Zgodić. Der Politologe und Philosoph wollte ihn für eine akademische Karriere an der Universität im bosnischen Sarajevo behalten. Aber Abazović zog es zurück in die Heimat Montenegro – er wollte seine Vorstellungen einer ethisch-moralischen Politik in die Praxis umsetzen:

Ein Premierminister übernimmt die Verantwortung für den Zustand seines Landes. Wenn Sie die Verantwortung nicht übernehmen und nicht zurücktreten, sind Sie nicht der Premier, sondern ein Usurpator.
Autor: Dritan Abazović Montenegrinischer Politiker

Als jüngster Abgeordneter im Parlament las Abazović dem mächtigsten Mann im Land, Milo Djukanović, die Leviten, machte ihn für Korruption, Machtmissbrauch und die Aushöhlung des Rechtsstaats verantwortlich.

Jetzt, vier Jahre später, hat Abazović auch in der Politik bewiesen, dass er nicht einfach der Kleine mit dem auffälligen dunklen Kraushaar ist. An ihm liegt es, welche Richtung Montenegro weltpolitisch einschlägt.

Milo Djukanovic
Legende: Rund 30 Jahre war Präsident Milo Djukanović an der Macht; alle Vorwürfe von Machtmissbrauch und Korruption prallten an seiner allmächtigen Partei ab. Ende August hat Djukanovićs Partei bei den Wahlen die Mehrheit im Parlament verloren. Keystone

Abazovićs Partei spielt Zünglein an der Waage. Sie hat zwar nur 4 von 81 Parlamentssitzen, aber ohne sie können die zwei anderen Oppositionsbündnisse keine Regierung bilden. Bloss: Das Bündnis, das am meisten Sitze geholt hat, hat eine andere Vorstellung von Montenegro. Es war gegen die Loslösung Montenegros von Serbien und hegt Sympathien für Russland.

Ganz anders als Abazović, der an der Ausrichtung auf Nato und EU festhalten will. Doch er ist bereit, mit den pro-serbischen und pro-russischen Rechtsnationalisten zusammenzuspannen. Nur so könne der korrupte Filz nach 30 Jahren Herrschaft von Djukanović abgeschüttelt werden.

Wissen Sie, wieso in unseren Nachbarländern Panik herrscht? Weil wir daran sind zu zeigen, dass auch unbesiegbare Regime besiegt werden können.
Autor: Dritan Abazović Montenegrinischer Jungpolitiker

Damit hat Abazović auf dem Balkan einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Das sei ein Pakt mit dem Teufel, gerade er als Mitglied der kleinen albanischen Minderheit in Montenegro müsste es besser wissen. Aber Abazović bleibt unbeirrt. «Viele Reaktionen sind gut gemeint», sagt er in einem viel beachteten TV-Interview. Gerade auch die Reaktion seines geistigen Vaters, des Professors Zgodić, der ihn eindringlich vor dem Schritt gewarnt hat.

Aber viele Reaktionen kämen von Leuten, denen es nicht um Rechtsstaat und Demokratie gehe, sondern darum, bestimmte Machthaber und deren undurchsichtige Einnahmequellen zu schützen: «Wissen Sie, wieso in unseren Nachbarländern Panik herrscht? Weil wir daran sind zu zeigen, dass auch unbesiegbare Regime besiegt werden können», sagt Abazović.

Er begründet seinen Optimismus auch mit einem ersten Verhandlungserfolg. Zusammen mit den beiden anderen Oppositionsbündnissen hat er die Grundsätze einer künftigen gemeinsamen Regierung festgelegt: Dazu gehört, dass an der Unabhängigkeit und Westausrichtung Montenegros nicht gerüttelt wird und Experten möglichst zu Ministern gemacht werden sollen.

Das politische Experiment von Abazović

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Legende: Keystone

Abazović hat seinen Wählerinnen und Wählern hoch und heilig versprochen, dass er nur so lange bei diesem Experiment mitmacht, wie die vereinbarten Grundsätze nicht infrage gestellt werden. Denn er müsse nicht um jeden Preis in der Politik sein.

«Es wäre beschämend, wenn ich aus Eigennutz die politischen Verhaltensmuster akzeptieren würde, die von den Leuten etabliert wurden, die Anfang der 1990er-Jahre auf dem Balkan reich und mächtig wurden und sich seither mit nationalistischen Spielen an der Macht halten, indem sie Zwietracht säen zwischen Serben, Bosniaken, Montenegrinern, Albanern und so weiter.»

Abazovićs idealistische Absichten sind glaubwürdig, auch sein ehemaliger Professor ist von seiner Aufrichtigkeit überzeugt. Trotzdem ist Zgodić skeptisch, dass die Rechnung aufgeht. Wie der Professor schaut der ganze Balkan gespannt auf den jungen Politiker.

Die einen fürchten, dass er den Anhängern eines Gross-Serbiens die Tür öffnet und die ganze Region in Brand setzt. Die andern hoffen, dass solch prinzipientreue junge Politiker auch in ihren Ländern den korrupten Machthabern entgegentreten.

Echo der Zeit vom 20.10.2020, 18.00 Uhr

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