Betriebsamkeit an den Landungsbrücken im Hamburger Hafen – Marktschreier animieren zu Hafenrundfahrten, während ein Mann Sehnsuchtsmelodien auf seinem Akkordeon spielt.
Der Hafen ist 100 Kilometer vom Meer entfernt. Die Elbe verbindet ihn mit der offenen Nordsee. Dass er im Herzen der Stadt liegt, macht ihn zum Lieblingsgebiet der Menschen in Hamburg.
Der Hafen ist Hamburg – und Hamburg ist der Hafen
Der Hafen schafft in der ganzen Region rund 150'000 Arbeitsplätze. Wolfgang Schwerdtfeger hat ein Leben lang im Hafen gearbeitet. Wenn der Rentner an die Bedeutung des Hafens denkt, bekommt er Gänsehaut. Die Weiterentwicklung des Hafens steht für ihn über allem. «Da sprechen wir mit einer Zunge. Über 800 Jahre hat der Hafen diese Stadt ernährt, aufgebaut und grösser werden lassen».
Die Interessen der Hafenwirtschaft hatten stets die Unterstützung der Politik. Auch die meist sozialdemokratische Regierung forcierte jeden Ausbau. Diese Entwicklung zeigt sich auch gut an der Grösse der Containerschiffe.
Ausbau für neue Containerschiffe
Heute sind die grössten Containerschiffe 400 Meter lang, 61 Meter breit und laden bis zu 24'000 Standardcontainer. Die mächtigen Reedereien setzen auf immer grössere Schiffe. Das sei in dieser Wachstumsindustrie zwingend, um kostengünstig zu arbeiten, sagt Nils Haupt von der Hamburger Heim-Reederei Hapag-Lloyd. Weil die Schiffe gewachsen sind, musste auch die ganze Hafeninfrastruktur angepasst werden.
Die Fahrrinnenanpassung macht Hamburg wettbewerbs- und zukunftsfähig.
Auch die Elbe, das Nadelöhr zum Hafen, muss verbreitert und vertieft werden. Diese Elbvertiefung sei nötig, um konkurrenzfähig zu bleiben. «Diese Fahrrinnenanpassung macht Hamburg wettbewerbs- und zukunftsfähig.»
Doch gegen die jüngste Elbvertiefung – mit rund 800 Millionen gleich teuer, wie die Elbphilharmonie – gab es Widerstand.
Das berühmteste Gewächs Hamburgs: Der Schierlings-Wasserfenchel
Umweltverbände klagten gegen den Eingriff – aus Sorge um das Ökosystem. Die Planer mussten nachbessern; am Ende konzentrierte sich der juristische Kampf noch auf eine Pflanze, die es nur an der Elbe gibt: Der Schierlings-Wasserfenchel ist vom Aussterben bedroht. Für ihn müssen Ausgleichsflächen geschaffen werden. Die Stiftung «Lebensraum Elbe» hat mit der Klage nichts zu tun, bemüht sich aber, die Pflanze zu erhalten. «Wenn wir den Schierlings-Wasserfenchel nicht mehr haben, haben wir den ganzen Lebensraum hier nicht mehr», sagt Elisabeth Klocke.
Ausserhalb von Hamburg beginnt das Alte Land, der Obstgarten Deutschlands.
Angst vor einer erneuten Sturmflut und leeren Netzen
Marktfrau Heike lebt seit über 60 Jahren im Gebiet der Elbe. Die Elbvertiefung macht ihr grosse Sorgen, denn sie fürchtet eine Sturmflut wie vor fast 60 Jahren: «Bei der Sturmflut 1962 war ich Kind. Wir haben alles verloren zu Hause.» Damals starben 315 Personen. Die Elbvertiefung mache die Deiche weniger sicher und erhöhe den Sturmflutpegel, davor haben hier viele Angst.
Bei der Sturmflut 1962 war ich Kind. Wir haben alles verloren zu Hause.
Direkt vor dem Deich der Elbe in Jork arbeitet Lothar Buckow als einer der letzten Elbfischer. Jahrelang waren seine Netze voll mit Stint. Der kleine silberne Fisch kommt in die Elbe um zu laichen. Buckow belieferte den ganzen Hamburger Fischmarkt. Davon ist nichts übriggeblieben.
