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Regierungskrise in Italien «Der Schachzug von Ex-Premier Renzi hat Salvini überrascht»

Die «Open Arms» wartet seit zweieinhalb Wochen auf die Erlaubnis, einen italienischen Hafen anzusteuern. Die Menschen an Bord werden ungeduldig.

Diese Szene spielt sich vor dem Hintergrund einer Regierungskrise in Italien ab, die Innenminister Matteo Salvini provoziert hat. Er ist es auch, der gegenüber Flüchtlingen und Migranten eine harte Haltung einnimmt. SRF-Mitarbeiter Rolf Pellegrini erklärt die Zusammenhänge.

Rolf Pellegrini

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Rolf Pellegrini war während Jahrzehnten für SRF, früher Schweizer Radio DRS, tätig. Unter anderem leitete er die «Echo»-Redaktion, war Frankreich- und zuletzt während mehr als einem Jahrzehnt Italien-Korrespondent. Aktuell unterstützt er die SRF-Berichterstattung aus Italien.

SRF News: Was ist denn auf der «Open Arms» passiert?

Rolf Pellegrini: Die Menschen an Bord des spanischen Rettungsschiffs «Open Arms» kommen aus Mali, Sudan, Gambia, Tschad, Eritrea, Ghana, Nigeria und anderen Staaten. Sie sind seit dem 1. August auf hoher See, 107 Menschen sind es noch. Sie seien verzweifelt und wütend, sagen die Helfer der «Open Arms». Fünf Migranten sprangen am Sonntag ins Meer. Sie wurden an Bord zurückgebracht.

Warum lässt Innenminister Salvini sie trotz Zusicherung mehrerer europäischer Staaten, Migranten von dem Schiff aufzunehmen, nicht an Land?

Salvini will nicht nachgeben, weil ihn seine Anti-Immigrationspolitik so populär gemacht hat. Seine These, dass die Hilfsorganisationen Helfershelfer der vorwiegend libyschen Sklavenhändler und Mafiosi seien, kommt gut an. Dass es Salvini aber nicht gelingt, die kleinen Boote abzufangen und dass er auch jene Migranten nicht abhalten kann, die über die grüne Grenze kommen, dringt nicht ins allgemeine Bewusstsein ein.

Die Regeln von Dublin

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Das erste europäische Land, das Immigranten betreten, hat die Aufgabe der Registrierung und Betreuung. Es trifft oft die Grenzstaaten im Mittelmeer. Die EU als solche ist mit einer koordinierten Aktion auf dem Mittelmeer noch nicht aktiv geworden.

Auch dass Salvini bisher keinen Erfolg bei der Ausschaffung der Hunderttausenden hatte, die illegal in Italien leben, wird vergessen.

Fallen die Reaktionen zur «Open Arms» in Italien positiv aus?

Die Zustimmung geht weit über seine direkten Anhänger hinaus. Freilich macht sich bei einigen Sympathisanten auch ein gewisses Unbehagen über das Ausschlachten des Themas Immigration durch Salvini breit.

Kommen auch im Zusammenhang mit der Regierungskrise, die er vor zehn Tagen ausgelöst hat, Zweifel an Salvini auf?

Die Regierungskrise, die Salvini vom Zaun riss und mit der er beabsichtigte, rasch und glatt mit triumphalen Neuwahlen zum unangefochtenen Leader der Nation zu werden, ist seiner Kontrolle entglitten.

Der Überraschungsschachzug von Ex-Premierminister Renzi hat den Lega Boss überrascht.

Ein Wahlbündnis der Lega mit Melonis Rechtspartei Fratelli d’Italia und gleichzeitig mit Berlusconis Forza Italia hätte ihm ein sicheres Ergebnis bescheren sollen, doch Berlusconi will nicht mitspielen. Er mag Salvini nicht. Und der Überraschungsschachzug von Ex-Premierminister Renzi, der den Partito Democratico halb überzeugt hat, mit der Bewegung von Beppe Grillo und di Maio gemeinsame Sache zu machen, hat den Lega Boss überrascht.

Voraussichtlich am Dienstag beschäftigt sich das italienische Parlament mit einem Misstrauensantrag gegenüber Ministerpräsident Conte. Welchen Einfluss hat die aktuelle Lage auf der «Open Arms» darauf?

Premierminister Conte wird Innenminister Salvini in seiner Rechtfertigungserklärung am Dienstag nicht mehr verschonen. Er wird ihm dezidiert die Schuld am Regierungsschlamassel zuschieben. Er wird ihn auch der Illoyalität beschuldigen sowie der mangelnden Humanität, Bezug nehmend auf die Immigrationspolitik. Conte kann sich offene Worte erlauben, weil er das Vertrauen der EU geniesst. Salvini hingegen wird vom EU-Establishment als extremer Nationalist eingeschätzt. Er wird als einer beurteilt, der die Schulden Italiens weiter erhöhen würde. Und nicht zuletzt dank seiner Nähe zu Putin könnte er Italien international isolieren.

Das Gespräch führte Christina Scheidegger.

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