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Slowenisch-kroatische Grenze «Grenzstreitigkeiten sind immer schwierig und emotional»

Am alten Hafenquai von Koper sind ein knappes Dutzend Fischerboote festgebunden. Kirstjan Jež zeigt auf sein Boot und auf die seiner Kollegen. «Sehen Sie sich nur unsere Boote an. Die meisten sind 50 bis 60 Jahre alt. Wir haben kein Geld für die Erneuerung.» Die Unterstützung von Regierung und EU reiche nirgendwohin. So hätten die Fischer in Slowenien keine Zukunft, sagt der junge Mann.

Schiedsgericht entschied für Slowenien

Seit das Schiedsgericht in Den Haag im Grenzstreit mit den kroatischen Nachbarn vor einem Jahr entschieden hat, sehen die paar wenigen slowenischen Fischer erst recht schwarz. Sie wagen sich nicht mehr auf die andere Seite der Bucht von Piran, obwohl diese jetzt eigentlich grösstenteils zu ihrem Land, zu Slowenien gehören würde.

«Die Kroaten weigern sich, die Verschiebung der Grenze nach Süden zu akzeptieren und tun weiter so, als ob jener Teil der Bucht ihnen gehören würde.» Darum verteile nun die slowenische Polizei jedes Mal Bussen, wenn kroatische Fischer dort fischen. «Und unser Problem ist, dass inzwischen auch die kroatische Polizei uns aus Vergeltung büsst, wenn wir dort Netze auswerfen», erzählt Jež.

Kroatien stieg aus dem Verfahren aus

Vor seinem EU-Beitritt hatte Kroatien eingewilligt, dass der Streit mit Slowenien in Den Haag gelöst wird. Aber noch bevor die Schiedsrichter entscheiden konnten, stieg Kroatien mit Pauken und Fanfaren aus dem Verfahren aus.

Slowenien habe gemauschelt, begründete Kroatien diesen Schritt. Tatsächlich veröffentlichten kroatische Medien Tonbandaufzeichnungen, die zeigen, dass es zwischen dem Aussenministerium in Ljubljana und dem slowenischen Mitglied im Schiedsgericht unerlaubte Besprechungen gab. Kroatien verweigerte fortan jegliche Zusammenarbeit; auch noch, als sich das Schiedsgericht in einer Zusammensetzung, die die Neutralität wieder garantieren sollte, neu formierte.

Grenze seit 1991 umstritten

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Ein Boot in der Bucht von Piran
Legende: Reuters

Seit dem Zerfall von Jugoslawien ist die Grenze zwischen Slowenien und Kroatien umstritten. Slowenien führte an, dass die Bucht von Piran schon bis 1991 zum grössten Teil unter slowenischer Verwaltung stand und dass Slowenien ansonsten keinen Meerzugang habe. Kroatien beansprucht ebenfalls den grössten Teil der Bucht und argumentiert, dass slowenische Schiffe so oder so berechtigt seien, kroatisches Seegebiet zu durchfahren. Am 29. Juli 2017 fällte das europäische Schiedsgericht ein Urteil, das grosse Teile der Bucht Slowenien zuspricht. Kroatien hatte aber das Verfahren schon vor dem Entscheid verlassen und anerkennt das Urteil daher nicht.

Zu wenig Entschädigung

Für Fischer Jež sind die Bussen, die ihm jetzt von kroatischer Seite drohen, zu teuer. «Unsere Regierung hat zwar einen Geldtopf bereitgestellt, um uns in dieser Situation zu helfen. Die 1750 Euro pro Halbjahr, die ich bekomme, sind aber viel zu wenig», sagt der Fischer.

Zudem habe die Regierung versprochen, sie würde sich um die Bussen aus Kroatien kümmern. Jetzt aber müssten sich die Fischer alleine damit herumschlagen. Das sei ein riesiger Zeitaufwand und es drohe ihnen die Festnahme, wenn sie nach Kroatien reisten. Jež ist nicht wütend auf die kroatischen Fischer auf der anderen Seite, sondern auf die Politiker auf beiden Seiten. «Die kroatischen Fischer sind in der genau gleichen Situation wie wir. Das Problem sind die Politiker, die hier gleich wie drüben versuchen, billig politische Punkte zu erzielen. Wir versuchen die Gemüter zu beschwichtigen, aber es ist schwierig. Wir Fischer sind Opfer der Politik.»

Kroaten wollen nicht nachgeben

Auf der anderen Seite der Grenze, 30 Kilometer weiter südlich liegt der kroatische Ferienort Umag. Daniele Kolec sitzt im Café direkt neben den Fischerbooten. Er engagiert sich politisch, ist Chef der Vereinigung Mare Croaticum und vertritt dezidiert die Position kroatischer Patrioten.

