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UNO-Hilfswerk nimmt Stellung UNRWA: «Es sind sehr, sehr schwerwiegende Vorwürfe»

Das Hilfswerk der UNO für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) steht zurzeit in der Kritik: Israel wirft ihm vor, zwölf seiner Mitarbeitenden seien am Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober beteiligt gewesen. Juliette Touma, Mediensprecherin der UNRWA, nimmt gegenüber SRF Stellung zu den Vorwürfen und erklärt, welche Auswirkungen der Zahlungsstopp zahlreicher Länder für das Hilfswerk haben könnte.

Juliette S. Touma

Kommunikationschefin UNRWA

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Im September 2022 wurde Juliette S. Touma zur Direktorin für Kommunikation beim UNO-Palästinenserhilfswerk UNRWA ernannt. Sie blickt auf eine über 20-jährige Tätigkeit bei den Vereinten Nationen zurück, in der sie mehrere Schlüsselpositionen innehatte. So war sie Chef-Mediensprecherin der UNO-Mission in Syrien und Leiterin der Kommunikationsabteilung des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen in Bagdad, Irak. Weiter hatte sie mehrere Kommunikationsfunktionen bei humanitären Missionen in Libyen und Irak. Ihren ersten Einsatz bei den Vereinten Nationen hatte sie in den besetzten palästinensischen Gebieten während der zweiten Intifada.

Bevor sie zu den Vereinten Nationen kam, arbeitete sie in den Bereichen Kultur, Kunst und Musik.

Juliette Touma hat einen Masterabschluss in globaler Medienkommunikation von der School of Oriental and African Studies (SOAS) an der Universität London.

SRF: Zwölf UNRWA-Mitarbeitenden wird vorgeworfen, am Hamas-Massaker vom 7. Oktober beteiligt gewesen zu sein. Wie kann so etwas bei einer UNO-Institution passieren?

Juliette Touma: Es sind sehr, sehr schwerwiegende Vorwürfe. Wir waren schockiert, als wir davon erfahren haben. Die israelische Regierung hat den UNRWA-Leiter über die Anschuldigungen informiert. Wir haben die Informationen geprüft und schnell gehandelt. Die beschuldigten Mitarbeitenden wurden sofort entlassen. Gleichzeitig haben wir zusammen mit dem UNO-Hauptquartier in New York geschaut, dass es eine Untersuchung gibt. Wir sind mit den Vorwürfen an die Öffentlichkeit gegangen, haben transparent gemacht, was wir wissen und was wir unternommen haben.

UNO-Generalsekretär António Guterres hat am Montag eine unabhängige Untersuchung angekündigt, um die Vorwürfe zu untersuchen.

Wir begrüssen diese Untersuchung. Die Untersuchung wird auf Ersuchen von UNRWA-Chef Philippe Lazzarini gemacht, es werden alle Vorwürfe gegen UNRWA angeschaut. Diese Untersuchung wird parallel geführt zur internen Untersuchung durch das UNO-Büro für interne Aufsichtsdienste in New York, dem höchsten Untersuchungsgremium der UNO. Wir hoffen, dass wir bis Ende März ein vorläufiges Untersuchungsergebnis bekommen. Ende April oder Anfang Mai soll es dann einen Abschlussbericht geben.

Wie lange waren die beschuldigten zwölf Mitarbeitenden bei der UNRWA beschäftigt?

Die Mitarbeitenden haben schon eine ganze Weile für UNRWA gearbeitet.

Die UNRWA legt allen Gastländern, in denen sie arbeitet, eine Liste mit den lokalen Mitarbeitenden vor. Die UNRWA teilt diese Liste auch mit Israel.

Was macht die UNRWA, um die Personen, die eingestellt werden, zu überprüfen?

Wie andere UNO-Organisationen haben auch wir ein System, um Referenzen zu prüfen. Wir fragen Personen, welche die Bewerber kennen, ob sie für sie bürgen können – das können ehemalige Arbeitgeber, Lehrer oder Vorgesetzte sein. Wir überprüfen auch, ob die Personen auf der UNO-Sanktionsliste stehen.

Ausserdem legt die UNRWA allen Gastländern, in denen sie arbeitet, eine Liste mit den lokalen Mitarbeitenden vor. Die UNRWA teilt diese Liste auch mit Israel. Letztmals haben wir das im Mai 2023 getan. Damals standen auch die Namen der Mitarbeitenden darauf, die nun beschuldigt werden, am schrecklichen Angriff auf Israel beteiligt gewesen zu sein. Der Staat Israel hat nie auf eine dieser Listen reagiert – weder letzten Mai noch davor.

Kann Israel Bedenken anmelden, wenn bei Personen auf der Liste Vorbehalte bestehen?

Genau aus diesem Grund teilt die UNRWA die Liste. In der Vergangenheit hat Israel aber noch nie auf eine der Listen reagiert.

