Vor drei Jahren führte die Niederlande das sogenannte «konsultative Referendum» ein. Seither kann die Bevölkerung zu einem politischen Thema eine Volksabstimmung erzwingen – sofern genügend Unterschriften zustande gekommen sind. Allerdings ist das Resultat des Urnengangs für die Regierung nicht bindend. Trotzdem will die Regierung das Referendumsgesetz wieder abschaffen. Im Gespräch erklärt SRF-Korrespondentin Elsbeth Gugger die Hintergründe.
SRF News: Hat die niederländische Regierung Angst vor dem Volk?
Elsbeth Gugger: Diese Frage ist eine treffende Zusammenfassung der aktuellen Situation. Es gab seit Einführung dieses neuen Gesetzes gerade einmal ein Referendum – und dessen Ausgang passte der Regierung ganz und gar nicht. Seither kann man schon sagen, dass die Regierung ein bisschen Angst vor dem Volk hat.
Es gab seit Einführung dieses neuen Gesetzes gerade einmal ein Referendum – und dessen Ausgang passte der Regierung ganz und gar nicht.
Um was ging es denn bei diesem Referendum?
Um das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine. Eine Mehrheit der Stimmbevölkerung lehnte dieses Abkommen über die wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit ab – und zwar mit 61 Prozent. Dieses Abstimmungsresultat manövrierte Premierminister Mark Rutte in eine sehr lästige Situation, weil die Niederlande als einziges EU-Mitglied dieses Assoziierungsabkommen nicht ratifizieren konnte.
Und deshalb will die niederländische Regierung das Referendum wieder abschaffen?
Sie müssen sich vorstellen: Es war eine unglaubliche Schlappe für Premier Rutte – nicht nur zuhause, sondern auch auf europäischen Parkett. Weil die Niederlande zu diesem Zeitpunkt auch noch den EU-Ratsvorsitz innehatten.
Mark Rutte war das aber eine Lehre. Er will einen solchen empfindlichen Gesichtsverlust nie mehr erleben.
Der Ausgang der Abstimmung hat Mark Rutte denn auch zehn Monate Gespräche auf EU-Ebene und im niederländischen Parlament gekostet und schlussendlich hat das niederländische Parlament dem Abkommen doch noch zugestimmt und mit einer leichten Veränderung ratifizieren. Mark Rutte war das aber eine Lehre. Er will einen solch empfindlichen Gesichtsverlust nie mehr erleben. Deshalb soll dieses blutjunge Referendumsgesetz wieder abgeschafft werden.
Wie hoch sind denn die Hürden für ein Referendum in den Niederlanden?
Für ein gültiges Referendum müssen innerhalb von vier Wochen insgesamt 10'000 Unterschriften gesammelt werden. Ist diese erste Hürde genommen, sind weitere 300'000 Unterschriften vonnöten – und das innerhalb von sechs Wochen.
Die Initianten dieses Ukraine-Referendums hatten sich deshalb etwas einfallen lassen. Sie bauten eine App, auf der die Menschen alle notwendigen Angaben ausfüllen und darauf elektronisch unterschreiben konnten. Danach mussten diese Formulare noch ausgedruckt werden, weil der niederländische Wahlrat die Unterschriften nur auf diese Weise akzeptiert. Der Wahlrat hat die Unterschriften kontrolliert, aber im Gegensatz zur Schweiz gab es nur Stichproben.
Wie kommen die Abschaffungspläne beim Volk an?
Auf die Strasse geht deswegen niemand. In den Niederlanden gibt es keine Referendumskultur.
In den Niederlanden gibt es keine Referendumskultur.
Aber natürlich werden in den Zeitungen Meinungsstücke von Professoren und Fachleuten publiziert, welche die schnelle Abschaffung als Fehler bezeichnen. Zudem wird die Abschaffung bedauert, weil die Einführung des rat gebenden Referendums als Sprungbrett für die Einführung eines bindenden Referendums hätte dienen sollen. Dieser Plan ist jetzt vom Tisch. Es gab bereits einen Gesetzesvorschlag für ein bindendes Referendum. Dieser wurde inzwischen schubladisiert.
Wie verläuft die Debatte im Parlament?
Die Opposition hat stark für den Erhalt dieses Referendums gekämpft. Sie forderte auch ein Referendum über die Referendums-Abschaffung. Durchgekommen ist sie mit dieser Forderung aber nicht. Das höchste Rechtsorgan der Niederlande sagte ausserdem, dass es nicht nötig sei, darüber abzustimmen. Das Volk darf dazu also nichts sagen. Dies ist ganz im Sinne der Regierungsparteien – insbesondere der zuständigen Innenministerin Kajsa Ollongren. Sie will das Gesetz lieber heute als morgen vom Tisch haben.
Das mutet ein wenig seltsam an, zumal sie Politikerin der «Demokraten 66» ist. Eine Partei, die seit ihrer Gründerzeit in den 1960iger Jahren mehr direkte Demokratie verlangt hatte und sehr stark für dieses Referendum gekämpft hat. Dass gerade jetzt ein Mitglied der Partei für die Abschaffung von mehr Demokratie sorgen muss, ist doch allerhand – und wie es aussieht, wird das Parlament dieses Referendum begraben.
Das Gespräch führte Christoph Kellenberger