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Alexander Golovin, Botschafter Russlands in der Schweiz
Aus Tagesgespräch vom 25.08.2016. Bild: ZVG
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International Russland verstehen – Der Botschafter im Gespräch

Zaghafte Annäherung, gegenseitiges Unverständnis, diplomatisches Tauwetter: Das Verhältnis zwischen dem Westen und Russland ist gelinde gesagt kompliziert. Im «Tagesgespräch» liefert der russische Botschafter in der Schweiz Einblicke in die Befindlichkeit des Kremls.

Russland und der Westen, das ist eine Geschichte von unterschiedlichen Weltanschauungen und Interessen, und oft genug von Missverständnissen. Nach dem Zerfall der Sowjetunion lag der russische Bär darnieder, zusehends wurde er von der weltpolitischen Bühne verdrängt. Nun scheint er, zumindest was seine geostrategischen Ambitionen anbelangt, wiedererwacht.

Dieses Erwachen erlebt Alexander Golovin, russischer Botschafter in Schweiz, von Bern aus. Routiniert referiert er die Agenda des Kremls im Bürgerkrieg in Syrien. Ebenso routiniert steckt er die russischen Positionen im Ukraine-Konflikt ab.

Golovin steht seit 45 Jahren im diplomatischen Dienst, von Sowjet-Führer Breschnew über Andropow bis hin zu Gorbatschow erlebte er den Höhepunkt des Kalten Krieges, Glasnost, Perestroika, den Fall der Berliner Mauer und des Eisernen Vorhangs.

Wir haben immer noch nicht gelernt, einander zu vertrauen.
Autor: Wladimir Putin 2001 im deutschen Bundestag

Zur Person

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Legende: Keystone/Archiv

Alexander Vasiliyevich Golovin (geb. 1949) ist seit 2012 Botschafter der Russischen Föderation in der Schweiz. Golovin trat 1971 in den diplomatischen Dienst ein und wirkte in den Botschaften der BRD, DDR, Deutschlands und Österreichs.

Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ist viel geschehen, auch im Verhältnis zwischen dem Westen und Russland. Anfangs gab es durchaus ermutigende Zeichen: In den 1990er-Jahren verhinderten westliche Milliardenhilfen den russischen Staatsbankrott, Russland fand Aufnahme in Währungsfonds und Weltbank, und nach 9/11 stellte sich der Kreml auf die Seite der USA. Erste Anzeichen für einen Stimmungswandel gab es jedoch bald.

«Noch vor kurzem schien es, als würde auf dem Kontinent bald ein gemeinsames Haus entstehen», sagte Kreml-Chef Wladimir Putin 2001 in seiner vielbeachteten Rede im deutschen Bundestag. «Trotz der vielen süssen Worte leisten wir aber weiterhin heimlich Widerstand. Wir haben immer noch nicht gelernt, einander zu vertrauen».

«Respektlosigkeiten» des Westens

Doch was hat zum Vertrauensbruch geführt? «Vieles», sagt der russische Botschafter lakonisch, bevor er zusammenfasst, was in Russland als Zeichen mangelnden Respekts aufgefasst worden sei: Die Nato habe – entgegen den eigenen Versprechungen – die baltischen Staaten «intensiv umworben» und ihre militärische Infrastruktur bis an die russische Grenze ausgedehnt; auch hinterliesse es Spuren in der russischen Befindlichkeit, wenn die Nato eigenmächtig Raketenabwehrsysteme in Osteuropa stationiere.

Mit der zweifelhaften Rolle Russlands in der Ostukraine erlebte die Beziehung zum Westen einen neuen Tiefpunkt. Das bekam der russische Botschafter in Bern nach der Annexion der Krim am eigenen Leib zu spüren: «Es gab vereinzelte Fälle, in denen ich von Veranstaltungen ausgeladen wurde. Man setzte mich in Kenntnis, der russische Botschafter wäre unerwünscht, weil auf der Krim das Völkerrecht gebrochen werde.»

