Die schnellste Marathonläuferin der Schweiz erzählt, was die Coronakrise für Auswirkungen auf sie als Sportlerin hat, wie sie die Gleichstellung von Frauen im Sport sieht und was für Reaktionen sie auf ihre Erzählungen im neuen Buch «Vorbild und Vorurteil» über lesbische Spitzensportlerinnen in der Schweiz bekam.
SRF News: Was für Auswirkungen hat die Coronakrise auf Sie als Läuferin?
Maja Neuenschwander: Ich bin in der privilegierten Lage, dass ich draussen jederzeit hätte trainieren können. Psychologisch fehlt allerdings die Perspektive auf Wettkämpfe. Da kommt im Training die Frage auf, ‹Warum soll ich mich quälen, an meine Grenzen gehen?›.
Sportlerinnen und Sportler leben zudem bei Wettkämpfen von den Emotionen, die das Publikum am Strassenrand einbringen. Das pusht einen und führt dazu, dass man eine Extraportion Energie aus sich herausholen kann.
Zudem ist Marathonlaufen neben Ihrer 60-Prozent-Anstellung bei Swiss Olympic für Sie ja auch ein Beruf?
Ja, ein grosser Teil meines Einkommens als Läuferin kommt bei Events herein, das ist nun weggebrochen, wie es auch bei vielen Anderen passiert ist.
Vor einem Jahr war der Frauenstreik; wie steht es um die Gleichstellung der Frauen im Sport?
Die Athletinnen sind gut aufgestellt, der sportliche Erfolg war in den letzten Jahren in der Schweiz weiblich. Aber Spitzensportlerinnen bewegen sich in einem männlich dominierten Umfeld.
Im Spitzensport gibt es in Sachen Gleichstellung von Frauen noch grossen Handlungsbedarf.
Verbandsfunktionäre, Trainerstäbe und auch der medizinische Bereich, das ist alles sehr männlich geprägt. Da gibt es einen grossen Handlungsbedarf.
Bei welchem Kilometer stehen wir, wenn der Weg zur Gleichstellung der Frauen im Sport ein Marathon ist?
Da sind wir noch nicht so weit. Ich würde sagen, knapp bei Kilometer 10, wenn überhaupt.
Sie erzählen im Buch «Vorbild und Vorurteil» über lesbische Spitzensportlerinnen davon, wie sich Ihre Partnerin Kinder wünschte, Sie aber noch nicht – wegen dem Sport nicht?
Ich konnte es mir damals noch nicht vorstellen, Kinder zu haben, bin nun aber froh, dass ich meine Meinung ändern durfte.
Spitzensportlerinnen müssen sehr auf sich fokussiert sein, wenn sie ihre Ziele erreichen wollen. Es sind egoistische Personen, da schliesse ich mich ein. Ich fürchtete mich davor, Kompromisse eingehen zu müssen, was als Sportlerin nicht geht.
Jetzt durfte ich aber feststellen, dass es auch beflügeln kann. Es ist manchmal gut, wenn man herausgefordert wird und dann seine Meinung ändern kann.
Ihren zweiten Sohn bekam Ihre Partnerin fünf Tage, nachdem Sie 2015 den Marathon in Wien gewannen. Und Sie hatten sich überlegt, auf das Rennen zu verzichten?
Nun – ich hatte dem Buben, der noch nicht auf der Welt war, gesagt: ‹Ich bin bis Montagabend in Wien. Danach ist gut, vorher nicht.› Wir haben diesen Deal zusammen abgeschlossen und es hat geklappt.
Was für Reaktionen bekamen Sie auf das Buch?
Mein ganzes Umfeld hatte meine Lebenssituation schon vorher gekannt. Reaktionen bekam ich nur positive, das hat mich sehr gefreut.
Gibt es denn noch Vorurteile gegenüber von Menschen, die mit jemandem des gleichen Geschlechts zusammen sind?
Ja, die Frage ist, ob sie immer geäussert werden, ob sie mir gegenüber geäussert werden. Ich finde es wichtig, dass das Thema präsent bleibt. Homophobie ist nicht plötzlich weg, die gibt es immer noch.
Und das Stichwort «Vorbild» – was möchten Sie anderen weitergeben, was ist Ihnen wichtig?
Mir ist wichtig, dass Menschen selbstbestimmt ihren Weg gehen können. Und dass sie auch Verantwortung dafür übernehmen, wofür sie sich entschieden haben.
Es ist wichtig, dass man sein kann, wie man ist. Dass man das tun kann, was man gern tut und worin man gut ist.
Das Gespräch führte Elisa Häni.