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Chaos in Mazedonien Zoran Zaev: «Diese Banditen wollten uns töten»

Für den mazedonischen Oppositionsführer und Sozialdemokraten Zoran Zaev ist klar: Die politischen Gegner haben den Sturm auf das Parlament in Skopje vor drei Tagen befohlen. Anhänger des ehemaligen Premiers Gruevski wollen die Bildung einer Regierung unter Zaev mit allen Mitteln verhindern.

SRF News: Wie haben sie die Ereignisse letzten Donnerstag erlebt?

Zoran Zaev: Nach einer fünfwöchigen Blockade hat das Parlament einen neuen Parlamentspräsidenten gewählt. Der Entscheid fiel mit 67 von 120 Stimmen. Die Minderheit war unzufrieden und gab der Polizei den Befehl, die Türen des Parlaments zu öffnen. So konnten die protestierenden Gruevski-Anhänger das Parlament stürmen. Sie sollten die Spitzenpolitiker der neuen Mehrheit töten – auch mich selbst.

Das heisst: Sie können von Glück reden, dass sie «nur» verletzt worden sind?

Ja. Wir hatten uns nach dem Ende der Parlamentssitzung in den Pressekonferenzraum begeben und wollten gerade ein Statement vor 32 verschiedenen Medien abgeben. In diesem Moment öffnete die Polizei den protestierenden Gruevski-Sympathisanten die Türen zum Parlamentsgebäude. Rund hundert Personen, die meisten Mitglieder krimineller Gruppen, gelangten direkt in den Raum, wo wir unsere Pressekonferenz abhalten wollten. Diese Banditen kamen rein, um uns zu töten. Mit allem, was sie in die Hände bekamen, schlugen sie auf uns ein. Ein Kollege liegt noch im Spital, ist aber zum Glück ausser Lebensgefahr.

Krise seit 2015

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Bei den Wahlen im Dezember 2016 hat Nikola Gruevski mit seiner konservativen VMRO-Partei die Mehrheit im Parlament verloren. Nach einem Abhör-Skandal wurde er abgestrafft. Nach Protesten aller Volksgruppen musste Gruevski Neuwahlen zulassen. Nun könnten die Sozialdemokraten unter Zoran Zaev mit albanischen Parteien eine neue Regierung bilden.

Sie sagen also, dass auch die Polizei involviert war?

Ja, natürlich. Die Polizisten und auch VMRO-Parlamentarier haben die Metallstäbe entfernt, mit denen die Türen des Parlaments von innen gesichert werden. So erhielten die Protestierenden die Möglichkeit, ins Parlament einzudringen. Die Polizisten und die VMRO-Leute zeigten ihnen den Weg, damit sie möglichst schnell zu uns gelangen konnten. Nach zwei Stunden eilten uns professionell arbeitende Polizisten zu Hilfe. Sie brachten uns in einen sicheren Raum und konnten uns schliesslich evakuieren. Doch bis zu diesem Zeitpunkt hatten auch diese Polizisten den Befehl, nicht einzugreifen.

Wenn sie an die Macht kommen, müssen sie also zuerst die Polizei reorganisieren?

Die grosse Mehrheit der Polizisten will professionell arbeiten. Aber sie müssen Befehle befolgen. Wenn der Chef des Sicherheitsdiensts den Befehl gibt, gar nichts zu tun, müssen die Polizisten diesen Befehl befolgen. Es gab Polizisten, die weinen mussten, weil sie ihre Arbeit nicht tun konnten. Aber ich weiss, dass wir sehr schnell die Professionalität aller Institutionen wiederherstellen können – auch im Innenministerium.

Weshalb unternehmen die Gruevski-Anhänger solche Aktionen?

Gruevski hat Angst vor einer unabhängigen Justiz in Mazedonien, weil er sich und seine Getreuen dann nicht mehr vor einer Strafverfolgung schützen kann. Die Beweise für seine kriminellen Machenschaften sind erdrückend, seit die belastenden Telefonabhörprotokolle an die Öffentlichkeit gelangt sind. Bei einem Machtwechsel verliert Gruevski Kontrolle über das Justizsystem.

Wie halten Sie Ihre Koalition zusammen? Bisher ist es nicht gelungen, einen Keil zwischen die Ethnien zu treiben.

Wir sind die erste Partei in Mazedonien, die dem Grundsatz folgt: Eine Gesellschaft für alle. Wir sind ein multi-ethnisches Land – wie die Schweiz. Wir glauben, dass nur die Einheit unserem Land eine gute Zukunft bringt. Wir müssen die ethnischen, religiösen, kulturellen und sozialen Gegensätze überwinden. Mit dieser Kampagne ist es uns gelungen, dass 25 Prozent der Albaner direkt meine Partei gewählt haben. Als multi-ethnische Partei sind uns die Verhandlungen mit den albanischen Parteien für eine Koalition leichter gefallen. Wir glauben an eine gemeinsame Zukunft. Die Aktionen des politischen Gegners verstärkt die Einheit unter den Volksgruppen sogar. Beim Angriff letzten Donnerstag schützten wir uns gegenseitig.

War dies nun eine einmalige Eruption – oder ist mit noch mehr Gewalt zu rechnen?

Seit Ausbruch der Krise haben wir versucht, Gewalt und Provokationen zu vermeiden. Wir sind ein kleines Land mit 1,6 Millionen Bürgern. Wir sind alles Cousins. So werden wir weiterhin geduldig und vorsichtig sein, damit niemandem etwas passiert. Es gibt zwei Möglichkeiten: Ein rascher, demokratischer Machtwechsel oder die finanzielle Totalblockade des Landes, weil die amtierende, technische Regierung die Pensionen oder die Subventionen in der Landwirtschaft nicht mehr bezahlen kann. Daran kann niemand ein Interesse haben.

Hoffen Sie auf ein verstärktes Engagement der Europäischen Union? Bisher, so zumindest mein Eindruck, hielt sich Brüssel zurück.

Die EU kümmert sich mehr um die Stabilität im Land als um die Demokratie. Mazedonien spielt eine wichtige Rolle, die Balkanroute für Flüchtlinge geschlossen zu halten. Wir sind aber noch immer EU-Beitrittskandidat und haben deshalb die EU eingeladen, sich zu involvieren und uns zu helfen. Sie kann die Reisefreiheit gewisser Personen einschränken oder die Verbindungen zu ausländischen Bankkonten kappen. Die EU tat dies im Fall der Ukraine – aber bisher nicht in Mazedonien. Gemäss ihren Prinzipien müsste die EU den Machtwechsel in unserer parlamentarischen Demokratie unterstützen.

Das Gespräch führte Georg Häsler.

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