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Kantonsspital Aarau «Der Aargau ist momentan fast eine Insel der Glückseligkeit»

Es ist ruhig rund um das Kantonsspital Aarau (KSA). Besucher sind nicht erlaubt. Die Zivilschützer an den Eingängen lassen nur Personen in offiziellem Auftrag passieren, oder Patienten, die in eine Behandlung müssen. Ruhig ist es aber auch im Gebäude selber. Die Hälfte der Betten ist leer, man hält sie für Corona-Patienten frei. Auf der Intensivstation sind zwei Drittel der Betten leer. Am Freitagabend sind 44 Corona-Patientinnen und -Patienten im KSA. Kommt die grosse Welle noch?

Robert Rhiner

CEO Kantonsspital Aarau

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Robert Rhiner (1959) studierte Medizin. Er arbeitete als Chirurg in Zofingen, Olten und Aarau. Er war Leiter der Stabsabteilung des Kantonsspitals Baden (1999 bis 2004) und wurde dann CEO des Spitals Zofingen (2005 bis 2010). Von dort wechselte er in die Verwaltung des Kantons Aargau und leitete die Gesundheitsversorgung. Seit 2014 führt er das Kantonsspital Aarau.

Rhiner war von 1997 bis 2005 für die FDP im Einwohnerrat der Stadt Zofingen; von 2007 bis 2010 vertrat er die FDP im Aargauer Kantonsparlament.

SRF: Robert Rhiner, alle hier im Spital tragen Masken. Haben Sie genug Masken?

Wir haben genug, ja. Wir konnten noch vom Bund, von der Armee beziehen, erhielten aber auch Lieferungen von unseren normalen Lieferanten.

Sie haben in den letzten Wochen ihr Spital total auf den Kopf gestellt. Es gibt eine spezielle Corona-Abteilung und Sie haben Betten leergeräumt. Lief das alles gut?

Das hat erstaunlich gut geklappt. Wenn man von «räumen» spricht, dann ist es nicht so, dass wir Patienten heimgeschickt haben. Wir haben einfach keine neuen, die Wahleingriffe gehabt hätten, aufgenommen. So entstanden die leeren Betten. Und man beobachtet auch, dass sich die Leute scheuen, ins Spital zu gehen. Die Eintritte auf dem Notfall sind viel tiefer.

Sie haben momentan 250 freie Betten, Sie haben 12 Covid-Patientinnen auf der Intensivstation, 32 sonst auf der Station. Sind das vorwiegend alte Leute aus Pflegheimen? Oder sind es Menschen, die mit Symptomen ins Spital kommen, sich testen lassen und dann gleich bleiben?

Das ist die grössere Zahl als jene, die aus Heimen ins Spital überwiesen werden. Wir haben aber vor allem Patienten, die zuerst zu Hause waren mit Symptomen und deren Zustand sich dann verschlechtert hat. Wir beobachten, dass die Menschen nach 10 Tagen mit Symptomen dann plötzlich eine Krise haben können.

Es kann zu Todesfällen kommen. Aber die meisten Leute gehen ja wieder heim und sind gesund?

Auf jeden Fall. Es sind noch nicht so viele Genesene, weil wir noch am Anfang stehen. Aber die ersten, die ins Spital kamen, gehen jetzt wieder nach Hause.

Wie viele Patienten wieder genesen findet man nicht heraus. Ich habe diese Zahl heute gesucht, aber man bekommt keine Daten. Im Aargau hat man bis jetzt ca. 600 bestätigte Corona-Fälle, also Menschen, die erkrankt sind. Diese Zahl steigt jeden Tag und macht den Leuten Angst. Aber es gibt nur eine Meldepflicht für Erkrankungen, nicht für Genesungen. Wäre es nicht gut zu wissen, wie viele Leute wieder gesund sind?

Das wäre sicher sinnvoll. Es gibt ja auch viele Infizierte mit leichten Symptomen, die nicht getestet sind. Und bei jenen, die wieder gesund sind, da müsste man jedem Fall nachgehen. Das kann das Spital nicht leisten. Wenn sie wieder in Behandlung bei ihren Hausärzten sind, verlieren wir sie aus den Augen.

Viele Leute verstehen nicht, warum es in den Spitälern leere Betten gibt. Ihr Spital, das KSA, ist nicht überlastet, sondern unterlastet. Und dies in einer Zeit, wo man meinte, das Gesundheitswesen sei am Anschlag. Kommt denn nun noch die grosse Corona-Welle oder kommt sie nicht?

Der Aargau ist momentan fast eine Insel der Glückseligkeit. In anderen Kantonen sind die Zahlen höher. Wir sehen aber im Aargau, dass jeden Tag neue Infizierte dazukommen. Die Kurve steigt nicht exponentiell, aber kontinuierlich.

Aber kommt die grosse Welle noch?

Sie wird kommen. Wir haben jetzt die warme Zeit. Über Ostern treffen sich wohl auch die Familien. Die Erkrankungen kommen.

Wobei: Der Lockdown ist nun über zwei Wochen her. Und vorher war ja das Risiko für eine Infektion viel höher. Es hiess immer, dass es zwei Wochen dauert, bis man Symptome hat. Das heisst, die Welle müsste gerade jetzt anrollen.

Da haben Sie recht. Sie müsste an diesem Wochenende kommen. Durch den Lockdown ist das alles vermindert worden. Man wollte nicht, dass es plötzlich hunderte von Kranken gibt, die man nicht behandeln kann. Dieses Ziel hat man erreicht. Aber das Virus ist immer noch da. Die Gefahr ist erst gebannt, wenn wir alle die Krankheit gehabt haben und immun sind. Oder wenn es eine Impfung gibt.

Das tönt so, als hätten Sie am liebsten ein Spital voller Corona-Patienten. Jetzt hätten Sie die Kapazitäten, um sie zu behandeln. Viele würden dann geheilt wieder nach Hause gehen und wären immun. Wenn man jetzt wenig Fälle hat und alles wieder hochfährt, könnte man in die Situation kommen, dass die Welle kommt und man keine Kapazität mehr hat.

Der Idealzustand wäre wirklich, wenn die meisten von uns das Virus hätten und immun wären. Aber das ist ein Idealmodell, das sich nicht umsetzen lässt.

Es gibt auch Leute die sagen, dass man durch den Lockdown das Problem nur vor sich herschiebt. Sobald man lockert, kommt es wieder.

Das ist genau das, was ich meine.

Sagen Sie denn, es ist falsch, was momentan gemacht wird?

Nein, es ist nicht falsch. Wir schützen unsere Kapazitäten. Wir machen das Spital so parat, dass wir die Welle bewältigen können.

Aber momentan haben Sie viel zu wenig Patienten. Darunter leiden Sie auch finanziell sehr stark. Gerade heute hat das KSA einen Aufruf gemacht, dass Leute ins Spital kommen sollen. Das ist irgendwie paradox: Auf der einen Seite hat man das Gefühl, das Gesundheitswesen sei mit Corona am Anschlag. Und und gleichzeitig rufen Sie und auch die Hausärzte nach Kundschaft.

Die Leute getrauen sich offenbar nicht mehr ins Spital. Mit unserem Aufruf wollen wir zeigen, dass man trotzdem kommen soll. Es ist nicht so geschickt, eine Darmentzüngung zu Hause zu behandeln oder Schmerzen in der Brust vorbeiziehen zu lassen.

Das Gespräch führte Stefan Ulrich.

Regionaljournal Aargau Solothurn, 17.30 Uhr ; 

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