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International «Wir versagen als Zivilgesellschaft»

«Salafisten sind die besseren Sozialarbeiter», sagt der Autor Ahmad Mansour und meint: Islamistische Prediger holen muslimische Jugendliche in Europa oft dort ab, wo die Gesellschaft ihnen keine Angebote macht. Im Interview fordert er ein Umdenken der Politik und Taten von muslimischen Vereinen.

SRF News: Sie haben vor wenigen Tagen ein Buch vorgelegt mit dem Titel «Generation Allah. Warum wir im Kampf gegen religiösen Extremismus umdenken müssen». Sie beschreiben darin eine Generation junger Muslime in Deutschland, die die breite Basis für den Radikalismus eines IS oder einer Al-Kaida bilde. Wer ist die «Generation Allah»?

Zur Person

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Legende: Bild: Pamela Haling

Ahmad Mansour ist arabischer Israeli und lebt seit 2004 in Berlin. Er ist Psychologe und arbeitet für Projekte gegen Extremismus – etwa bei Hayat, einer Beratungsstelle für Deradikalisierung. Er schreibt zu Salafismus und Antisemitismus. Kürzlich erschien sein Buch «Generation Allah. Warum wir im Kampf gegen religiösen Extremismus umdenken müssen».

Ahmad Mansour: Diese «Generation Allah» existiert nicht nur in Deutschland, sondern auch anderswo in Europa und in den arabischen Ländern. Es handelt sich um Jugendliche, die hoch problematische Ideologien und Werte in sich tragen, die demokratiefeindlich und freiheitsfeindlich sind. Ihre Inhalte basieren auf patriarchalischen Strukturen, Gehorsam und problematischen Geschlechterrollen, sie sind anfällig für Verschwörungstheorien und Antisemitismus. Das Religionsverständnis dieser Jugendlichen ist sehr ausschliessend – das heisst: Nur sie besitzen die Wahrheit, alle anderen liegen falsch. Kritik lassen sie nicht gelten.

Wie schlägt diese Demokratiefeindlichkeit in Radikalismus um?

Die Anfälligkeit ist da. Islamisten treffen hier auf Jugendliche, die ihre Inhalte, ihre Opfer- und Feindbilder in abgeschwächter Form bereits kennen. Das bedeutet, dass die Missionierungsarbeit und die Rekrutierung bei dieser Generation sehr viel einfacher ist. Man muss das auch gar nicht immer mit den Terrororganisationen in Verbindung bringen. Allein die Tatsache, dass es hier Jugendliche gibt, die zur deutschen, zur Schweizer oder zur österreichischen Gesellschaft gehören, deren Werte und Verfassungen aber ablehnen, ist problematisch – auch wenn sie später nicht radikal werden.

Sie sagen, Salafisten seien die besseren Sozialarbeiter. Das sagt man in Deutschland auch von der NPD, die in Ostdeutschland gezielt dort ansetzt, wo staatliche oder gesellschaftliche Leerräume entstanden sind. Spielt es am Ende gar keine Rolle, von wem solche Angebote kommen?

Natürlich wird ein Ahmed oder ein Yilmaz nicht von der rechtsradikalen Szene angesprochen. Die Herangehensweise aber ist in der Tat bei all diesen Radikalen ähnlich. Sie sprechen Jugendliche an, machen ihnen Angebote und – was sehr ähnlich ist – auf beiden Seiten versagen wir als Zivilgesellschaft. Ich sage, Salafisten seien die besseren Sozialarbeiter, weil sie sehr nah an den Jugendlichen sind – an ihrer Sprache, ihren Themen, ihren Bedürfnissen. Sie wissen auch, wo sie diese Jugendlichen ansprechen müssen: Sie stehen vor Casinos, wo Jugendliche ihren allerletzten Euro verloren haben oder sind da, wenn diese mit ihrem Alltag nichts anfangen können. Die Sozialarbeit hingegen, die wir heute in Europa leisten, hat sich entfremdet von den Jugendlichen, da sind Welten zwischen Sozialarbeitern und Jugendlichen. Ein Beispiel: das Internet. Dort stösst eine Generation, die täglich viele Stunden online ist, auf massenhaft salafistische Inhalte, die ihnen Angebote machen. Von uns, von der Zivilgesellschaft, sieht man so etwas kaum.