Laut Medienberichten, die sich auf israelische Geheimdienstinformationen stützen, haben zehn Prozent der rund 13'000 UNRWA-Mitarbeitenden in Gaza Verbindungen zur Hamas oder dem Palästinensischen Islamischen Jihad.

Wir haben davon in den Medien gehört. Israel hat der UNRWA bisher keine offiziellen Informationen zu dieser weiteren, schwerwiegenden Anschuldigung übermittelt.

Die UNRWA hat keine Hilfsgüter, die seit Beginn des Krieges in den Gazastreifen gekommen sind, an die Hamas weitergegeben.

Das Wall Street Journal hat kürzlich berichtet, dass die Hamas seit Kriegsbeginn im Oktober UNRWA-Hilfsgüter im Wert von mehr als einer Million US-Dollar gestohlen haben soll – dies ebenfalls laut Geheimdienstinformationen. Was sagen Sie dazu?

Die UNRWA hat keine Hilfsgüter, die seit Beginn des Krieges in den Gazastreifen gekommen sind, an die Hamas weitergegeben. Wir leisten unsere Hilfe direkt. Unsere Mitarbeitenden fahren mit UNRWA-Lastwagen und UNRWA-Treibstoff. Sie fahren an die Grenze, holen die Lieferungen ab und bringen sie in unsere Lagerhäuser. Dort sichten UNRWA-Mitarbeitende die Güter, sortieren sie und erstellen Verteilpläne. Dann werden die Hilfsgüter auf Autos verladen, die zu den UNRWA-Unterkünften fahren. Dort nehmen unsere Mitarbeiter die Hilfsgüter entgegen und verteilen diese an die Menschen. So können wir sicherstellen, dass keine Hilfsgüter zweckentfremdet werden.

Die Lebensmittel sind in Säcke abgepackt. Wenn die Säcke leer sind, ist es für uns sehr schwer zu wissen, wie sie weiterverwendet werden.

Trotzdem gibt es Berichte, dass ein Teil der Hilfsgüter bei der Hamas landet.

Sehen Sie, wir liefern derzeit Lebensmittel für rund zwei Millionen Menschen. Die Lebensmittel sind in Säcke abgepackt. Wenn die Säcke leer sind, ist es für uns sehr schwer zu wissen, wie sie weiterverwendet werden. Sie können wiederverwendet werden. Es ist wie bei einer Tragtasche aus dem Supermarkt. Die Tasche kann von jeder Person recycelt und wiederverwendet werden.

Der Reputationsschaden für die UNRWA ist riesig. Mindestens 16 Länder – darunter die zwei grössten Geldgeber USA und Deutschland – haben ihre Zahlungen an das Palästinenserhilfswerk ausgesetzt.

Wir sind schockiert darüber, wie schnell die Geberländer die Entscheidung, die Finanzierung zu suspendieren, getroffen haben. Das sind Länder, die seit Jahren UNRWA-Partner sind und engagierte Geldgeber waren.

Das Finanzloch ist gross, etwa die Hälfte des UNRWA-Budgets fehlt.

Die UNRWA fordert alle Länder, die ihre Finanzierung eingestellt haben, auf, ihren Entscheid nochmals zu überdenken. Wir appellieren auch an andere Geber einzuspringen oder ihre Beträge zu erhöhen. Daneben suchen wir nach zusätzlichen Finanzierungsquellen, auch im privaten Bereich, von Stiftungen oder Einzelpersonen.

Das Finanzloch ist gross, etwa die Hälfte des UNRWA-Budgets fehlt. Wenn wir die fehlenden Mittel nicht zusammenbekommen oder die Finanzlücke zumindest teilweise stopfen können, dann werden die humanitären Operationen der UNRWA wohl Ende Februar oder Anfang März eingestellt.

Was würde das für die Menschen im kriegsversehrten Gazastreifen bedeuten?

Die kurze Antwort ist, dass Menschen wahrscheinlich sterben werden. Wir arbeiten gegen die Zeit – und gegen eine Hungersnot, besonders im Norden des Gazastreifens, wo die Not am grössten ist.

UNRWA-Generalkommissar Philippe Lazzarini war gestern in Katar. Werden nun die Golfstaaten bei der Finanzierung der UNRWA einspringen?

Philippe Lazzarini ist aktuell in den Golfstaaten unterwegs. Er war in Katar, in den Vereinigten Arabischen Emiraten und auch in Kuwait. Einerseits geht es darum, über die Krise im Gazastreifen zu informieren und was wir dagegen tun. Andererseits geht es auch darum, um über unsere Finanzkrise zu informieren. Ich habe im Moment keine Informationen dazu, ob die Golfstaaten bei der Finanzierung einspringen werden.

Das Gespräch führten Anita Bünter und Jonas Bischoff.

Tagesschau, 06.02.2024, 19:30 Uhr ; 

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