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Krise am Kantonsgericht «Man kann einen Urteilsspruch nicht einfach intern abändern»

Nur Rechnungs- und Schreibfehler dürften korrigiert werden, sagt die Expertin. Der Gerichtspräsident nimmt Stellung.

Wurde am Bündner Kantonsgericht ein Urteil nachträglich abgeändert? Dieser schwere Vorwurf steht im Raum, seit am Mittwoch die Zeitung «Südostschweiz» einen Streit am Kantonsgericht publik gemacht hat (siehe unten).

Nun nimmt Kantonsgerichtspräsident Norbert Brunner gegenüber dem «Regionaljournal Graubünden» von Radio SRF Stellung. Er weist die Vorwürfe zurück und schreibt: «Selbstverständlich darf ein Richter ein von der Kammer verabschiedetes Urteilsdispositiv nicht nachträglich abändern», das sei hier auch nicht passiert. Mündlich ergänzt Brunner – der Vorsitzender beim betreffenden Fall war: «Das Dispositiv wurde bereinigt im Rahmen der Schlussredaktion», so wie es üblich und erlaubt sei.

Demgegenüber steht die Behauptung des beteiligten Richters, dass wegen des angepassten Urteilsspruchs mehrere 100'000 Franken an eine andere Person gingen, als ursprünglich vom Dreier-Gericht festgelegt.

«Das ist eine Urkunde!»

Anastasia Falkner ist Vizepräsidentin der Schweizerischen Vereinigung der Richterinnen und Richter und Oberrichterin im Kanton Bern. Radio SRF hat sie um eine Einschätzung gebeten. Falkner sagt, ein Dispositiv könne nachträglich nur bei Rechnungs- und Schreibfehlern geändert werden, «zum Beispiel, wenn man die Gutachterkosten vergessen hat». Solche Fehler könne man problemlos mit einer Urteilsberichtigung korrigieren, die den Parteien mitgeteilt werde.

Falkner sagt weiter, in allen anderen Fällen könne man «einen Urteilsspruch nicht einfach intern abändern». Am Obergericht Bern würden nach einer mündlichen Beratung Vorsitzender und Gerichtsschreiber den Entscheid ausdrucken und unterschreiben samt Datum: «Das ist eine Urkunde!», sagt die Oberrichterin, und damit ein Dokument, das gelte.

Offene Fragen beim Erben, der leer ausging

Beim strittigen Bündner Fall hatte auch die Partei, die unterlegen ist, offene Fragen. Das zeigt ein Urteil von Ende Mai 2019, das dem «Regionaljournal Graubünden» von Radio SRF vorliegt (ZK1 19 6). Einer der Erben hatte gefordert, dass das Urteil revidiert wird, weil in diesem plötzlich ein Abtretungsvertrag erwähnt worden sei, der während des Verfahrens nie eine Rolle gespielt habe.

Das Kantonsgericht lehnte damals die geforderte Revision ab. Im Urteil heisst es, die Abtretungserklärung habe mit der Erbteilung nichts zu tun. Man habe diese Erklärung im Urteil nur erwähnt, damit sie nicht vergessen gehe.

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