Luise Sammann hat den Fall Peter Steudtner von Anfang an begleitet. Unmittelbar nach seiner Verhaftung prognostizierte die deutsche Journalistin gegenüber SRF News: «Für die Türkei wird es schwierig, aus dieser Geschichte herauszukommen, ohne das Gesicht zu verlieren.»
Nun die überraschende Wende im Fall des Menschenrechtlers, der Anfang Juli zusammen mit weiteren Workshop-Teilnehmern wegen Terrorverdachts festgenommen worden war: Ein Gericht in Istanbul hat entschieden, Steudtner und seine Mitangeklagten bis zur Weiterführung des Prozesses am 22. November auf freien Fuss zu setzen.
«Eingeknickt ist die Türkei nicht», sagt Sammann nun. Aber die Freilassung sei ein Zeichen dafür, dass die Türkei Interesse an einer Normalisierung der Beziehungen zu Deutschland habe. Der Menschenrechtler Steudtner wird heute zurück in seiner Heimat Berlin erwartet, «und hat damit Glück im Unglück», meint Sammann.
Dass er jemals wieder einen Fuss auf türkischen Boden setzen wird, glaubt die Journalistin nicht. Für neun seiner Mitangeklagten, die türkische Staatsbürger sind, geht die Ungewissheit weiter: Sie dürften im Land bleiben und darauf hoffen, dass sie definitiv freigesprochen werden.
Ein Signal nach Berlin?
Steudtners Freilassung könnte nun dazu beitragen, das arg strapazierte Verhältnis zwischen Berlin und Ankara zu entspannen. Phasenweise hatte sich die Rhetorik gefährlich hochgeschaukelt – auch wegen der Inhaftierung deutscher Staatsbürger in der Türkei. Grünen-Chef Cem Özdemir, dem in einer Jamaika-Koalition Chancen auf das Amt des Aussenministers eingeräumt werden, bezeichnete diese jüngst als «Geiseln.»
Unmittelbar nach Steudtners Festnahme hatte auch der amtierende deutsche Aussenminister Sigmar Gabriel die Tonlage gegenüber Ankara verschärft: «Die Fälle sollen offensichtlich nur dazu dienen, jede kritische Stimme in der Türkei zum Schweigen zu bringen – auch Stimmen aus Deutschland.»
Nun schlägt Gabriel moderatere Töne an:
Erdogan mässigt seinen Ton
Anzeichen für eine Deeskalation nahm Sammann in der Türkei schon vor Steudtners Freilassung wahr. In den letzten Wochen habe Präsident Erdogan mit seiner Ausdrucksweise und seinem Auftreten durchscheinen lassen, «dass ein Interesse daran besteht, wieder in normale Fahrwasser zurückzukehren.»
Von normalisierten Beziehungen könne man deswegen aber noch lange nicht sprechen. Dass der Menschenrechtler wieder auf freiem Fuss ist, «könnte nun aber der Versuch sein, die Beziehungen zu Deutschland und Europa nicht noch weiter zu strapazieren. Eigentlich wurden sie schon längst überstrapaziert.»
Der Fall Steudtner ist glimpflich ausgegangen. Aber es sitzen weiterhin viele Journalisten, Menschenrechtler und aus politischen Gründen Verhaftete in türkischen Gefängnissen.
Zum Misstrauen von Seiten Deutschlands trägt bei, dass sich weiterhin deutsche Staatsbürger in türkischer Haft befinden: «Deniz Yücel, der Korrespondent der ‹Welt›, sitzt etwa weiter ohne nachvollziehbare Gründe in einer Einzelzelle – und das seit Februar, ohne dass überhaupt Anklage erhoben wurde.»
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International rief die internationale Gemeinschaft heute dazu auf, den Druck auf Ankara aufrechtzuerhalten. Es bleibe nach den «schwierigen Instrumentalisierungen der türkischen Justiz (...) noch viel zu tun, um irgendwie von Normalisierung von Beziehungen zu sprechen», sagte der Generalsekretär von Amnesty International Deutschland, Markus Beeko, der Deutschen Presse-Agentur.
Auch für Sammann ist klar: «Der Kampf für Gerechtigkeit, eine unabhängige Justiz und Menschenrechte in der Türkei ist alles andere als beendet.»