Man spricht wieder miteinander

Gespräche in Genf

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Die Aussenminister Russlands und der USA, Sergej Lawrow und John Kerry, berieten am Mittwoch telefonisch über die Lage in Aleppo. In der syrischen Stadt sollen die Voraussetzungen für eine Feuerpause geschaffen werden, um die Zivilbevölkerung mit Lebensmitteln und Hilfsgütern zu versorgen. Lawrow und Kerry werden sich am Freitag in Genf treffen.

Mittlerweile hat sich das diplomatische Klima zwischen West und Ost etwas verbessert. «Wir sind in ständigem politischen Dialog, daran gibt es keinen Mangel», sagt Golovin. Tatsächlich laufen die diplomatischen Drähte, nachdem sie sich auf dem Höhepunkt des Ukraine-Konflikts deutlich abgekühlt hatten, wieder heiss. Schon morgen treffen sich die Aussenminister Russlands und der USA, unter anderem, um über den Krieg in Syrien zu reden.

Man spricht also (wieder) miteinander, aber versteht man sich auch? «Es gibt Missverständnisse», beklagt der Botschafter, und meint damit ganz allgemein das Bild, das im Westen von Russland gezeichnet werde, auch in den Medien: «Es gibt Fälle, in denen Tatsachen vorsätzlich verdreht werden».

Der Diplomat nennt ein aktuelles Beispiel: «Letzte Woche kursierte in den westlichen Medien das Bild eines geretteten syrischen Buben.» Im Westen werde suggeriert, dies sei das Ergebnis russischen Bombardements. «Das», schliesst Golovin, «sind keine Missverständnisse mehr.» Der langjährige Diplomat widerspricht denn auch Berichten, dass Russland – so auch in Aleppo – Luftschläge über Wohnsiedlungen ausführe. Die Aussagen unabhängig zu überprüfen, ist freilich schwer.

Man kann anderen Staaten nicht die eigene Ordnung aufzwingen.
Autor: Botschafter Golovin Zum Export von Freiheit und Demokratie

Golovin umreisst derweil Russlands Interessen in Syrien. Kurzfristig: «Die Vernichtung des terroristischen Herdes», wie er es ausdrückt. Und langfristig: «Die Wiedereinrichtung eines friedlichen, einheitlichen und souveränen Staates, der positiven Einfluss auf alle Prozesse im Nahen Osten ausüben kann.» Scheint, als ob sich Moskau und Washington nicht gänzlich uneinig sind.

«Die Unterschiede bestehen in der Beurteilung dieser Krise», schränkt der Diplomat ein: «Wir meinen, dass es in der heutigen Welt ausgeschlossen ist, anderen Staaten die Ordnung des eigenen Landes aufzuzwingen. Unter den Umständen, die im Nahen Osten herrschen, sind solche Übungen gefährlich, und sie haben zu der Katastrophe geführt, die aktuell vorherrscht: Kriege, Terrorismus, Vertreibungen.»

Hat der Westen also versagt in seinem Bestreben, Freiheit und Demokratie in den Nahen Osten zu exportieren? Golovin relativiert mit diplomatischer Zurückhaltung.«Ich würde nicht sagen der ganze Westen».

Vertrauensbildende Massnahmen

Ungeachtet der gegenseitigen Vorwürfe: Hapert es grundsätzlich am Verständnis zwischen West und Ost, gibt es unüberwindbare politische und kulturelle Gräben? Der Botschafter verneint: «Russland ist ein Teil der europäischen Kultur, Teil des Christentums. Ich sehe keine gravierenden Unterschiede. Wenn ich meinem Verhandlungspartner im Westen etwas darlegen möchte, gibt es keine Schwierigkeiten.»

Um das gestörte Vertrauen zwischen Ost und West wiederherzustellen, plädiert Golovin für ein Ende stereotyper Vorstellungen über seine Heimat – und hebt die Schweiz hervor: «Wir wollen, dass der Westen uns und unsere Eigenheiten respektiert, wie wir es auch umgekehrt tun. In der Schweiz finden wir mehr Verständnis für unsere Besonderheiten, sie zeigt mehr Nachsicht und Vernunft.»

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