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Reportage Die Elbvertiefung oder: Herr Buckow fischt im Trüben

Nach langem Rechtsstreit wird zwischen Hamburg und Cuxhaven die Elbe ausgebaut – mit massiven Folgen für die Umwelt.

Betriebsamkeit an den Landungsbrücken im Hamburger Hafen – Marktschreier animieren zu Hafenrundfahrten, während ein Mann Sehnsuchtsmelodien auf seinem Akkordeon spielt.

Der Hamburger Hafen.
Legende: Der Hafen von Hamburg. SRF/Simone Fatzer

Der Hafen ist 100 Kilometer vom Meer entfernt. Die Elbe verbindet ihn mit der offenen Nordsee. Dass er im Herzen der Stadt liegt, macht ihn zum Lieblingsgebiet der Menschen in Hamburg.

Der Hafen ist Hamburg – und Hamburg ist der Hafen

Der Hafen schafft in der ganzen Region rund 150'000 Arbeitsplätze. Wolfgang Schwerdtfeger hat ein Leben lang im Hafen gearbeitet. Wenn der Rentner an die Bedeutung des Hafens denkt, bekommt er Gänsehaut. Die Weiterentwicklung des Hafens steht für ihn über allem. «Da sprechen wir mit einer Zunge. Über 800 Jahre hat der Hafen diese Stadt ernährt, aufgebaut und grösser werden lassen».

Wolfgang Schwerdtfeger im Hafenmuseum Hamburg.
Legende: Wolfgang Schwerdtfeger im Hafenmuseum von Hamburg. SRF/Simone Fatzer

Die Interessen der Hafenwirtschaft hatten stets die Unterstützung der Politik. Auch die meist sozialdemokratische Regierung forcierte jeden Ausbau. Diese Entwicklung zeigt sich auch gut an der Grösse der Containerschiffe.

Ausbau für neue Containerschiffe

Heute sind die grössten Containerschiffe 400 Meter lang, 61 Meter breit und laden bis zu 24'000 Standardcontainer. Die mächtigen Reedereien setzen auf immer grössere Schiffe. Das sei in dieser Wachstumsindustrie zwingend, um kostengünstig zu arbeiten, sagt Nils Haupt von der Hamburger Heim-Reederei Hapag-Lloyd. Weil die Schiffe gewachsen sind, musste auch die ganze Hafeninfrastruktur angepasst werden.

Die Fahrrinnenanpassung macht Hamburg wettbewerbs- und zukunftsfähig.
Autor: Nils Haupt Leiter Kommunikation Reederei Hapag-Lloyd

Auch die Elbe, das Nadelöhr zum Hafen, muss verbreitert und vertieft werden. Diese Elbvertiefung sei nötig, um konkurrenzfähig zu bleiben. «Diese Fahrrinnenanpassung macht Hamburg wettbewerbs- und zukunftsfähig.»

Fakten zur Elbvertiefung

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Ein Bagger im Hafen von Hamburg.
Legende: Keystone

Die Fahrrinnenanpassung betrifft 100 Kilometer der Unterelbe zwischen Hamburg und der Elbmündung bei Cuxhaven. Ziel ist, dass die riesigen Containerschiffe den Hamburger Hafen leichter erreichen und verlassen und an einer Stelle auch kreuzen können.

Es wird Material aus der Elbe ausgebaggert und dann vor der Nordseeküste wieder ins Meer verklappt. Belasteter Schlick aus dem Hafen wird ebenfalls in der Nordsee versenkt. Einen grossen Teil des Schlicks spült die Flut wieder in den Hafen zurück.

Das Projekt startete 2002 und sollte ursprünglich 385 Millionen Euro kosten. Inzwischen liegen die Kosten bei gegen 800 Millionen Euro. Zwei Drittel davon bezahlt der Bund, ein Drittel die Stadt Hamburg.

Politische und juristische Auseinandersetzungen haben das Projekt verzögert, der effektive Baubeginn war im Juli 2019. Bis zur Fertigstellung 2021 wird die Elbvertiefung rund 19 Jahre lang gedauert haben.

Kläger haben erreicht, dass die Planer nachbessern mussten. Sie müssen Ausgleichsflächen für den vom Aussterben bedrohten Schierlings-Wasserfenchel schaffen, der nur in dieser Region vorkommt.

Die Befürworter behaupten, dass die grossen Schiffe ohne Elbvertiefung in die Häfen von Rotterdam und Antwerpen ausweichen würden. Die Unternehmen könnten viel Geld, die Stadt Hamburg Steuergeld und Arbeitsplätze zu verlieren.

