Die Kinder von Mürren sind müde, mittags oder abends, wenn sie nach Hause kommen. Ihr Schulweg: 50 Minuten. Vom Schulhaus in Lauterbrunnen gehen sie 10 Minuten zu Fuss, dann fahren sie Postauto, in Stechelberg steigen sie in die Luftseilbahn, in Gimmelwald steigen sie um auf die zweite Luftseilbahn.
Diesen langen Schulweg haben nun alle Kinder von Mürren seit Sommer 2019. Nur noch 9 Kinder lebten im Bergdorf, die Basisstufe mit Kindergarten, der ersten und der zweiten Klasse wurde geschlossen. Bereits die 4-Jährigen müssen seither nach Lauterbrunnen. Die Grösseren pendelten schon zuvor jeden Tag ins Tal.
Dass die Kinder abends müde sind und «rauig», hat Vater Christoph Gertsch von anderen Eltern gehört. Sein Sohn Matteo ist 16 Monate alt. Ihm soll dieser lange Schulweg erspart bleiben, jedenfalls in den ersten Jahren. Dafür hat Gertsch gekämpft, zusammen mit anderen Eltern aus Mürren.
Die Eltern sprachen beim Gemeinderat in Lauterbrunnen vor (zu dieser Gemeinde gehört Mürren). Ihr Glück: Gemeindepräsident Martin Stäger wuchs selber in Mürren auf und ging in den 1960ern dort in die Schule. «Es war eine schöne Zeit», erinnert er sich. Erst ab der 5. Klasse war die Schule in Lauterbrunnen, was in dem Alter dann auch gepasst habe.
Nun konnte er den Eltern von Mürren eine frohe Nachricht per Brief zustellen: Ihre Schule startet 2022 neu mit einer Basisstufe, also für die Jahrgänge vom Kindergarten bis zur zweiten Klasse. «Es sieht danach aus, dass Mürren in nächster Zeit wieder genug Kinder hat», sagt Martin Stäger. Aber wie lange wird das so sein?
Vorerst bis zum Schuljahr 2025/26 sei die Klasse in Mürren geplant, sagt der Gemeindepräsident. «Weiter hinaus können wir nicht rechnen, weil die Kinder dazu noch gar nicht geboren sind.» Die Schule könnte erneut geschlossen werden, wenn es in ein paar Jahren wieder zu wenig Kinder haben sollte.
Familien auf den Berg holen
Der Kampf um neue Familien bleibt also in Mürren nötig, wenn die Kleinen nicht bereits ab dem Kindergarten nach Lauterbrunnen fahren sollen. Dazu haben sich Engagierte aus Mürren mit Leuten aus dem Ortsteil Gimmelwald zusammengetan. Die Kinder von dort müssen schon länger nach Lauterbrunnen – in Gimmelwald wurde die Schule vor 10 Jahren geschlossen. Nun soll genau dieses Gebäude eine Lösung bieten.
«Wir lassen das Schulhaus umbauen, es gibt drei Familienwohnungen und ein Studio», sagt Emil von Allmen. Er war einst für die SP im Berner Kantonsparlament. Heute präsidiert er eine Genossenschaft, die das leer stehende Schulhaus der Gemeinde abgekauft hat. Er setzt er sich mit anderen aus Gimmelwald dafür ein, dass wieder mehr Familien hierherziehen.
Die Schule in Mürren sei auch für sie wichtig, sagt von Allmen. «Sie ist ein wichtiger Standortfaktor.» Für die Kinder aus Gimmelwald ist der Weg nach Mürren deutlich kürzer als der nach Lauterbrunnen.
In Mürren und Gimmelwald hoffen die Leute nun, dass die Schliessung der Schule letztes Jahr einen Stein ins Rollen brachte. Sie seien motiviert, sagt Belinda Bühler, Mutter von zwei Kindern in Mürren. «Man sieht wieder Familien, die zuzügeln und hört von solchen, die hier bleiben wollen.»
Die Chance sei da, dass der Trend weitergehe. «Wir hoffen darauf», sagt Bühler. «Es ist wichtig für uns und unsere Dörfer, für die nächste Generation.»