- Rund drei Viertel der stimmberechtigten Chileninnen und Chilenen haben an einer Volksabstimmung für eine neue Verfassung gestimmt.
- Das zeigen vorläufige Resultate nach Auszählung von knapp 94 Prozent der Wahllokale.
Zehntausende Menschen feierten in der Hauptstadt Santiago die
Entscheidung mit Feuerwerken und Jubelgesängen.
Die Chilenen sprachen sich in der Volksbefragung für die Bildung einer verfassungsgebenden Versammlung von 155 Mitgliedern aus, die je zur Hälfte von Männern und Frauen besetzt sein soll. Sie verwarfen den Vorschlag, auch
Parlamentarier an der Bildung der neuen Verfassung zu beteiligen – ein Zeichen des tiefen Misstrauens gegen Politiker in Chile.
Die derzeitige Verfassung ist 40 Jahre alt. Sie stammt aus der Zeit der Militärdiktatur von Augusto Pinochet. Während sie der Zentralregierung des südamerikanischen Landes viel Macht gibt, sind die Einflussmöglichkeiten von Bürgerinnen und Bürgern begrenzt.
Die Befürworterinnen und Befürworter einer neuen Verfassung wollen nun die soziale Rolle des Staates stärken, Grundrechte auf Arbeit, Gesundheitsversorgung, Bildung und Trinkwasser aufnehmen sowie die Anerkennung der indigenen Völker festschreiben.
Die Erwartungen seien nun sehr hoch und die Probleme sind dringend, so SRF-Korrespondentin Karen Naundorf. So leben beispielsweise 80 Prozent der Rentner in Armut. «Sie hoffen auf eine schnelle Besserung ihrer Lage und die dürfte es vermutlich nicht geben. Ein Verfassungsprozess dauert lange und er bringt auch Fallstricke mit sich.» Und am Ende müsse über die neue Verfassung erneut abgestimmt werden – und zwar mit einer Zweidrittelmehrheit, so legt es die alte Verfassung aus der Diktatur fest.
Der chilenische Präsident Sebastián Piñera sprach am Sonntag von einem Sieg für die Demokratie. Doch die Demonstranten haben zwei Hauptforderungen, so SRF-Korrespondentin Karen Naundorf. «Eine ist ein neuer Gesellschaftsvertrag und die zweite ist der Rücktritt des Präsidenten. Piñera steht für sie für den Machterhalt des alten Systems und tatsächlich hat er lange alles dafür getan, die Proteste zu unterdrücken.»
Auslöser des Referendums waren – vor dem Hintergrund einer angespannten wirtschaftlichen Lage – massive soziale Proteste im vergangenen Jahr. Wenn es keine echten Verbesserungen gebe – Bildungschancen, würdige Renten, das Recht auf Wasser, dann würden die Proteste wieder aufflammen, so Naundorf.