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Eine Frau und ein Mann betrachten Fotos von getöteten Demonstranten.
Legende: Auf dem Maidan-Platz wird heute an die Toten der Proteste erinnert. Keystone
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International Zwei Jahre Maidan: Viele Hoffnungen haben sich nicht erfüllt

Der Sturz des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch Ende Februar 2014 hatte grosse Hoffnungen bei der ukrainischen Bevölkerung geweckt. Erfüllt haben sich diese nicht, sagt Russland-Korrespondent David Nauer. Doch es gibt auch Grund zu Optimismus.

Vor genau zwei Jahren trugen die wochenlangen Massenproteste auf dem Maidan-Platz in Kiew Früchte: Der russlandfreundliche Präsident Viktor Janukowitsch musste abtreten und das Land verlassen. Von der neuen europafreundlichen Regierung erhofften sich die Menschen in der Ukraine die Bekämpfung der Korruption und ein Ende des Oligarchentums. Russland-Korrespondent David Nauer hat zwei Jahre nach dem Umsturz Kiew besucht.

SRF News: Haben sich die Hoffnungen der Ukrainer erfüllt?

David Nauer: Ganz klar nein. Allerdings muss man sagen, dass die Hoffnungen damals extrem gross waren. Viele Ukrainer dachten, nach dem Maidan-Umsturz werde sich alles ändern. Das Land werde schlagartig eine wohlhabende, wenn nicht zu sagen eine glückliche Demokratie. Die Realität sieht natürlich ganz anders aus.

Was funktioniert denn nicht?

Die Vertreter des alten Regimes und die Oligarchen haben den Politikbetrieb und die Wirtschaft immer noch fest im Griff. Korruption, Vetternwirtschaft und politische Gefälligkeiten haben dieses Land jahrelang geprägt. Das hört nicht einfach auf, wenn die Regierung wechselt. Es kommt dazu, dass viele heutige Spitzenleute wie Präsident Poroschenko und Premierminister Jazenjuk schon vor dem Maidan-Umsturz zur Elite gehörten. Sie sind also keine neuen Gesichter und haben das erwartete Wunder nicht vollbracht.

Die politische Situation ist regelrecht festgefahren. Präsident Poroschenko und Regierungschef Jazenjuk liegen sich in den Haaren. Jazenjuk musste sich in einer Vertrauensabstimmung dem Parlament stellen. Trauen die Ukrainer dieser pro-europäischen Elite überhaupt noch?

Wenig bis gar nicht muss man sagen. Umfragen zeigen, dass vor allem Premier Jazenjuk sehr unbeliebt ist. Das fehlende Vertrauen der Gesellschaft in die Politik ist denn auch eines der grössten Probleme der Ukraine. Denn wie soll sich ein Land entwickeln und wie sollen Reformen durchgeführt werden, wenn der politische Betrieb quasi gelähmt ist. Tatsächlich ist es so, dass viele Reformen gar nicht erst angepackt werden oder sie werden versprochen und dann so verwässert, dass am Ende wenig davon übrig bleibt.

Es ist ein bisschen so, als würde eine alte gegen eine neue Ukraine kämpfen.

Das heisst, die Revolution hat eigentlich gar nichts gebracht. Hat sich denn etwas geändert oder ist das Land wieder dort, wo es vor den Maidan-Protesten war?

Das Land hat sich schon verändert. Das Wichtigste am Maidan war, dass die Menschen begriffen haben, «wenn wir uns einsetzen und anstrengen, dann können wir etwas verändern». Es gibt bis heute unzählige Freiwilligenorganisationen; ich habe Leute getroffen, die auf den Strassen von Kiew Geld für ein Militärspital sammeln. Andere engagieren sich für ein unabhängiges Bürgerfernsehen, wieder andere haben den Marsch durch die Institutionen angetreten. Es ist so, dass in den Ministerien und im Parlament durchaus junge, frische Leute sitzen, die das Land wirklich vorwärts bringen wollen. Sie können sich zwar noch nicht gegen die alte Garde durchsetzen. Aber sie sagen trotzdem, dass sie nicht aufgeben und weitermachen werden. Es ist ein bisschen so, als würde eine alte gegen eine neue Ukraine kämpfen. Das Land ist im Moment in einer Art Übergangsphase.

