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International Von deutscher Einheit ist zurzeit nicht viel zu spüren

Heute feiert Deutschland den Tag der Deutschen Einheit. Seit der Wiedervereinigung vor 26 Jahren ist der 3. Oktober Nationalfeiertag. Doch von Einheit ist zurzeit nicht viel zu spüren. Das Land und seine politischen Spitzen sind aufgewühlt und konfus.

Das mit der Einheit ist so eine Sache: Ein Grossaufgebot von 2600 Polizisten stehen in Dresden im Einsatz, 1400 Betonsperren wurden aufgestellt. Bundeskanzlerin Merkel und Bundespräsident Gauch wurden heute ausgepfiffen, mit Rufen «Merkel muss weg» und «Haut ab» empfangen.

Deutschland am 3. Oktober 2016 ist ein Land überwältigt von Emotionen, die hochkochen. Selbst Physikerin Angela Merkel musste das unlängst zur Kenntnis nehmen. «Es heisst ja neuerdings, wir lebten in postfaktischen Zeiten. Das soll wohl heissen, die Menschen interessieren sich nicht mehr für Fakten. Sie folgen allein die Gefühlen.»

Ein ganz besonderer Herbst

Nun sind Gefühle genauso real wie Fakten. Und wie: 12 Prozent würden AfD wählen, wäre morgen Bundestagswahl. Und die AfD ist die Partei Emotionen: Zwei Drittel ihrer Wähler sagen von sich selbst, dass sie nur aus Protest, Ärger und Wut für die AfD stimmen.

Fakten spielen im Herbst 2016 in Deutschland eine überraschend geringe Rolle. Einige Beispiele: Die CSU tut noch immer so, als ob Zehntausende Flüchtlinge an der bayerischen Grenze stehen. Anfänglich agierte CSU-Ministerpräsident Seehofer aus Sorge, ob Bayern den Flüchtlingsstrom bewältigen könne. Heute scheint es ihm mehr um die Macht und die Sorge vor der AfD zu gehen. Obwohl der Erfolg einer Protestpartei wie der AfD auch rasch in sich zusammenfallen kann.

Von der Willkommenskultur bis zu den Obergrenzen

Peter Voegeli

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Peter Voegeli ist seit Sommer 2015 SRF-Korrespondent in Deutschland. Er arbeitet seit 2005 für Radio SRF, zunächst als USA-Korrespondent, danach als Moderator beim «Echo der Zeit».

Tatsache ist, dass Deutschland ein Jahr nach Beginn der Flüchtlingskrise 890‘000 Menschen aufgenommen hat und dass das anfängliche Chaos vorbei ist. Alle Flüchtlinge haben ein Dach über dem Kopf. Sie sind alle registriert, allerdings nicht integriert. Frank-Jürgen Weise, der Chef der Bundesagentur für Arbeit und des Bundesamts für Flüchtlinge, der wichtigste staatliche Manager der Stunde: «Es hat jetzt ein knappes Jahr gedauert. Wir sind mit unserem Standards wieder so, was man von Deutschland erwarten kann.»

Das wäre eigentlich ein Grund, sich auf die Schultern zu klopfen. Dass dies nicht der Fall, liegt auch an Merkel. Fast ein Jahr lang liess sie sich für eine Willkommenskultur feiern, obwohl schon eine Woche nach den denkwürdigen Jubelszenen am Münchner Hauptbahnhof Innenminister de Maiziere erstmals auf die Bremse trat: Deutschland führe vorübergehend wieder Grenzkontrollen an den Binnengrenzen ein, sagte er damals. Ziel dieser Massnahme sei es, den derzeitigen Zustrom nach Deutschland zu begrenzen und wieder zu einem geordneten Verfahren bei der Einreise zu kommen.

Umfrage der Kirchen: Hilfsbereitschaft weiterhin gross

Seither wurden viele Massnahmen zur Begrenzung des Flüchtlingsstroms eingeführt. Merkel aber weigerte sich, von einer Obergrenze zu sprechen, und die Menschen in Deutschland fragten sich deshalb: Wie viele sollen denn noch kommen? Die Bundesregierung kritisierte Ungarn, heimlich schlägt aber vielleicht mancher ein Kreuz, dass die Balkanroute zu ist, auch wenn das nur Symptombekämpfung ist.

Die Stimmung in Bevölkerung ist wahrscheinlich noch immer besser, als sie in den Medien dargestellt wird. Ein Beispiel: Die Stadt Hannover hat ein Investitionsbudget von 100 Millionen Euro und legt nochmals 50 Millionen drauf, um Wohnungen für Flüchtlinge zu bauen. Obwohl Hannover diese Gäste nie eingeladen hat. Und obwohl sich die Sache nicht rechnet, trotz Unterstützung vom Bund. Die Hilfsbereitschaft habe kaum abgenommen, ergab eine repräsentative Umfrage der Evangelischen Kirchen.

Ein Jahr nur «haltloses Gerede»?

Doch die «Frankfurter Allgemeine Zeitung», ein Qualitätsmedium ersten Ranges, kommentiert seit Monaten mehrmals täglich, manchmal widersprüchlich und oft mit Schaum vor dem Mund über ein zusammenbrechendes Deutschland. Vor einer Woche schrieb ihr Schwesterblatt die «Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung» einen Artikel über «ein Jahr haltloses Gerede». Sie meinte damit nicht bloss die SPD, die Merkel eine unkontrollierte Willkommenskultur vorwarf, aber in der Grossen Koalition Kontrollen selbst Beschränkungen bei der Zuwanderung verzögerte.

Audio
Auf der Suche nach der Deutschen Einheit
aus Echo der Zeit vom 03.10.2016. Bild: Keystone
abspielen. Laufzeit 5 Minuten 25 Sekunden.

Die Lage in Deutschland ist besser, als sie sich anfühlt. Die Arbeitslosigkeit ist übrigens so tief wie nie seit der Wiedervereinigung vor 26 Jahren. Die Aufnahme der Flüchtlinge ist gelungen, die Integration, wie gesagt, noch nicht. Die Hilfsbereitschaft ist noch da, aber mehr Flüchtlinge möchten Menschen hier nicht mehr aufnehmen.

Dass sich die Diskussion in Zukunft doch noch versachlichen könnte, hat vielleicht ausgerechnet mit dem kommenden Wahlkampf zu tun. Denn CDU und CSU haben erkannt, dass ihr emotionaler Streit beiden politisch mehr schadet, als er einem von beiden nützen könnte.

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