Xhavit Haliti: Die «Swiss Connection»
Er gehört zu den Mächtigen in Kosovo – und steht in der Kritik: Korrupt, mutmasslicher Kriegsverbrecher und verbandelt mit der organisierten Kriminalität. Xhavit Haliti, der Vizepräsident des kosovarischen Parlaments und graue Eminenz hinter Präsident Thaci.
So sehen es westliche Geheimdienste oder der Bericht des Schweizer alt Ständerats Dick Marty. Die Kosovo-Befreiungsarmee UCK habe insbesondere Kosovo-Serben nach Nordalbanien verschleppt, ihnen die Organe aus dem Körper gerissen – und damit Handel getrieben. Kein Zweifel: Nach dem Krieg verschwanden in Kosovo hunderte Menschen spurlos – bis heute.
In der «Rundschau» nimmt Haliti ausführlich zu den Vorwürfen Stellung – und gibt Fehler zu: Er habe Dick Marty zunächst zu wenig ernst genommen. Kosovo hätte ihn unterstützen sollen. So beruhe der Bericht auf Fehlinformationen, gestreut vom serbischen Geheimdienst, der die ehemalige UCK-Führung als Kannibalen darstellen wolle. Serbien führe einen Geheimkrieg gegen Kosovo.
Haliti befürwortet das Spezialgericht in Den Haag, das Kosovo als Folge des Marty-Berichts anerkennen musste. Er stelle sich, falls er angeklagt werde, dem Gericht freiwillig: «Ich bin eine saubere Persönlichkeit.» Xhavit Haliti hat die UCK mit seinen Mitstreitern aus dem Schweizer Exil aufgebaut. Seit dem Kriegsende dominierte diese «Swiss Connection» die Geschicke Kosovos.
Unterdessen unterstützen zunehmend auch Kosovo-Albaner das Spezialgericht: «Verbrecher sind keine Patrioten», sagt Shpetim Hajdaraj. Sein Vater, der Politiker Smajl Hajdaraj, wurde 2002 von unbekannten Killern erschossen. Mutmasslich bezahlte er seine gemässigte Haltung mit dem Leben. Xhaviti Haliti fordert endlich eine Aufklärung des Verbrechens: «Smajl Hajdaraj war ein Freund.»
Die «Swiss Connection»
Armend Ukshini: Das «Visa-Ghetto»
Hier sieht Kosovo fast etwas aus wie ein europäisches Silikon-Valley: In einem frisch hochgezogenen Quartier von Pristina treffen wir Armend Ukshini. Er ist Global Project Manager einer weltweit tätigen IT-Outsourcing-Firma: Grosse Anbieter lagern bei seiner Firma Teile ihrer Dienstleistungen aus.
Kosovo bietet sich an: Ein europäisches Billiglohnland mit gut ausgebildeten, jungen Leuten. Ukshini geht erst nach dem Mittagessen ins Geschäft. Die Arbeitszeiten entsprechen dem Tagesablauf der amerikanischen Ostküste. Dort sitzen die meisten Kunden.
Ukshini und seine Kollegen sind den ganzen Tag mit der ganzen Welt verbunden. Aber einfach so reisen können sie nicht. Wegen der hohen Visa-Schranken für Kosovo. Deshalb will Armend Ukshini hier auch nicht den Namen seiner Firma lesen. Die Visa-Frage sei zu politisch.
Kosovo ist als bald letztes Land Europas ohne freien Zugang zum Schengen-Raum. Vordergründig weil es die Politik nicht geschafft hat, ein Grenzabkommen mit dem Nachbarland Montenegro zu schliessen. Offenbar erfüllt Kosovo aber auch andere Kriterien nicht. Unter anderem fehlt das Vertrauen der Schengen-Staaten ins kosovarische Rechtssystem.
Das Leben im «Visa-Ghetto Kosovo» schlage aufs Gemüt, sagt Ukshini. Für jede Reise muss er neu vor einer europäischen Botschaft anstehen. Erst kürzlich habe er nur für einen eng begrenzten Rahmen ein Visum erhalten. Bei ihm bestehe keine Gefahr, dass er nach einer Reise nicht mehr zurückkehre. Zu gut läuft dafür die IT-Firma im neuen Teil von Pristina.
Luljeta Aliu: Die geopolitische Schnittstelle
Luljeta Aliu hätte die erste Schweizer Diplomatin albanischer Muttersprache sein können. Doch 2008, im Jahr der Unabhängigkeit, wanderte sie ins Land ihrer Eltern nach Kosovo aus. Aliu hat in Zürich Politologie studiert und arbeitet an einer Dissertation. Daneben mischt sie die politische Szene Pristinas auf und kämpft für ein gerechteres Familienrecht.
Aliu sieht die Unabhängigkeit Kosovos in Gefahr. Serbien habe immer noch zu viel Einfluss auf Kosovo – unter anderem über den serbischen Gemeindeverband. In einem Normalisierungsabkommen unter Vermittlung der EU haben sich Pristina und Belgrad auf eine Struktur der Kosovo-Serben geeinigt, die direkte Beziehungen mit Serbien unterhalten kann.
Die Regierung in Belgrad anerkennt Kosovo bisher nicht. In der Verfassung ist die ehemalige Provinz nach wie vor integraler Bestandteil Serbiens. Erst nach monatelangen Nato-Bombardierungen und unermesslichen Leiden der Zivilbevölkerung räumten die serbischen Sicherheitskräfte im Juni 1999 Kosovo.
Will Serbien in die EU, muss die Regierung die Kosovo-Kröte schlucken und die Unabhängigkeit unterstützen. Der serbische Präsident Aleksandar Vucic betreibt ein Doppelspiel zwischen Westen und Osten. Gefährlich, sagt Politologin Luljeta Aliu in Pristina: Russland versuche über Serbien den Einfluss auf dem Balkan zu erhalten – oder gar wieder auszubauen.
Doch Kosovo brauche eine neue Generation an der Macht, damit das Land weiterkomme. Sie versuche jeden Tag zu beweisen, dass der Einzelne etwas bewegen kann. Auch in Kosovo. Deshalb habe sich ihre Auswanderung trotz aller Widerstände gelohnt.