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«Man spürt, dass es dem Land nicht gut geht»
aus SRF 4 News aktuell vom 25.02.2016.
abspielen. Laufzeit 6 Minuten 12 Sekunden.

Allerdings steht das Land auch vor riesigen wirtschaftlichen Problemen. Die Wirtschaft ist seit den Maidan-Protesten richtiggehend eingebrochen. Spürt man davon etwas?

In Kiew sieht man die Krise nicht auf den ersten Blick. Es gibt immer noch Leute mit viel Geld und sehr viele teure Autos auf den Strassen. Aber die Ukraine ist ein armes Land geblieben. Sie ist noch viel ärmer geworden. Der durchschnittliche Monatslohn liegt unter 200 Franken. Wer sich in Kiew genau umsieht, spürt diese Armut auch. Restaurants, die früher gut besucht waren, sind jetzt halb leer. Es gibt mehr Obdachlose und hoffnungslos Betrunkene, als ich das von früheren Besuchen in Erinnerung habe. Man spürt schon, dass es dem Land nicht gut geht und es ganz grosse soziale Probleme gibt.

Es ist ein Nationalbewusstsein entstanden, das es früher in der Ukraine so nicht gegeben hat.

Sie werden nun in den Osten der Ukraine reisen. Dort herrscht zwischen ukrainischen Truppen und Separatisten eine brüchige Waffenruhe. Was bedeutet denn nun die politische Blockade für diesen Konflikt?

Der Krieg im Osten hat eine verheerende Folgen für die Ukraine. Er verschlingt nicht nur Menschenleben – es sterben da nach wie vor ukrainische Soldaten und zum Teil auch Zivilisten. Auch wenn es weniger sind als früher. Der Krieg verschlingt auch riesige Ressourcen, die das Land eigentlich gar nicht hat. Und er ist für die politische Elite eine wunderbare Ausrede, um mit den Reformen nicht ernst zu machen. Der Krieg hat aber auch einen anderen Effekt: Ich habe mit vielen Leuten hier in Kiew gesprochen und die meisten sehen es so, dass ihr Land von Russland angegriffen wird. Dass also die Separatisten nur Marionetten Russlands sind. Die Menschen in Kiew sagen sich also, dass sie als Ukrainer zusammenstehen müssen gegen einen gemeinsamen mächtigen Feind. Man kann sagen, dass ein Nationalbewusstsein entstanden ist, das es früher in der Ukraine so nicht gegeben hat.

Das Gespräch führte Romana Costa.

Alexander Hug, stellvertretender Leiter der OSZE-Mission zur Lage in der Ostukraine:

«Anfang Jahr haben die Kämpfe etwa 15 bis 20 Minuten gedauert. Jetzt sehen wir wieder Kämpfe, die bis zu drei Stunden dauern. Um ausgebrochene Kämpfe zu kontrollieren, braucht die andere Seite relativ lange, bis sie das Feuer kontrollieren kann. Das ist ein schlechtes Zeichen: denn Kontrolle ist ein wichtiges Mittel, um den Waffenstillstand voll und ganz durchzusetzen. Es ist sehr schwer zu sagen, welche Seite die Gefechte anfängt. Wir beginnen jetzt damit, verschiedene Kameras entlang der Kontaktlinie zu installieren. Im Süden haben wir bereits ein System, welches uns ganz klar zeigen kann, von welcher Seite her gekämpft wird. Aufgrund der Analyse, die wir nach oder während den Kämpfen vornehmen, müssen wir sagen, dass sich die Gefechte meistens in der Balance halten. Es wird also nicht nur von einer Seite geschossen.»

David Nauer

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David Nauer

David Nauer ist Korrespondent von Radio SRF in Russland. Von 2006 bis 2009 hatte Nauer für den «Tages-Anzeiger» aus Moskau berichtet, anschliessend aus Berlin.

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