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International «Sie geben nun an, sie kämen aus einem Kriegsgebiet»

Hunderte von Flüchtlingen auf ihrem Weg in die nördlichen EU-Staaten sind an der griechisch-mazedonischen Grenze gestrandet. Mazedonien lässt nur noch Menschen aus Kriegsländern ins Land. Die UNO kritisiert das Vorgehen von Mazedonien scharf. Eine Selektion nach Nationalitäten sei nicht zulässig.

SRF News: Der Winter ist da. Wie ist die Situation der Flüchtlinge an der mazedonisch-griechischen Grenze?

Walter Müller

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Walter Müller war von 1995 bis 2001 Produzent beim «Echo der Zeit». Danach bis zu seiner Pensionierung 2015 Südosteuropa-Korrespondent auf dem Balkan. Seither berichtet Müller für Radio SRF als freier Mitarbeiter aus der serbischen Hauptstadt Belgrad.

Walter Müller: Dort herrschen ähnliche Wetterverhältnisse wie hier in der Schweiz. Es ist kalt und nass. Über 1000 Menschen waren gestern im Niemandsland auf der griechischen Seite. Dieses Niemandsland ist wie ein Sumpf, hunderttausende Menschen sind in den letzten Monaten dort durchgekommen. Alles ist nass und dreckig. Die meisten Leute haben Turnschuhe oder Sommerschuhe an. Einige versuchen, liegengelassenes Papier oder aufgefundenen Karton zu verbrennen, um etwas Wärme zu schaffen. Bäume oder Holz hat es dort schon lange nicht mehr. Vor allem die vielen Kinder leiden enorm unter diesen Zuständen. Die Stimmung ist aggressiv und verzweifelt. Einige protestieren, halten Plakate hoch und bitten um Einlass.

Werden die Menschen mit dem Nötigsten versorgt: Mit Wasser, Essen, Kleider?

Im Prinzip ja. Sowohl auf der mazedonischen wie auch auf der griechischen Seite sind Mitarbeitende von nationalen und internationalen Hilfswerken an der Arbeit. Die Menschen im Niemandsland sind aber wegen der blockierten Grenzen schwer zu erreichen. Nun sind etwa 200 Flüchtlinge in einen Hungerstreik getreten. Die haben sich in einer Gruppe zusammengetan und verweigern Nahrung und Wasser. Einige haben sich aus Protest den Mund zugenäht. Das ist ein drastischer Akt der Verzweiflung.

Audio
In Mazedonien gestrandet - wegen falscher Nationalität
aus Rendez-vous vom 25.11.2015. Bild: Reuters
abspielen. Laufzeit 5 Minuten 19 Sekunden.

Mazedonien will nur noch Menschen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak über die Grenze lassen. Wie kontrollieren die Behörden das? Viele Flüchtlinge haben ja gar keine Dokumente.

Das ist ein Wahnwitz. Die meisten Flüchtlinge liessen sich bis anhin in Griechenland registrieren oder in den Folgestaaten, und sie sagten auch, aus welchem Land sie kommen. Sie erhalten dann ein Formular, das berühmte weisse Papier. Das ist wie ein Passierschein, das sie an den Grenzen vorweisen konnten. Seit bekannt ist, dass die Balkanstaaten nur noch Menschen aus Kriegsländern passieren lassen, sieht die Situation ganz anders aus. Bei der Registrierung geben sie an, sie seien aus Afghanistan, Irak oder Syrien, also aus einem Kriegsland, ungeachtet dessen, woher sie wirklich kommen.

Das zeigt auch, dass die ganze Übung mit der Registrierung nur dazu dient, den Menschenstrom nach Nordeuropa zu verlangsamen. Denn Deutschland, Schweden und Österreich machen im Prinzip dasselbe, sie verlangsamen den Strom. Dies wirkt sich nun direkt bis an die griechisch-mazedonische Grenze aus. Das bedeutet aber auch, dass sich die Flüchtlinge wieder an Menschenschmuggler wenden, die damit Kasse machen. Sie machen das, damit sie irgendwie weiterkommen. Und sie werden andere Wege finden.

Mazedonien steht ganz am Anfang der Balkan-Route. Wie sieht die Situation in den weiteren Balkanstaaten aus?

Auf diesem Weg sind noch Serbien und Kroatien ganz oben. Dann kommt Slowenien. Grundsätzlich arbeiten diese Behörden nun besser zusammen. Sie koordinieren in einem gewissen Masse, die Flüchtlinge werden dann an den Grenzen eingewiesen.

Serbien baut winterfeste Unterkünfte aus, aber immer noch zu wenige. Aber immerhin müssen in Serbien, Kroatien und Slowenien die Flüchtlinge nicht mehr draussen übernachten. Aber sie müssen beispielsweise in Südserbien für die Registrierung bis zu zehn Stunden im Freien und in der Kälte anstehen.

Die EU tut sich schwer mit einer Lösung für die Flüchtlingskrise: Werden die Balkanländer im Stich gelassen?

Die EU schickt im Prinzip Geld, Grenzschützer, Wärmebildkameras und gute Worte, viel mehr eigentlich nicht. Serbiens Aussenminister sagte gestern noch einmal deutlich, dass Serbien und Mazedonien keinesfalls zum Kollektivzentrum für die EU werden wollen. Das würde passieren, wenn sich die Migranten in beiden Staaten rückstauen.

Die EU solle endlich sagen, was sie eigentlich machen wolle angesichts der Krise. Der Aussenminister war ziemlich aufgebracht. Aber Mazedonien und Serbien sind EU-Kandidaten, also noch keine EU-Mitglieder wie Kroatien und Slowenien. Die Gefahr ist nun, dass gerade Serbien gute Miene zum bösen Spiel macht, um Punkte für schnellere Beitrittsverhandlungen zu sammeln, oder anders gesagt: Serbien und Mazedonien halten für die EU den Kopf hin.

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