Was können die westlichen Gesellschaften dagegen tun?

Das ist die Eine-Million-Euro-Frage. Wir brauchen wohl zuallererst einmal ein Bewusstsein, dass eine solche «Generation Allah» existiert. Wenn sie unterwegs in Schulen sind und die Lehrer fragen, werden sie feststellen, dass die Probleme da sind – etwa weil Mädchen nicht mehr zum Schwimmunterricht gehen oder weil Jugendliche unterschiedlicher Religionen gar nicht mehr miteinander kommunizieren. Die Probleme werden aber politisch verdrängt. Was es braucht, ist ein gesamtgesellschaftliches Umdenken: Wir müssen begreifen, dass wir in einer vielfältigen Gesellschaft leben, um solche Jugendliche überhaupt zu erreichen. Und weil wir sie vor allem in den Schulen erreichen, müssen wir unsere pädogischen Konzepte den Zielgruppen anpassen. Wir müssen in den Schulen vermehrt und differenziert politische Themen ansprechen: Nahost, Syrien oder Flüchtlinge. Passiert das nicht, suchen sich solche Jugendlichen im Internet eigene Erklärungen und landen bei den Radikalen. Hier sind sicher die Pädagogen gefordert. Wir müssen uns aber auch Gedanken machen über Online-Sozialarbeit – mit Menschen, die im Internet Gegennarrative schaffen oder sich auf Facebook in die Diskussionen einschalten.

Sie sagen, die Politik verdränge die Probleme.

Das Wichtigste ist der politische Wille zu begreifen, wer Partner ist bei der Bekämpfung von Radikalisierung und wer Teil des Problems. Leider werden viele muslimische Vereine, die ein Lippenbekenntnis gegen den Terror von sich geben, ganz schnell und mit Begeisterung von der Politik als Partner wahrgenommen. Wenn man aber ein bisschen tiefer blickt, merkt man ganz schnell, dass viele dieser Vereine das gleiche Islamverständnis wie die Radikalen haben – nur in abgeschwächter Form. Sie betreiben Angstpädagogik, eine Tabuisierung der Sexualität, einen buchstabengetreuen Glauben, sie schaffen Opfer- und Feindbilder und sind nicht in der Lage, sich mit Antisemitismus in den eigenen Reihen zu befassen. Und wenn man solche Vereine und Verbände dann als Partner bei der Bekämpfung gegen Radikalisierung vorstellt, hat man nicht verstanden, wo die Probleme liegen. Das ist naiv. Wir müssen diese Vereine viel stärker in die Pflicht nehmen.

Ihre Befunde beziehen sich auf Deutschland. Lassen sie sich auch auf andere europäische Staaten übertragen? Auf die Schweiz beispielsweise?

Die Intensität ist in der Schweiz eine andere. Die Phänomene, die ich beschreibe, findet man aber auch in der Schweiz.

Ihr Buch hat auch Kritik hervorgerufen. In einer heisst es, sie würden junge Muslime unter einen Generalverdacht stellen und für eine «Jetzt erst Recht»-Haltung sorgen. Was sagen Sie dazu?

Ich bin offen für Kritik jeder Art. Wir brauchen diesen Diskurs, auch innerislamisch. Einer der wichtigsten Aspekte in der Präventionsarbeit ist es, nicht immer nur zu fordern, der Westen und die Mehrheitsgesellschaft müssten sich ändern. Wir Muslime müssen über Inhalte diskutieren, die später von den Islamisten aufgegriffen und überspitzt werden, um Jugendliche anzuwerben. Wir müssen über buchstabentreuen Glauben, Sexualität und Geschlechterrollen reden. Und wir müssen endlich eine kritische historische Betrachtung des Korans anstossen. Das können wir nur innerislamisch führen. Klar wird das zu Kritik führen, aber diese ist willkommen und sehr notwendig.

Das Interview führte Andrea Krüger.

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