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International Ungarns waghalsiger Ausbau der Atomenergie

Deutschland und die Schweiz wollen aus der Atomenergie aussteigen. Nicht so Ungarn. Im Eilverfahren hat Regierungschef Viktor Orban dieses Jahr zwei neue Reaktoren bestellt – in Russland. Er verschuldet sich dafür mit 10 Milliarden Euro. Politisch und finanziell ein waghalsiger Schritt.

Es ist ein Ungetüm: das Atomkraftwerk Paks. An einer weiten Schleife der Donau stehen vier riesige Reaktorgebäude aufgereiht nebeneinander, vorne lindgrün angemalt, dazwischen zwei mal zwei schmale hohe Kamine. Einen halben Kilometer lang ist der Komplex.

Die vier Reaktoren in Paks erzeugen zusammen eine Leistung von 2000 Megawatt. Sie liefern rund die Hälfte des ungarischen Stroms. In den achtziger Jahren wurden sie von der Sowjetunion gebaut. Ab 2032 sollen sie einer nach dem anderen abgeschaltet werden. Als Ersatz hat Premier Viktor Orban in Russland jetzt zwei neue Reaktoren bestellt. Sie sollen zusammen rund 20 Prozent mehr Leistung haben als die alten Reaktoren und sollen direkt neben diesen gebaut werden.

Kritik an Orbans Geschäft mit Russland

Orbans Bestellung in Moskau kam überraschend. Eine Diskussion fand weder in der ungarischen Politik noch in der Gesellschaft statt.

Ein Autostunde von Paks entfernt, in der Hauptstadt Budapest, sitzt Bernadette Szél in ihrem Büro. Sie ist Parlamentsabgeordnete der Grünen und ärgert sich über Orbans Atomdeal mit Russland. «Der Vertrag mit Russland beeinträchtigt Ungarns Souveränität», sagt sie. Und Orbans Schmeichelkurs gegenüber Wladimir Putin ist ihr suspekt. Etwa wenn Orban verlange, dass die EU ihre Wirtschaftssanktionen gegen Russland lockere. Sie fragt sich, was er mit Russland im Schilde führt.

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Orbans waghalsige Atompläne für Ungarn
aus Echo der Zeit vom 15.12.2014. Bild: Reuters
abspielen. Laufzeit 6 Minuten 37 Sekunden.

Verantwortlich für den Ausbau des AKW in Paks ist Attila Aszódi. Er untersteht direkt dem Premierminister und ist mit seinen Mitarbeitern erst gerade in neue Büros im Zentrum Budapests eingezogen. Weil Ungarn das Geld für zwei neue Reaktoren nicht selber aufbringen könne, sei das Kreditangebot Russlands entscheidend gewesen. «Die Russen haben ein sehr günstiges Angebot gemacht», sagt Aszódi.

Ungarn komme zu 10 Milliarden Euro für 30 Jahre – zu so günstigen Zinsen, wie man sie sonst nirgends auf dem Markt finden würde. Dass die Zinssätze tatsächlich günstig sind, gestehen auch Kritiker ein. Und kaum jemand behauptet, dass russische Atomtechnologie grundsätzlich weniger sicher sei als die der Konkurrenten. Die wunden Punkte des Ausbaus von Paks sind andere.

Holt Ungarn die AKW-Kosten wieder rein?

Erstens: Mit dem 10 Milliarden-Euro-Kredit verschuldet sich der ungarische Staat massiv. Der Kredit entspricht 10 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Ungarn wird damit erst recht Mühe haben, die Maastricht-Kriterien zu erfüllen. Und zweitens: Ungarn muss aufpassen, dass es nicht gegen die Wettbewerbsregeln der EU verstösst. Aszódi ist zwar überzeugt, dass Ungarn den Strom aus Paks nicht werde subventionieren müssen. «Unsere Berechnungen zeigen, dass die zwei neuen Reaktoren eine Megawattstunde zum Preis von etwa 50 Euro erzeugen werden», sagt der Regierungsbeauftragte. Man werde den Strom teurer verkaufen können.

Die Grüne Bernadette Szél glaubt diesen Zahlen aber nicht. «Wenn wir Einsicht in diese Berechnungen verlangen und nach den grossen Kostenfaktoren fragen, heisst es immer, diese Informationen seien vertraulich», sagt sie. Es sei leicht, zu behaupten, dass etwas billig sei, wenn das Teure daran vertraulich bleibe.

Rückzahlung an Moskau hat einen Haken

András Deák ist Energie- und Russland-Experte bei der ungarischen Akademie der Wissenschaften. Er rechnet damit, dass sein Land wegen des AKW-Projekts tatsächlich Probleme bekommt mit der EU. Eine Verkettung der Probleme könnte Ungarn sogar zum Verhängnis werden, wie er glaubt. «Die grosse Gefahr sieht so aus: Wir beziehen den Kredit, dann geraten wir in Streit mit der EU, dann gibt es Probleme und Verzögerungen beim Bau, die Kosten steigen immer weiter an. Und ab 2025 müssen wir mit der Rückzahlung des Kredits beginnen – ob die Reaktoren laufen oder nicht.»

Woher dann das Geld nehmen, wenn es nicht vorhanden ist? Deák macht auf einen perfiden Haken aufmerksam: Im Vertrag mit Russland sei nämlich festgelegt, dass Moskau den ganzen Kredit auf einen Schlag von Ungarn zurückverlangen könne, wenn das Land mehr als 180 Tage im Verzug sei mit den Zins- und Rückzahlungen.

Zusammenhang mit der Gaspreisreduktion

Warum geht Orban dieses Risiko ein? Legt das wirtschaftliche Schicksal seines Landes quasi in die Hände Moskaus? «Ich glaube nicht, dass das eine Liebesgeschichte ist, sondern dass das einen ideologischen Hintergrund hat», sagt Deák. Das sei ein klarer Fall gewesen von Geschäft und Gegengeschäft.

Was also war das Gegengeschäft? Gleichzeitig mit den Verhandlungen über den AKW-Vertrag gewährte Russland einen beträchtlichen Nachlass beim Gaspreis. «Man muss ein bisschen naiv sein, um zu glauben, dass es da keinen Zusammenhang gab», sagt Deák. Das Brisante daran: Das billigere Gas aus Russland finanzierte indirekt eines von Orbans zentralen Wahlversprechen vom letzten Frühling. Er versprach tiefere Heizkosten für alle Haushalte.

Und was sagt die ungarische Bevölkerung zum Atomvertrag mit Russland? Nur wenige von ihnen sind grundsätzlich kritisch gegenüber der Atomenergie eingestellt. Und bei vielen ist das Vertrauen in Landesvater Orban noch unerschüttert.

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