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WHO gibt Kritik weiter «Eigentlich ist kein Land seinen Verpflichtungen nachgekommen»

Die Weltgesundheitsorganisation WHO richtet deutliche Kritik an die Länder der Welt, vor allem an die reichen. Sie wandte sich mit einem Positionspapier an die Gesundheitsminister der G20-Staaten. In diesem Papier wirft die WHO den Regierungen der Welt schwere Versäumnisse bei der Pandemie-Vorsorge vor. Es fehle an Fachpersonal, an guter Planung, aber auch die Forschung wird kritisiert und die schlechte internationale Zusammenarbeit angeprangert. Das deutsche Nachrichtenmagazin «Spiegel» hat die Inhalte aus dem WHO-Papier veröffentlicht. SRF hat bei der Spezialistin Ilona Kickbusch nachgefragt.

Ilona Kickbusch

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Ilona Kickbusch ist Beraterin für Gesundheitspolitik, sie berät Regierungen und internationale Organisationen. Sie hat lange selbst für die WHO gearbeitet und war Professorin an der Yale-Universität in den USA.

SRF News: Betrifft die harsche Kritik der WHO alle Staaten?

Ilona Kickbusch: In gewisser Weise ja. Es gibt ja ein internationales Instrument, die internationalen Gesundheitsvorschriften, die die Mitgliedsstaaten der UNO verhandelt haben. Die Analyse dieser Verpflichtungen zeigen deutlich, dass eigentlich kein Land all diesen Verpflichtungen nachkommt.

Welche Verantwortung liegt den konkret bei den Staaten?

Bei den Staaten liegt sehr viel Verantwortlichkeit, dass sie entsprechende Systeme der Vorbereitung aufbauen. Es geht dabei nicht nur um das Gesundheitssystem selber. Es geht darum, inwieweit sie andere Bereiche der Politik oder der Wirtschaft auf eine Pandemie vorbereiten.

Die Kritik richtet sich an die reichen Länder der Welt, denn die G20 hätten die Mittel. Warum wurde denn die Pandemie-Vorsorge derart vernachlässigt?

Weil man es nicht als politische Priorität gesehen hat. Das kann man ganz einfach so sagen. Man hat natürlich auch in den reicheren Ländern sehr stark auf die Effizienz von Gesundheitssystemen geschaut. Man hat in einer ganzen Reihe von Ländern – auch nach der grossen Finanzkrise – genau im Gesundheitswesen gespart. Die Länder hatten Pandemie-Pläne, aber sie haben diese Pandemie-Pläne nicht ausgeführt.

Vielleicht muss man sich ja auch bewusst machen, dass es eine Pandemie wie die aktuelle seit Generationen nicht mehr gab. Kann man es den Regierungen wirklich zum Vorwurf machen, wenn sie die Gefahr unterschätzen?

Ja, darum geht es ja gerade. Man sagt ja auch nicht, ich investiere nicht in die Feuerwehr, weil ich darauf hoffe, dass nichts passiert, da es die letzten zehn Jahre nicht gebrannt hat. Wir machen das zum Teil beim Militär auch nicht. Dort investiert man. Aber man war nicht bereit.

Die WHO kann immer nur das machen, was die Mitgliedsländer sie machen lassen.

Den Ländern fehlte wohl die Vorstellung dafür, obwohl sehr viele Länder – wie auch die Schweiz – von der Sars-Pandemie betroffen waren. Wir sehen aber, dass viele Staaten, die ernsthafte Probleme mit Sars hatten, wie beispielsweise Südkorea, nun auch auf diese Krise sehr viel besser reagiert haben, weil sie nicht diese Vorstellung hatten, dass alles so weit weg von uns sei.

Die WHO ist von ihrer Aufstellung her eine warnende Organisation.

Hat die WHO selber vielleicht auch Fehler gemacht, wie die USA es ihr vorwerfen?

Die WHO kann immer nur das machen, was die Mitgliedsländer sie machen lassen. Man kann den Ball immer hin und her werfen und sagen: Ja, die Organisation mache nicht genug. Aber die WHO ist von ihrer Aufstellung her eine warnende Organisation, die darlegt, was gemacht werden muss – aber machen müssen es dann die Mitgliedsländer. Informationen zur Situation sind ja dann auch Ende Januar geflossen. Die meisten Länder haben aber erst im März wirklich angefangen zu agieren.

Trotzdem: Hat die WHO zu spät gewarnt? Hätte man die Grenzen zum Beispiel nicht früher schliessen können?

Dieses Warten entspricht einer sehr langen internationalen Tradition, in der man versucht, die Handelsströme nicht einzudämmen. Es wird aber schon länger gesagt, dass innerhalb der Gesundheitsvorschriften dieser Bereich überarbeitet gehöre. Nicht zuletzt auch deswegen, weil wir heute riesige Touristenströme haben. Man denke allein an das Aufkommen chinesischer Touristen weltweit.

Bleibt noch der Vorwurf, der WHO mangle es an Distanz zu Peking.

Die WHO ist ja eine Organisation, die extrem diplomatisch agieren muss. Sie ist eine UNO-Organisation. Die Entscheidungen über die Organisation laufen durch die Mitgliedsländer, und die Organisation wird zumindest in der Öffentlichkeit so gut wie nie öffentlich ein Land kritisieren.

Die WHO hat auch bis heute die USA nicht öffentlich kritisiert. Von daher sagt das aber nichts darüber aus, wie die WHO zum Beispiel direkt mit den Ländern spricht. Sie versucht zu überzeugen. Das ist natürlich auch mit China geschehen. Es war ja nicht zufällig, dass der Generaldirektor nach China gereist ist.

Von daher läuft eine pausenlose Kommunikation ab, die auch nicht ständig für alle öffentlich einsehbar ist. Und das ist, glaube ich, ein Kennzeichen der Vereinten Nationen, dass sie nicht versuchen, Länder vorzuführen, sondern zu garantieren, dass die Länder zusammenarbeiten. Das ist aber im momentanen geopolitischen Umfeld absolut extrem schwierig.

Echo der Zeit, 19.04.2020, 18 Uhr ; 

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