- Zwischen 1950 und 1980 hat die psychiatrische Klinik St. Urban (LU) Medikamente an Patienten getestet.
- Ein Bericht bestätigt nun SRF-Recherchen: Die Betroffenen wurden teilweise dazu überredet, auch kam es zu Zwang.
- Rechtsnormen seien aber keine verletzt worden.
Die SRF-Fernsehsendung «Schweiz aktuell» hatte 2017 aufgedeckt, dass an der Psychiatrischen Klinik St. Urban im Kanton Luzern zwischen 1953 und 1963 mindestens fünf noch nicht zugelassene Medikamente getestet worden waren. Demnach waren insbesondere Patienten mit einer Schizophrenie, einer Depression sowie Alkoholkranke betroffen.
Dies zeigten Testberichte, die in den 1960er Jahren in Ärztefachzeitschriften publiziert wurden und Schweiz aktuell vorlagen. Urs Germann, Historiker an der Uni Bern, schloss daraus, dass die Patienten nicht immer darüber aufgeklärt wurden, dass sie an einem Medikamententest teilnehmen. «Die Ärzte in dieser Zeit massen der Einwilligung und Aufklärung der Patienten eine eher geringe Bedeutung bei.»
Gratis-Präparate der Basler Pharmaindustrie
Die Basler Pharmaindustrie hätten ein grosses Interesse daran gehabt, die Wirkstoffe an Patienten auszuprobieren, denn die Kliniken seien ein attraktiver Markt für Medikamente gewesen, sobald diese zugelassen waren.
Wie in anderen Kliniken hätten die Basler Pharma-Unternehmen Hoffmann-La Roche AG (heute Roche AG) und J.R. Geigy AG (heute Novartis AG) die Testmedikamente gratis zur Verfügung gestellt. «Im Gegenzug testeten die Kliniken die Medikamente und lieferten der Pharmaindustrie die Testergebnisse, das war der Deal», erklärt Germann.
Videos aus dem Archiv
Am Donnerstag nun veröffentlichte die Luzerner Regierung einen Bericht zu den Vorwürfen. Die Untersuchung hatte sie in Auftrag gegeben, nachdem die Tests bekannt geworden waren. In einer Mitteilung heisst es: Zu der besagten Zeit habe es weder ein Gesetz noch klinikinterne Richtlinien gegeben zu Arzneimittel-Versuchen.
Laut dem Bericht hat die Klinik St. Urban mit ihrem Vorgehen dem Standard der damaligen Zeit entsprochen. Aus der Analyse von rund 200 Dossiers aus dem relevanten Zeitraum werde aber ersichtlich, dass Patienten teilweise überredet worden seien. Vereinzelt habe man sie gezwungen, ein Medikament einzunehmen oder eine Behandlung zu akzeptieren.
Konsequenzen angedroht
Ausserdem sei den Dossiers nicht zu entnehmen, dass die Patienten durchgehend aufgeklärt worden seien oder die Zustimmung zum Einsatz von Versuchspräparaten eingeholt wurde.
Bei Verweigerungen wurden laut der Untersuchung auch weitergehende Massnahmen angedroht, etwa die Meldung an die Behörden. Leisteten Patienten Widerstand gegen Massnahmen, habe sich das Personal aber auch auf ausführliche Diskussionen eingelassen und die Patienten zu überzeugen versucht.
Todesfälle und Zahlungen?
In einigen Fällen sei die Zustimmung von Familienangehörigen eingeholt worden. Es gebe auch Anzeichen, dass das Personal mit den Betroffenen über die gefassten Massnahmen gesprochen und Wert auf Akzeptanz gelegt habe.
Nebenwirkungen von Arzneimitteln wurden nur bei wenigen Patienten vermerkt. Hinweise auf Todesfälle als Folge der Medikamententests fanden die Studienautoren keine. Auch seien keine Akten vorhanden, die mögliche Beitragszahlungen von Pharma-Firmen belegen würden.
Die Entwicklung von Medikamenten in der Psychiatrie nahm in den 50er Jahren ihren Anfang. Die Arzneimittelversuche hätten dem Zweck gedient, bessere Heilmethoden zu entwickeln. Der Luzerner Gesundheits-Direktor Guido Graf bedauert laut der Mitteilung die vereinzelten Situationen, die aus heutiger Sicht nicht tolerierbar seien. Es gelte aber, die Resultate der Untersuchung im Lichte der damaligen Zeit zu betrachten.