Gegner wie Umweltverbände befürchten ökologische Schäden und kritisieren, dass die Prognose des Containerumschlags von zu hohen Werten ausgehe. Fischer beobachten einen Rückgang von Tieren und verlieren durch die Verklappungen Fanggebiete. Obstbauern können durch die zunehmende Versalzung das Wasser aus der Elbe nicht mehr gebrauchen und Anwohner und Anwohnerinnen sorgen sich um die Deichsicherheit.

Doch gegen die jüngste Elbvertiefung – mit rund 800 Millionen gleich teuer, wie die Elbphilharmonie – gab es Widerstand.

Hamburg im Juni 2020: Ein Bagger holt bei Arbeiten zur Elbvertiefung Schlick aus einem Hafenbecken.
Legende: Hamburg im Juni 2020: Ein Bagger holt bei Arbeiten zur Elbvertiefung Schlick aus einem Hafenbecken. Keystone

Das berühmteste Gewächs Hamburgs: Der Schierlings-Wasserfenchel

Umweltverbände klagten gegen den Eingriff – aus Sorge um das Ökosystem. Die Planer mussten nachbessern; am Ende konzentrierte sich der juristische Kampf noch auf eine Pflanze, die es nur an der Elbe gibt: Der Schierlings-Wasserfenchel ist vom Aussterben bedroht. Für ihn müssen Ausgleichsflächen geschaffen werden. Die Stiftung «Lebensraum Elbe» hat mit der Klage nichts zu tun, bemüht sich aber, die Pflanze zu erhalten. «Wenn wir den Schierlings-Wasserfenchel nicht mehr haben, haben wir den ganzen Lebensraum hier nicht mehr», sagt Elisabeth Klocke.

Elisabeth Klocke und Gerwin Obst sorgen sich um den Lebensraum des Schierlings-Wasserfenchels.
Legende: Elisabeth Klocke und Gerwin Obst sorgen sich um den Lebensraum des Schierlings-Wasserfenchels. SRF/Simone Fatzer

Ausserhalb von Hamburg beginnt das Alte Land, der Obstgarten Deutschlands.

Angst vor einer erneuten Sturmflut und leeren Netzen

Marktfrau Heike lebt seit über 60 Jahren im Gebiet der Elbe. Die Elbvertiefung macht ihr grosse Sorgen, denn sie fürchtet eine Sturmflut wie vor fast 60 Jahren: «Bei der Sturmflut 1962 war ich Kind. Wir haben alles verloren zu Hause.» Damals starben 315 Personen. Die Elbvertiefung mache die Deiche weniger sicher und erhöhe den Sturmflutpegel, davor haben hier viele Angst.

Bei der Sturmflut 1962 war ich Kind. Wir haben alles verloren zu Hause.
Autor: Heike Marktfrau

Direkt vor dem Deich der Elbe in Jork arbeitet Lothar Buckow als einer der letzten Elbfischer. Jahrelang waren seine Netze voll mit Stint. Der kleine silberne Fisch kommt in die Elbe um zu laichen. Buckow belieferte den ganzen Hamburger Fischmarkt. Davon ist nichts übriggeblieben.

Lothar Buckow fängt in der Elbe kaum mehr Stint.
Legende: Lothar Buckow fängt in der Elbe kaum mehr Stint. SRF/Simone Fatzer

«Ich war immer zufrieden mit 300 Kilo Stint pro Tag. Gestern hatte ich gerade mal 24 Kilo. Der Fluss hat sich durch das Ausbaggern eingetrübt, es fehlt Sauerstoff. Die Fische überlebten das nicht und auch andere Tiere würden darunter leiden: «Wenn’s keine Stinte gibt, dann gibt es auch keine Seeschwalben.»

Wenn’s keine Stinte gibt, dann gibt es auch keine Seeschwalben.
Autor: Lothar Buckow Einer der letzten Elbfischer

Lothar Buckow hat mit anderen Fischern zusammen gegen die Elbvertiefung geklagt. 760'000 Euro hat sie das gekostet. Sie sind unterlegen.

Plakat gegen die Elbvertiefung: An der Elbe zwischen Hamburg und Cuxhaven ist man sich einig.
Legende: Plakat gegen die Elbvertiefung: An der Elbe zwischen Hamburg und Cuxhaven ist man sich einig. SRF/Simone Fatzer

Hein Lühs ist Obstbauer im Alten Land, ebenfalls in Jork. Seine jungen Apfelbäume haben viele braune Blätter. Das komme vom zunehmend salzigen Wasser durch die Elbvertiefung. Weil die Sommer heisser werden, müsse er die Bäume gegen Sonnenbrand mit Wasser aus der Elbe besprühen.