«Wir lassen doch nicht zu, dass die zehn slowenischen Fischer unseren 150 Fischern hier in Umag und in Savudrija den Fang wegnehmen», sagt Kolec. Die Bussen aus Slowenien beeindrucken uns nicht sehr. Die einen der Fischer machten weiter wie zuvor und die anderen hielten sich zurück. «Wenn dann die Zeit für den Flunderfang kommt, werden in den umstrittenen Gewässern alle fischen wollen», sagt Kolec. In den zwei, drei Monaten am Sommerende machen die slowenischen und kroatischen Fischer mit den Flundern jeweils den grössten Teil ihres Jahreseinkommens.

Der Krieg prägte die Menschen

Für Kolec ist der Schiedsspruch der Richter in Den Haag hinfällig. Er will die Grenze von Grund auf neu verhandeln. Er schlägt den Slowenen ein Kondominium vor. Das würde heissen, dass die Fischer beider Seiten in der ganzen Bucht von Piran ihre Netze auswerfen dürfen sollten. Die umstrittene Zone solle aber bei Kroatien bleiben.

Eine umgekehrte Lösung kann er sich unmöglich vorstellen. «Viele Kroaten haben ihr Leben im Kampf für ein unabhängiges Kroatien verloren. Ich selber war auch im Krieg. Kein Politiker der halbwegs bei Trost ist, verschenkt jetzt unser Territorium», sagt Kolec. Und er wirft den Slowenen vor, dass sie sein Land von Anfang an, seit dem Zerfall Jugoslawiens, miserabel behandelt haben.

Vorwürfe hüben und drüben

«25 Jahre lang hat Slowenien Kroatien immer wieder erpresst und gedroht, wenn ihr nicht unterschreibt, kommt ihr nicht in die EU», sagt Kolec. Erpressung seien auch die besonders pingeligen Kontrollen der slowenischen Zöllner während der Feriensaison, wegen derer die Touristen auf der Durchreise nach Kroatien in stundenlange Staus geraten. Auf den Vorwurf der Erpressung lässt sich der Standpunkt der Kroaten kondensieren.

Auf slowenischer Seite hat er ein Gegenstück: Milan Brglez ist Parlamentspräsident Sloweniens. Im ersten Stock der Staatsversammlung in Ljubljana hat er ein riesiges Büro. Er formuliert den Vorwurf der Slowenen an die Adresse Kroatiens. «Wir haben schon mehr als zehn Verträge ausgehandelt, aber jedesmal hat sich Kroatien am Schluss aus der Verantwortung gestohlen», sagt Brglez. Es sei schwierig, mit so einem Partner zu verhandeln.

«Die Kroaten agieren, als ob ihr Parlament über dem internationalen Recht stehen würde, als ob nur der Wille Gottes wichtiger sei als das Parlament in Zagreb», klagt Brglez. Im Umgang mit einem so unzuverlässigen Partner, der einfach auf seine Stärke setze, gebe es nur den Rechtsweg.

Weiterzug an den Europäischen Gerichtshof

Slowenien hat darum bei der EU-Kommission Beschwerde eingelegt und will den Fall weiter an den Europäischen Gerichtshof ziehen. So will es Kroatien doch noch zur Umsetzung des Schiedsspruchs bringen.

Danilo Türk ist Professor für internationales Recht und war bis vor sechs Jahren Staatspräsident Sloweniens. Das Grundproblem zwischen Slowenien und Kroatien sei das Vertrauen. Es habe von Anfang an gefehlt. «Als wir Slowenen uns von Jugoslawien abspalteten, kam es hier zu einem kurzen Krieg. Die Slowenen waren enttäuscht, dass ihnen die Kroaten nicht zu Hilfe kamen. Und als dann der lange Krieg in weiten Teilen Kroatiens losging, nahmen uns die Kroaten übel, dass wir unsere Unabhängigkeit so leicht erreicht haben», erklärt Türk.

Keine Vorbildwirkung

Es gehe in diesem Streit viel mehr um Emotionen als um materielle Vor- oder Nachteile. «Grenzstreitigkeiten sind immer schwierig und emotional, unabhängig davon, wie klein das Territorium ist, um das es geht», sagt der frühere Staatspräsident. Trotzdem müsse Europa diesen Grenzstreit sehr ernst nehmen.

«Die EU-Kommission hat ein Problem. Sie setzte sich damals beim EU-Beitritt Kroatiens stark dafür ein, dass ein Schiedsgericht den Fall löst. Die Lösung sollte Vorbild für all die anderen Streitigkeiten im ehemaligen Jugoslawien sein, die gelöst werden müssen, bevor die Länder der Region der EU beitreten können. Jetzt haben wir das Gegenteil, ein Präzedenzfall, der befürchten lässt, dass die EU-Erweiterung nicht die erhoffte Stabilität bringt», sagt Türk.

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