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Steudtner nach dem Gerichtsentscheid in Istanbul
Legende: Aktivist Steudtner ist wieder auf freiem Fuss und am Donnerstagmorgen in Berlin gelandet. Reuters

Prozess in der Türkei Freiheit für Steudtner – Ungewissheit für alle anderen

Der deutsche Aktivist kehrt zurück in seine Heimat. In der Türkei aber warten zahllose Inhaftierte auf ein faires Verfahren.

Luise Sammann hat den Fall Peter Steudtner von Anfang an begleitet. Unmittelbar nach seiner Verhaftung prognostizierte die deutsche Journalistin gegenüber SRF News: «Für die Türkei wird es schwierig, aus dieser Geschichte herauszukommen, ohne das Gesicht zu verlieren.»

Nun die überraschende Wende im Fall des Menschenrechtlers, der Anfang Juli zusammen mit weiteren Workshop-Teilnehmern wegen Terrorverdachts festgenommen worden war: Ein Gericht in Istanbul hat entschieden, Steudtner und seine Mitangeklagten bis zur Weiterführung des Prozesses am 22. November auf freien Fuss zu setzen.

Luise Sammann

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Die Journalistin Luise Sammann lebt und arbeitet seit 2009 in der Türkei und berichtet von dort für deutsche Medien über das Land sowie den Nahen Osten. Auch bei Radio SRF ist sie immer wieder zu hören.

«Eingeknickt ist die Türkei nicht», sagt Sammann nun. Aber die Freilassung sei ein Zeichen dafür, dass die Türkei Interesse an einer Normalisierung der Beziehungen zu Deutschland habe. Der Menschenrechtler Steudtner wird heute zurück in seiner Heimat Berlin erwartet, «und hat damit Glück im Unglück», meint Sammann.

Dass er jemals wieder einen Fuss auf türkischen Boden setzen wird, glaubt die Journalistin nicht. Für neun seiner Mitangeklagten, die türkische Staatsbürger sind, geht die Ungewissheit weiter: Sie dürften im Land bleiben und darauf hoffen, dass sie definitiv freigesprochen werden.

Ein Signal nach Berlin?

Steudtners Freilassung könnte nun dazu beitragen, das arg strapazierte Verhältnis zwischen Berlin und Ankara zu entspannen. Phasenweise hatte sich die Rhetorik gefährlich hochgeschaukelt – auch wegen der Inhaftierung deutscher Staatsbürger in der Türkei. Grünen-Chef Cem Özdemir, dem in einer Jamaika-Koalition Chancen auf das Amt des Aussenministers eingeräumt werden, bezeichnete diese jüngst als «Geiseln.»

Erdogan und Merkel
Legende: Nicht immer war das deutsch-türkische Verhältnis derart getrübt: Noch 2013 standen die Zeichen auf Aufbruch. Keystone/Archiv

Unmittelbar nach Steudtners Festnahme hatte auch der amtierende deutsche Aussenminister Sigmar Gabriel die Tonlage gegenüber Ankara verschärft: «Die Fälle sollen offensichtlich nur dazu dienen, jede kritische Stimme in der Türkei zum Schweigen zu bringen – auch Stimmen aus Deutschland.»

Nun schlägt Gabriel moderatere Töne an:

Erdogan mässigt seinen Ton

Anzeichen für eine Deeskalation nahm Sammann in der Türkei schon vor Steudtners Freilassung wahr. In den letzten Wochen habe Präsident Erdogan mit seiner Ausdrucksweise und seinem Auftreten durchscheinen lassen, «dass ein Interesse daran besteht, wieder in normale Fahrwasser zurückzukehren.»

Von normalisierten Beziehungen könne man deswegen aber noch lange nicht sprechen. Dass der Menschenrechtler wieder auf freiem Fuss ist, «könnte nun aber der Versuch sein, die Beziehungen zu Deutschland und Europa nicht noch weiter zu strapazieren. Eigentlich wurden sie schon längst überstrapaziert.»