Hein Lühs’ Herzapfelhof leidet unter dem immer salzigeren Elbwasser.
Legende: Hein Lühs’ Herzapfelhof leidet unter dem immer salzigeren Elbwasser. SRF/Simon Fatzer

Die Planer aus Hamburg hätten den Zusammenhang zuerst abgestritten. Als es dann belegt wurde, hätten sie den Obstbauern Geld geboten. Doch das sei kein Ersatz für gutes Wasser.

Am Ende der Reise durch das von der Elbvertiefung betroffene Gebiet, bei der Elbmündung in Cuxhaven, liegt der Krabbenkutter von Torben Hinners.

Die Rotesand ist der Krabbenkutter von Torben Hinners in Cuxhaven.
Legende: Die «Rotesand» ist der Krabbenkutter von Torben Hinners in Cuxhaven. ZVG

Torben Hinners hat viel Geld verloren, weil er gegen die Elbvertiefung geklagt hatte. Der ausgebaggerte Schlick wird in seinem Fanggebiet verklappt. Dadurch kommt er mit dem Kutter nicht mehr hin. Durch das Ausbaggern hat auch die Fliessgeschwindigkeit zugenommen. Dadurch ist das Krabbenfischen gefährlicher geworden. Hinners hat sich deshalb einen grösseren Kutter kaufen müssen. Der hat mehr Kraft und kommt weiter hinaus aufs offene Meer.

Am Strand von Cuxhaven beginnt das Wattenmeer. Hier gehörten die Bagger der Elbvertiefung zum alltäglichen Bild, klagt Tanja Schlampp.

Legende Tanja Schlampp von der Initiative Wattenmeer-Schutz.
Legende: Legende Tanja Schlampp von der Initiative Wattenmeer-Schutz. SRF/Simone Fatzer

Die Baggerschiffe saugen Schlick vom Boden ab und verklappen es draussen ins Meer. Millionen Tonnen Dreck werden auch aus dem Hamburger Hafen ins Meer gekippt. In dem Schlick stecken Schadstoffe wie Blei, Quecksilber und Schweröl.

Wenn man sehen würde, wie tot der Meeresboden ist, dort wo die Klappfelder liegen, dann würden die Menschen viel mehr reagieren.
Autor: Tanja Schlampp Initiative Wattenmeer-Schutz

«Das ist hochtoxisch. Dies hat die Bundesanstalt für Gewässerkunde belegt», sagt Tanja Schlampp. Und: «Wenn man sehen würde, wie tot der Meeresboden ist, dort wo die Klappfelder liegen, dann würden die Menschen viel mehr reagieren.»

Tausende tote Fische schwammen im Sommer auf dem Wasser – gestorben an mechanisch erzeugten inneren Verletzungen. Auch wenn die Hafenbetreiber es leugnen würden, alles spreche dafür, dass die Bagger schuld seien.

Offene wirtschaftliche und ökologische Folgekosten

2021 soll die Elbvertiefung fertig sein. Doch es bleiben Fragen: Ist sie tatsächlich zwingend für die Wirtschaft von Hamburg? Der Hafenexperte Jan Ninnemann sagt, der Containerumschlag sei längst nicht so stark gewachsen wie vorausgesagt. Er ist überzeugt davon, dass die Elbvertiefung nicht alle Probleme lösen werde, wie das stets gesagt worden sei. Dafür müssten andere strukturelle Probleme gelöst und Innovationen gefördert werden.

Ich kann nicht verhehlen, dass ich aus wirtschaftlichen und aus ökologischen Gründen diese Elbvertiefung für einen grossen Fehler halte.
Autor: Dominik Lorenzen Fraktionssprecher der Grünen in Hamburg

Was sagen die Grünen in Hamburg zu den ökologischen Folgen? Die Regierungspartei hat das Projekt mitgetragen. «Ein Kompromiss», sagt Fraktionschef Dominik Lorenzen. Doch er sagt auch: «Ich kann nicht verhehlen, dass ich aus wirtschaftlichen und aus ökologischen Gründen diese Elbvertiefung für einen grossen Fehler halte.»

Doch bis man die Folgen der Elbvertiefung genau kennt, werden noch viele Containerschiffe die Elbe rauf und runter fahren.

SRF 4 News, 1.11.20, 12:03 Uhr

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