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Mindestabstand verunmöglicht Polizei zwang Demonstranten zum Brechen der Hygieneregeln

Weil sie von der Polizei eingekesselt wurden, konnten Protestierende den Mindestabstand nicht mehr einhalten. Das sorgt für Kritik – und ein politisches Nachspiel.

Ein SRF-Kamerateam drehte am 1. Mai auf dem Zürcher Bellevue-Platz – ohne zu wissen, dass dort wenig später die grösste illegale Kundgebung dieses Tages stattfinden würde. In der Folge dokumentierte es Vorgänge, die nun gehörig Wellen schlagen:

Versammlungsverbot ignoriert – Abstand eingehalten

Um etwa 15.00 Uhr versammeln sich rund 40 Demonstrierende – sie ignorieren das weitgehende Veranstaltungsverbot im Zusammenhang mit den Pandemie-Massnahmen des Bundes. Auch ein drohender Strafregistereintrag aufgrund der staatsanwaltschaftlichen Anordnung, Verstösse gegen die Verordnung polizeilich zu verfolgen, beeindruckt sie nicht.

Was aber auffällt: Diszipliniert hält die illegale Demonstration den Mindestabstand zwischen den Teilnehmenden ein, viele tragen Schutzmasken. Die BAG-Hygienerichtlinien werden eingehalten.

Einkesselung und Pfefferspray

Die Zürcher Stadtpolizei reagiert prompt, als sie wenige Minuten nach Beginn der Demonstration eintrifft: Sie kesselt die Gruppe ein und zieht den Kreis allmählich enger, drängt die Demonstrierenden zusammen. Zum Schluss können die Demonstrierenden den Mindestabstand unmöglich weiter einhalten.

Es kommt zu einem Handgemenge, ein Pfefferspray der Polizei kommt zum Einsatz. Als sich die Lage beruhigt, werden die Personalien aller Demonstrierenden aufgenommen, bevor sich die Situation nach rund zwei Stunden auflöst.

Forderung nach politischer Aufarbeitung

Aus der Politik hagelt es von linker Seite Kritik am Einsatz der Stadtpolizei. AL-Fraktionschef Andreas Kirstein und Luca Maggi, Vize-Präsident der Grünen Stadt Zürich, wollen den Vorfall untersuchen lassen. Sie kündigen an, an der kommenden Sitzung des Gemeinderats mehrere schriftliche Anfragen zuhanden des Stadtrates einzureichen.

Zum einen stösst ihnen sauer auf, dass die Polizei in einer ersten Kommunikation von «über 100 teilnehmenden Personen» gesprochen hat und dass diese Menschenketten gebildet hätten. «Diese Aussagen sind nicht haltbar», meint Kirstein, nachdem er das Videomaterial von SRF gesichtet hat.

Zwar ist er überzeugt, dass trotz Einhaltung der Hygieneregeln klar gegen das Versammlungsverbot verstossen wurde. Die Polizei habe jedoch Fremd- und Selbstschutz komplett vernachlässigt.

Maggi stört sich zudem daran, dass die Demonstrierenden regelrecht dazu gedrängt worden seien, gegen die Richtlinien des BAG zu verstossen. Aus seiner Sicht wäre es verhältnismässiger gewesen, hätte die Polizei die illegale Kundgebung laufen lassen und keine Konfrontation gesucht. Auch der grüne Gemeinderat verlangt von Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart Antworten.

«Einsatz war korrekt, richtig und adäquat»

Diese Kritik weist Stadtpolizei-Sprecher Marco Cortesi zurück. Man habe sich auf die Vorgaben von Bund, Kanton und Oberstaatsanwaltschaft gestützt.

Die Demonstrierenden hätten sich geweigert, sich für Personenkontrollen einzeln aus der Masse zu lösen und die Konfrontation mit der Polizei regelrecht gesucht. Deshalb beurteilt er auch nach Betrachtung des Videomaterials den Einsatz als «korrekt, richtig und adäquat».

Klar ist, dass der Umgang mit politischen Kundgebungen in Zeiten von Corona weiter für Gesprächsstoff sorgen wird. Weit über die Sitzung des Gemeinderats hinaus, wo der Polizeieinsatz vom 1. Mai kritisch beleuchtet wird.

Schweiz Aktuell, 04.05.2020

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