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Opposition zu Orban in Ungarn «Die Regierung greift zu üblen Tricks»

Bernadett Szel, Kandidatin der Grünen, will Viktor Orban als Ungarns Ministerpräsident verdrängen. Das ist nicht leicht.

Im Fieber des Wahlkampfs kann man mit Politikern kaum richtig diskutieren. Sie reden schneller, als sie denken können, sie greifen zu den vorbereiteten Antworten in ihrem Kopf wie zur Munition in einem Waffenlager. In diesem Fieber ist Bernadett Szel schon jetzt, fünf Monate vor den Wahlen: «Wir glauben in Ungarn nicht mehr an kurze Wahlkämpfe, und als Premierministerkandidatin gebe ich mein Bestes, die Leute davon zu überzeugen, dass sie die grüne Partei wählen sollen.»

Szel ist 40 Jahre alt, schlank und hat langes, dunkles Haar. Sie tritt direkt gegen das Schwergewicht Orban an, Premier seit acht Jahren mit höchsten Beliebtheitswerten. Es scheint ein chancenloses Duell, und doch fällt die Grüne nie aus ihrer Rolle.

«Üble Tricks der Regierung»

Viele Leute sagten, Ungarn sei eine Diktatur, so Szel, andere sprächen von Autokratie. «Ich sage, das ist Orbans Ungarn. Doch das wird bald aufhören, denn die ungarische Bevölkerung wird betrogen, und die Regierung greift zu üblen Tricks.»

Die ungarische Bevölkerung wird betrogen und die Regierung greift zu üblen Tricks
Autor: Bernadett Szel Kandidatin der Grünen in Ungarn

Zu den Tricks gehört für Szel, dass die Regierung politische Werbung einschränkt, und gleichzeitig selber mit Steuergeldern eine Dauerkampagne fährt. Die grüne Partei musste etwa auf Plakate gegen die Erweiterung einer Atomkraftanlage unter russischer Führung, die die Regierung plant, verzichten. Eine von den Grünen geforderte Abstimmung über den Atomausstieg wurde für unzulässig erklärt.

Schwer im Nachteil sind Oppositionsparteien auch, weil Orban und ihm nahestehende Leute fast alle Massenmedien übernommen haben. Und die, so Szel, berichteten jetzt nur noch schlecht oder gar nicht über die Opposition.

«Orban sagt, er habe in Ungarn keine Feinde, nur Brüssel sei sein Feind. Als mir im Sommer viele Leute sagten, sie sähen keinen Herausforderer Orbans, da überzeugte ich meine Partei, mit mir als Premierministerkandidatin in die Wahl zu ziehen. Wir tun das zum ersten Mal. Es ist ein Zeichen, dass wir regieren wollen.»

Politische Situation in Ungarn

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  • In Ungarn ist seit 2010 Viktor Orban von der Partei Fidesz Ministerpräsident. Von 1998 bis 2002 war er dies schon einmal.
  • Orban gilt als populistischer Nationalkonservativer. Kritiker werfen ihm vor, das Land von einer Demokratie in eine Autokratie umwandeln zu wollen.
  • Im April 2018 finden Parlamentswahlen statt. Bernadett Szel von der grünen Partei will die nächste Premierministerin werden.

Breite Koalition ist undenkbar

Doch der Wille allein genügt nicht. Rein rechnerisch ist Orbans Fidesz-Partei nur von der Macht zu verdrängen, wenn die vielen linksliberalen Parteien alle zusammenspannen und auch noch die einst rechtsextreme und neuerdings gemässigt auftretende Partei Jobbik einbinden. «Sogar so wäre es noch schwierig, die Regierung abzulösen. Und die Menschen würden eine so grosse Koalition nicht akzeptieren. Die haben Vorlieben und sind nicht bereit, irgendeinen Oppositionspolitiker zu wählen.»

Wie schon vor vier Jahren lehnen die Grünen darum eine grosse Koalition aller linksliberalen Kräfte ab. Damals hat die Zersplitterung der Opposition Orban in die Hände gespielt.

Grüne wollen neuen Vertrauenspakt

Szel lässt sich dadurch nicht beirren. Die Sozialdemokraten etwa haben ihres Erachtens durch ihr Verhalten an der Macht bis vor acht Jahren jedes Vertrauen verspielt. «Wir wollen einen Neustart für Ungarn, eine neue Ära mit einem neuen Vertrauenspakt zwischen Politikern und Bürgern», sagt sie.

Laut einer Umfrage liegen die Grünen im liberalen Lager erstmals vorne, vor den Sozialdemokraten. Das freut die Chefin der Grünen, auch wenn die Zahlen nicht wirklich Grund zur Freude geben. Die Sozialdemokraten liegen bei 7 Prozent, die Grünen bei 8, Orbans Fidesz bei 49. Die neue Ära dürfte in Ungarn so schnell nicht anbrechen.

Orbans Pyramide auswechseln

Es gehört zum Wahlkampffieber, dass man kämpft und bis zuletzt an seine Chance zu glauben vorgibt.

Die Partei von Orban funktioniert wie eine Pyramide. Er sitzt an der Spitze. Und wir müssen die ganze Pyramide auswechseln.
Autor: Bernadett Szel Kandidatin der Grünen in Ungarn

Nur einmal verrät Bernadett Szel, dass sie langfristig denkt: «Die nächste Herausforderung sind die Wahlen im April. Aber dann kommen die Regionalwahlen. Und die Partei von Orban funktioniert wie eine Pyramide. Er sitzt an der Spitze, hat seine Leute aber überall, auf jeder Ebene. Und wir müssen die ganze Pyramide auswechseln.»

Sie und ihre Parteikollegen suchten darum ununterbrochen den Kontakt zur Bevölkerung auf der Strasse, in den Dörfern, im ganzen Land, auch jetzt und heute, sagt die Grünen-Chefin. Sie steht auf, bittet um Verständnis und geht.

Und da spürt man bei ihr erstmals neben der Gehetztheit der Wahlkämpferin den langen Atem, den es braucht im Kampf gegen das System, das Orban und seine Partei in vielen Jahren aufgebaut haben.

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