Der Fall Steudtner ist glimpflich ausgegangen. Aber es sitzen weiterhin viele Journalisten, Menschenrechtler und aus politischen Gründen Verhaftete in türkischen Gefängnissen.
Autor: Luise Sammann Journalistin in Istanbul

Zum Misstrauen von Seiten Deutschlands trägt bei, dass sich weiterhin deutsche Staatsbürger in türkischer Haft befinden: «Deniz Yücel, der Korrespondent der ‹Welt›, sitzt etwa weiter ohne nachvollziehbare Gründe in einer Einzelzelle – und das seit Februar, ohne dass überhaupt Anklage erhoben wurde.»

Demo gegen die Verhaftung von Yücel im Winter 2017
Legende: Die Verhaftung von Deniz Yücel führte, wie hier in Berlin, zu Protesten. Reuters

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International rief die internationale Gemeinschaft heute dazu auf, den Druck auf Ankara aufrechtzuerhalten. Es bleibe nach den «schwierigen Instrumentalisierungen der türkischen Justiz (...) noch viel zu tun, um irgendwie von Normalisierung von Beziehungen zu sprechen», sagte der Generalsekretär von Amnesty International Deutschland, Markus Beeko, der Deutschen Presse-Agentur.

Auch für Sammann ist klar: «Der Kampf für Gerechtigkeit, eine unabhängige Justiz und Menschenrechte in der Türkei ist alles andere als beendet.»

Der Fall Steudtner in der Chronologie

5. Juli 2017 Türkische Polizeikräfte stürmen einen Menschenrechts-Workshop in einem Hotel auf einer Insel in der Nähe von Istanbul. Bei der Insel handelt es sich um Büyükada. Bei diesem Treffen sind Peter Steudtner und sein schwedischer Kollege Ali Gharavi als Referenten eingeladen. Beim Seminar wurde unter anderem über digitale Sicherheit gesprochen. Die zehn Teilnehmer – darunter auch die Direktorin von Amnesty International in der Türkei, Idil Eser –, werden festgenommen und nach Istanbul gebracht.
8. Juli 2017
Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan rückt die Festgenommenen während einer Pressekonferenz zum Abschluss des G20-Gipfels in Hamburg in die Nähe von Putschisten.
18. Juli 2017
Ein Istanbuler Gericht verhängt gegen die meisten Festgenommenen Untersuchungshaft – darunter auch gegen Steudtner, Gharavi und Eser. Der Grund: Die Beschuldigten sehen sich mit Terrorvorwürfen konfrontiert.
19. Juli 2017
Der deutsche Aussenminister Sigmar Gabriel bricht laut Auswärtigen Amt aufgrund der Verhaftungen der Menschenrechtler in der Türkei seinen Urlaub ab.
20. Juli 2017
Gabriel kündigt als Konsequenz aus der Inhaftierung Steudtners und anderer deutscher Staatsbürger eine Neuausrichtung der Türkei-Politik an: So verschärft das Auswärtige Amt die Reisehinweise für die Türkei. Zudem macht Gabriel die Freilassung der Inhaftierten zur Bedingung für Verhandlungen über die von der Türkei gewünschte Ausweitung der EU-Zollunion.
25. Juli 2017
Präsident Erdogan erhebt Spionagevorwürfe gegen die Bundesregierung und spielt dabei auf den Fall Steudtner an: «Du erlaubst dem Präsidenten und den Ministern der Türkei nicht, in deinem Land zu sprechen», sagt der Präsident. «Aber deine Agenten kommen und tummeln sich hier in Hotels und zerteilen mein Land.»
1. August 2017
Nach zwei Wochen Untersuchungshaft werden Steudtner und Gharavi vom Istanbuler Gefängnis im Stadtteil Maltepe in die rund 80 Kilometer entfernte Haftanstalt in Silivri verlegt. Dort sitzt auch der deutsch-türkische «Welt»-Korrespondent Deniz Yücel wegen Terrorvorwürfen in Untersuchungshaft.
8. Oktober 2017
Elf Menschenrechtler werden der Unterstützung beziehungsweise der Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation beschuldigt. Darunter ist auch der Amnesty-Vorsitzende in der Türkei, Taner Kilic, gegen den die Türkei bereits im Juni in Izmir Untersuchungshaft verhängt hat.
25. Oktober 2017
In Istanbul beginnt der Prozess gegen Steudtner, seinen schwedischen Kollegen Ali Gharavi und neun Mitangeklagte.

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