Seit rund 400 Jahren feiert Lenzburg – wie andere Gemeinden im ehemaligen Berner Aargau auch – ein Jugendfest. Die Tradition ist laut Website der Stadt aus dem 16. Jahrhundert überliefert. Höhepunkt am Festtag: Ein Umzug mit den weiss gekleideten und mit Blumen geschmückten Kindern durch die Altstadt.
«Die Kinder freuen sich auf dieses Fest», hört man im Publikum. «Es ist schön, dass die Kinder im Mittelpunkt stehen», sagt eine andere Besucherin. Eine Umfrage am Fest zeigt: Die Einheimischen lieben «ihr» Jugendfest. Aber das ist nur die halbe Wahrheit.
Lenzburg ist in den letzten Jahren stark gewachsen. Zwischen 2014 und 2018 sind über 1500 Menschen zusätzlich in die boomende Stadt gezogen. Und diese «Zugezogenen» sehen die Tradition durchaus auch mit kritischem Blick.
Eine Mutter findet zum Beispiel: «Es nervt, dass die Kleidervorschriften für die Kinder so strikt sind und auch die Vorgaben für den Blumenschmuck. Zudem ist das auch eine Kostenfrage. Und alle drei Jahre ein Jugendfest würde mir reichen.»
Eine andere Mutter ergänzt: «Der Jugendfesttag ist purer Stress. Schon die Erstklässler sind von 7 Uhr am Morgen bis um 23 Uhr am Abend beschäftigt. Ich fände es besser, wenn der Lampionumzug am Abend erst für Kinder ab der 3. oder 4. Klasse wäre.»
Allerdings: Die Tradition, die strikten Regeln und Abläufe finden auch Anklang. «Man weiss jedes Jahr, was läuft. Auch die Kinder wissen genau, wie es abläuft. Und sie freuen sich darauf», sagt eine der Mütter. «Es ist wahrscheinlich ein Problem der Neu-Zuzüger», gibt ein kritischer Vater lachend zu. Und ein Einheimischer ergänzt: «Sicher ist es einfacher, wenn man damit aufgewachsen ist. Aber man gewöhnt sich daran.»
Eine aussergewöhnliche Tradition ist der «Fränkli-Maa». Alle Kinder warten in Reih und Glied, bis ihr Name aufgerufen wird. Dann holen sie – mit einer untertänigen Verbeugung – bei diesem Mann einen Einfränkler ab.
Diese Tradition geht laut Website der Stadt auf eine Jugendfest-Prämie zurück. Diese haben früher nur die besten Schüler erhalten. Seit 1852 erhalten alle Schülerinnen und Schüler einen Einfränkler.
Das Jugendfest in Lenzburg findet relativ spät statt, in Aarau und Zofingen zum Beispiel sind die Jugendfeste bereits vorbei. Dies führt dazu, dass man in der Region Lenzburg eine Woche weniger Sommerferien hat. «Kein Problem», meinen die meisten. Im Herbst gibt es dafür eine Woche mehr.
Aber: Die Jugendfestwoche sei mit Terminen vollgepackt, kritisieren einige Mütter. Kindertanz, Kränzli basteln und ein Spezialstundenplan führen dazu, dass sich gerade Familien mit mehreren Kindern sehr gut organisieren müssen. «Als berufstätige Mutter muss man eine Woche Ferien nehmen», meint einer Mutter.
Die befragten Mütter hätten also durchaus Vorschläge, was man an der Tradition des Lenzburger Jugendfests verändern könnte. Sie zweifeln allerdings, dass dies je passieren wird. Und auch ein Einheimischer betont die Beständigkeit des Programms. «Meine Frau hat mir gerade gesagt, ein Programmpunkt sei im letzten Jahr anders gewesen», erzählt er. «Ich habe ihr gesagt, dass das überhaupt nicht sein könne», meint er lachend.
Den hunderten von Besucherinnen und Besuchern gefällt die überlieferte Tradition offensichtlich. Und auch Petrus scheint das Jugendfest Lenzburg zu mögen: Der Regen setzte erst nach dem offiziellen Vormittagsprogramm ein, der Umzug fand noch im Trockenen statt.