In der Türkei beginnt heute der Prozess gegen den deutschen Menschenrechtsaktivisten Peter Steudtner und zehn weitere Beschuldigte. Darunter sind auch Vertreter des türkischen Ablegers der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Ihnen wird eine staatsfeindliche Verschwörung vorgeworfen.
SRF News: Was genau wird Peter Steudtner vorgeworfen?
Luise Sammann: Der ganze Fall ist offiziell geheim, deshalb weiss niemand so genau, wie die genauen Vorwürfe lauten. Glaubt man jedoch der türkischen Regierungspresse, geht es um einen ganzen Cocktail an Vorwürfen. So soll Steudtner Mitglied gleich mehrerer Terrororganisationen sein: Zunächst ist dies die Gülen-Bewegung, welche laut der türkischen Regierung hinter dem Putsch vom Juli 2016 gestanden haben soll. Zudem soll er der kurdischen PKK angehören sowie einer linksextremen Organisation.
In Deutschland zeigt man sich – nicht zuletzt von Regierungsseite – schockiert über den Fall Steudtner. Berlin hat mehrmals seine Freilassung gefordert. Wie sind die Reaktionen in der Türkei selber?
Hier zählt vor allem das, was Präsident Erdogan sagt. Er sagte schon kurz nach der Verhaftung Steudtners im Juli, dass die Menschenrechtler, die an dem Seminar teilgenommen hatten, einen neuen Putsch vorbereitet hätten. Deswegen seien sie schuldig. Die Vorverurteilung durch Erdogan widerspricht natürlich jeder Beteuerung in der Türkei, es gebe hier noch ein unabhängiges Justizsystem.
Soweit die Beweise überhaupt bekannt sind, scheinen sie sehr dünn zu sein, um nicht zu sagen hanebüchen.
Gibt es Beweise für die vorgebrachten Vorwürfe gegen Steudtner?
Soweit die Beweise überhaupt bekannt sind, scheinen sie sehr dünn zu sein, um nicht zu sagen hanebüchen. So soll bei Steudtner eine Festplatte zum Thema Datensicherheit gefunden worden sein. Das soll ihn verdächtig machen. Allerdings drehte sich das Seminar ja gerade um das Thema Datensicherheit. Zudem soll bei den Verdächtigen eine Karte gefunden worden sein, die zeige, dass sie die Türkei spalten und aufteilen wollten. Ausserdem stützt sich die Anklage vor allem auf einen anonymen Zeugen, was ebenfalls problematisch ist.
Interessiert der Fall neben dem türkischen Präsidenten auch die ganz normalen Türken?
Ja. Alle Fälle inhaftierter Deutscher oder Deutsch-Türken, wie des Journalisten Deniz Yücel oder der deutschen Übersetzerin und Journalistin Mesale Tolu, deren Prozess vergangene Woche begonnen hat, werden vor allem in der regierungsnahen Presse regelrecht ausgeschlachtet. Diese zementieren ein Bild, das immer mehr Erdogan-nahe Türken haben, wonach Deutschland und Europa die Türkei angreifen und zerstören wollten. Auch die USA sollen hinter dem Putschversuch von 2016 stecken, so die hier gängige Meinung. Der Fall Steudtner ist also Teil der Verschwörungstheorie, wonach das westliche Ausland die Türkei zerstören wolle.
Die Ausländer werden von der Türkei in einer Art Geiselhaft gehalten.
Bezwecken die türkischen Behörden mit dem harten Vorgehen gegen Steudtner also politische Propaganda?
Das ist auf jeden Fall eine Vermutung, die wir Beobachter hier in der Türkei haben. Anders ist die sehr dünne Anklageschrift, die nur 14 Seiten umfassen soll, kaum zu erklären – bei einer geforderten Strafe von bis zu 15 Jahren Gefängnis. Man muss wohl zwischen den innen- und aussenpolitischen Zielen der türkischen Behörden unterscheiden: Innenpolitisch nützt der Regierung Erdogan alles, was den Eindruck verstärkt, dass das Ausland der Türkei feindlich gesonnen ist. So versucht Erdogan die Bevölkerung hinter sich und seine Politik zu scharen. Aussenpolitisch will man offenbar Stärke demonstrieren, indem man die Ausländer in einer Art Geiselhaft hält. Tatsächlich hat Erdogan angeboten, in der Türkei inhaftierte Ausländer gegen den in seinen Augen Putsch-Verantwortlichen Fetullah Gülen, der sich in den USA befindet, auszutauschen.
Das Verhältnis zwischen der Türkei und Deutschland hat sich seit den Verhaftungen von Yücel und Steudtner stark verschlechtert. Bekommen Sie selber das auch zu spüren?
Ja, deutlich. Das bekommt jeder der inzwischen bloss noch wenigen verbliebenen Europäern am Bosporus zu spüren. Früher genossen Deutschland und Deutsche in der Türkei ein grosses Ansehen. Jeder hatte einen Verwandten, der in Deutschland lebte und brachte auch gleich einen Grund vor, weshalb man die Deutschen bewunderte. Das hat sich inzwischen deutlich verändert. Viele Türken reagieren nun negativ auf Deutsche und vor allem deutsche Journalisten. Zum Glück machen die Türken einen Unterschied zwischen Regierung und normalen Menschen. Deshalb sind sie im persönlichen Umgang nach wie vor sehr freundlich, auch wird die türkische Gastfreundschaft weiter hochgehalten. Wenn sie aber herausfinden, dass ich Deutsche bin, kommt rasch die Frage, weshalb Deutschland und Europa denn die Türkei zerstören wollten. Die Menschen haben tatsächlich den Eindruck, der Aggressor komme aus dem Ausland und vor allem Deutschland wolle der Türkei schaden.
Das Gespräch führte Melanie Pfändler.