«Ich war immer zufrieden mit 300 Kilo Stint pro Tag. Gestern hatte ich gerade mal 24 Kilo. Der Fluss hat sich durch das Ausbaggern eingetrübt, es fehlt Sauerstoff. Die Fische überlebten das nicht und auch andere Tiere würden darunter leiden: «Wenn’s keine Stinte gibt, dann gibt es auch keine Seeschwalben.»
Wenn’s keine Stinte gibt, dann gibt es auch keine Seeschwalben.
Lothar Buckow hat mit anderen Fischern zusammen gegen die Elbvertiefung geklagt. 760'000 Euro hat sie das gekostet. Sie sind unterlegen.
Hein Lühs ist Obstbauer im Alten Land, ebenfalls in Jork. Seine jungen Apfelbäume haben viele braune Blätter. Das komme vom zunehmend salzigen Wasser durch die Elbvertiefung. Weil die Sommer heisser werden, müsse er die Bäume gegen Sonnenbrand mit Wasser aus der Elbe besprühen.
Die Planer aus Hamburg hätten den Zusammenhang zuerst abgestritten. Als es dann belegt wurde, hätten sie den Obstbauern Geld geboten. Doch das sei kein Ersatz für gutes Wasser.
Am Ende der Reise durch das von der Elbvertiefung betroffene Gebiet, bei der Elbmündung in Cuxhaven, liegt der Krabbenkutter von Torben Hinners.
Torben Hinners hat viel Geld verloren, weil er gegen die Elbvertiefung geklagt hatte. Der ausgebaggerte Schlick wird in seinem Fanggebiet verklappt. Dadurch kommt er mit dem Kutter nicht mehr hin. Durch das Ausbaggern hat auch die Fliessgeschwindigkeit zugenommen. Dadurch ist das Krabbenfischen gefährlicher geworden. Hinners hat sich deshalb einen grösseren Kutter kaufen müssen. Der hat mehr Kraft und kommt weiter hinaus aufs offene Meer.
Am Strand von Cuxhaven beginnt das Wattenmeer. Hier gehörten die Bagger der Elbvertiefung zum alltäglichen Bild, klagt Tanja Schlampp.
Die Baggerschiffe saugen Schlick vom Boden ab und verklappen es draussen ins Meer. Millionen Tonnen Dreck werden auch aus dem Hamburger Hafen ins Meer gekippt. In dem Schlick stecken Schadstoffe wie Blei, Quecksilber und Schweröl.
Wenn man sehen würde, wie tot der Meeresboden ist, dort wo die Klappfelder liegen, dann würden die Menschen viel mehr reagieren.
«Das ist hochtoxisch. Dies hat die Bundesanstalt für Gewässerkunde belegt», sagt Tanja Schlampp. Und: «Wenn man sehen würde, wie tot der Meeresboden ist, dort wo die Klappfelder liegen, dann würden die Menschen viel mehr reagieren.»
Tausende tote Fische schwammen im Sommer auf dem Wasser – gestorben an mechanisch erzeugten inneren Verletzungen. Auch wenn die Hafenbetreiber es leugnen würden, alles spreche dafür, dass die Bagger schuld seien.
Offene wirtschaftliche und ökologische Folgekosten
2021 soll die Elbvertiefung fertig sein. Doch es bleiben Fragen: Ist sie tatsächlich zwingend für die Wirtschaft von Hamburg? Der Hafenexperte Jan Ninnemann sagt, der Containerumschlag sei längst nicht so stark gewachsen wie vorausgesagt. Er ist überzeugt davon, dass die Elbvertiefung nicht alle Probleme lösen werde, wie das stets gesagt worden sei. Dafür müssten andere strukturelle Probleme gelöst und Innovationen gefördert werden.
Ich kann nicht verhehlen, dass ich aus wirtschaftlichen und aus ökologischen Gründen diese Elbvertiefung für einen grossen Fehler halte.
Was sagen die Grünen in Hamburg zu den ökologischen Folgen? Die Regierungspartei hat das Projekt mitgetragen. «Ein Kompromiss», sagt Fraktionschef Dominik Lorenzen. Doch er sagt auch: «Ich kann nicht verhehlen, dass ich aus wirtschaftlichen und aus ökologischen Gründen diese Elbvertiefung für einen grossen Fehler halte.»
Doch bis man die Folgen der Elbvertiefung genau kennt, werden noch viele Containerschiffe die Elbe rauf und runter fahren.