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Nach Kritik an Justizbehörden St. Galler SP fordert Aufklärung

Der Kanton St. Gallen unterzieht Gefängnisinsassen einem umstrittenen Screening. Die SP will nun Antworten.

Am Montag machte SRF publik, dass die Deutschschweizer Kantone tausende Straftäter mit einer Software überprüfen, die Fragen aufwirft. Vor allem die Treffsicherheit wird von Kritikern angezweifelt. Zudem gibt es grosse kantonale Unterschiede bei der Anzahl problematischer Fälle, die durch die Software erkannt wurden.

Auf die Recherche von SRF Data reagiert jetzt die Politik: Die St. Galler Kantonsrätin Monika Simmler (SP) lanciert einen Vorstoss mit kritischen Fragen. Denn auch St. Gallen setzt das System seit einigen Jahren ein.

«Intransparent und voreilig eingeführt»

Über 750 Straftäter überprüften die St. Galler Justizbehörden seit 2016. Das Ziel: Die problematischen Fälle erkennen, darunter insbesondere Sexual- und Gewaltstraftäter mit einem Rückfallrisiko. Das System heisst Risikoorientierter Sanktionenvollzug (ROS). Dabei werden die verurteilten Straftäter in einem ersten Schritt durch einen Algorithmus kategorisiert.

So funktioniert der Risikoorientierte Sanktionenvollzug (ROS)

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Unmittelbar nach der Verurteilung wird der Straftäter mit Hilfe einer Software kategorisiert. Als Grundlage dienen die Angaben aus dem Vorstrafenregister sowie die zum aktuellen Delikt. Der Verurteilte wird zu einem A-, B- oder C-Fall kategorisiert. A-Fälle gelten als unbedenklich, B-Fälle könnten betreffend «allgemeiner Delinquenz» rückfällig werden, also zum Beispiel erneute Drogendelikte begehen. C-Fällen gilt das grösste Augenmerk: Sie könnten erneut ein Gewalt- oder Sexualdelikt begehen und bedürfen vertiefter Abklärung. Diese C-Fälle werden in einem zweiten Schritt einer forensisch-psychologischen Risikoabklärung unterzogen. Dies geschieht aktenbasiert, ohne mit dem Straftäter zu sprechen. Aufgrund von diesen Abklärungen werden sogenannte Interventionen empfohlen, die der Strafttäter während seinem Gefängnisaufenthalt absolvieren muss, zum Beispiel eine Aggressionstherapie.

Doch die genaue Funktionsweise der Software, die die Täter in eine bestimmte Kategorie einteilt, war bisher nicht bekannt. Für SP-Kantonsrätin Monika Simmler ist deshalb klar: «Das ist eine Blackbox und sehr heikel, denn hier werden im Bereich des Freiheitsentzugs Entscheide von einem Algorithmus getroffen, dessen Funktionsweise nicht überprüfbar ist.»

Gemäss Strafrechtsprofessor Martin Killias ist die Fehlerquote des Algorithmus zudem sehr hoch. Das lässt Monika Simmler ebenfalls zweifeln. «Der Regierungsrat hat dieses System wohl etwas voreilig eingeführt» kritisiert sie die St. Galler Kantonsregierung. Sie hat deshalb im Kantonsrat einen Vorstoss eingereicht.

«Das System funktioniert»

Der zuständige Regierungsrat Fredy Fässler (SP) verteidigt ROS: «Damit ist es möglich, problematische Fälle im Strafvollzug zu erkennen und mit den Straftätern deliktorientiert zu arbeiten, damit das Rückfallrisiko sinkt».

Für Fässler ist klar: ROS funktioniert, «das zeigte eine Evaluation der Universität Zürich». Dass der Algorithmus bis anhin nicht transparent war, stört ihn nicht. «Ich weiss ja auch nicht, wie der Algorithmus in meinem Smartphone funktioniert.»

Transparenz nur auf Anfrage

Einsicht in den Algorithmus gibt es nur auf Anfrage: Nachdem das Zürcher Amt für Justizvollzug ein erstes mündliches Einsichtsgesuch negativ beantwortete, stellte SRF Data ein schriftliches Gesuch, gestützt auf das Öffentlichkeitsprinzip – mit Erfolg.

Die Dokumente, die SRF hier erstmals öffentlich macht, zeigen, dass das Amt den Algorithmus Ende 2017 in wichtigen Punkten angepasst hat. Neu haben Delikte im Bereich häuslicher Gewalt und jugendanwaltschaftliche Einträge kein Gewicht mehr.

Doch welches sind die Auswirkungen dieser Anpassungen? Und kann mit ROS tatsächlich das Rückfallrisiko gesenkt werden? Wissenschaftliche Untersuchungen werden das erst in ein paar Jahren zeigen können.

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