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Nacktselfie-Affäre vor Gericht «Gerigate»: Sacha Wigdorovits im Hauptpunkt freigesprochen

Der Freispruch: Der Richter des Regionalgerichts Berner Jura-Seeland hat Sacha Wigdorovits am Freitag von der Anklage der versuchten Nötigung bzw. der Anstiftung dazu freigesprochen. Es sei nicht erwiesen, dass er die Chatpartnerin von Geri Müller dazu angestiftet habe, zu den Medien zu gehen. Es sei auch nicht erwiesen, dass Wigdorovits selber Material an die Medien weitergegeben habe. Und da der Angeklagte auch nie die Forderung erhoben habe, Geri Müller solle seine politischen Ämter aufgeben, sei keine Nötigung im Spiel, Sacha Wigdorovits sei in diesem Punkt unschuldig.

Der Schuldspruch: Schuldig ist Sacha Wigdorovits, weil er eine Tondatei speicherte und deren Inhalt einem Journalisten zugänglich machte. Es geht um ein Gespräch im Stadthaus von Baden, das die Frau ohne Wissen von Geri Müller aufzeichnete. Diese Datei übermittelte die Frau an Sacha Wigdorovits. Auf seinem Handy war die Datei somit gespeichert, was illegal ist, denn die Aufnahme entstand unbefugt. Am 14. August 2014 wurde Sacha Wigdorovits von der Zeitung «Schweiz am Sonntag» kontaktiert. Wigdorovits habe dem Journalisten dann den Inhalt der Tondatei zugänglich gemacht. Das sei eine strafbare Handlung, so der Richter und verurteilte Wigdorovits zu einer bedingten Geldstrafe von 40 Tagessätzen à 560 Franken.

Reaktionen von Müller und Wigdorovits

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Sacha Wigdorovits zeigte sich nach dem Urteil sehr erleichtert. Der Tatbestand der Nötigung sei nicht efüllt. Damit sei der zentrale Vorwurf vom Tisch. Man werde das schriftliche Urteil abwarten und dann über einen allfälligen Weiterzug entscheiden.

Geri Müller selber war bei der Urteilseröffnung nicht anwesend. Sein Anwalt sagte, Müller sei mit dem Urteil zufrieden. Das Gericht habe Wigdorovits bestraft, weil er den Inhalt einer unbefugt erstellen Tonaufnahme verwendet habe. Das sei wichtig. Das Urteil sei in Ordnung, man sei froh um den Schlussstrich. Ein Weiterzug sei nicht geplant.

Das sagt die Anklage: Die Staatsanwaltschaft hatte für Sacha Wigdorovits eine bedingte Geldstrafe von knapp 10'000 Franken verlangt. Sie warf ihm vor, er habe die Affäre von Geri Müller mit der Frau zum Anlass genommen, «um diesen zum Rücktritt von seinen politischen Ämtern zu bewegen», so die Anklageschrift. Wigdorovits habe «auf die psychisch instabile» Frau Einfluss genommen und sie dazu gedrängt, ihre Informationen öffentlich auszuschlachten.

Mann mit Kamera rechts im Bild, anderer Mann links im Bild guckt Richtung Kamera.
Legende: Sacha Wigdorovits nach der Urteilsverkündung. SRF

Das sagt die Verteidigung: Sacha Wigdorovits bestritt vor Gericht alle Vorwürfe. Es treffe zwar zu, dass er politische Meinungsverschiedenheiten mit Geri Müller gehabt habe, über diese hätten Müller und er aber offen diskutiert. Die Chat-Partnerin von Geri Müller habe den Kontakt zu ihm gesucht, er sei wider Willen in diese Geschichte verstrickt worden. Zwar habe er später den Kontakt zu verschiedenen Redaktionen hergestellt, aber auf ausdrückliches Verlangen der Frau.

«Gerigate»: Was bisher geschah

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Mann in Anzug vor Velos, Frau mit Kamera im Hintergrund
Legende: Keystone
  • 2014 wurde bekannt, dass der damalige grüne Nationalrat und Stadtammann von Baden, Geri Müller, eine Chat-Beziehung mit einer Frau gehabt hatte. Dabei hatte er auch Nacktselfies verschickt.
  • In der Folge dieser Affäre verzichtete Geri Müller auf eine erneute Kandidatur als Nationalrat und wurde vom Volk als Stadtammann in Baden abgewählt.
  • Das Regionalgericht Berner Jura-Seeland verhandelte diese Woche erstmals öffentlich die Affäre «Gerigate». Es ging unter anderem um ein Gespräch zwischen Geri Müller und seiner Chat-Partnerin, welche dieses ohne Müllers Wissen aufzeichnete.
  • Angeklagt war der Zürcher PR-Berater Sacha Wigdorovits – unter anderem wegen Nötigung. Er soll die Frau unter Druck gesetzt und den Inhalt des Gesprächs der Zeitung «Schweiz am Sonntag» zugespielt haben.
  • Die Chatpartnerin von Geri Müller wurde bereits zu einem früheren Zeitpunkt per Strafbefehl verurteilt, unter anderem wegen versuchter Nötigung.

Die illegal beschafften Dateien habe er zwar von der Frau erhalten, er habe diese aber nicht an die Medien weitergeleitet. Er habe überhaupt kein Interesse daran gehabt, Geri Müller politisch abzuschiessen. Er kenne dessen Positionen in der Palästina-Frage, und Diskussionen mit Geri Müller seien für ihn gute Gelegenheiten, dessen Ansichten ins richtige Licht zu rücken. Ein politischer aktiver Geri Müller sei für ihn wertvoller als ein abgeschossener Geri Müller.

Das sagt Geri Müller: Der Kläger und sein Anwalt zeichneten ein völlig anderes Bild von Sacha Wigdorovits. Diese arbeite schon lange darauf hin, Geri Müller aus der Politik zu drängen. Als sich im April 2014 die Chatpartnerin von Geri Müller an Wigdorovits gewandt habe, sei diese ein gefundenes Fressen gewesen für ihn. Sacha Wigdorovits habe die Frau für seine politischen Ziele eingespannt, sie unter Druck gesetzt, an die Medien zu gehen. Wigdorovits habe systematisch den Kontakt zu den Medien hergestellt und diese auch selbst mit Material beliefert. Mit der Publikation des Artikels in der «Schweiz am Sonntag» sei das Ziel erreicht gewesen. Es habe einen riesigen Wirbel gewesen und Geri Müller sei politisch erledigt gewesen.

Was bleibt? Einschätzung von SRF-Redaktor Stefan Ulrich

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Mann mit Kopfhörern.
Legende: SRF

Ein Stadtpräsident und Nationalrat hat eine Beziehung mit einer Frau. Sie tauschen Textnachrichten, Audiodateien und intime Bilder aus. Als sich die Beziehung nicht so entwickelt, wie es sich die Frau vorstellt, setzt sie Geri Müller unter Druck. Sie sucht den Kontakt zu den Medien und erhält dabei Auskünfte von Sacha Wigdorovits. Zuletzt publiziert die Zeitung «Schweiz am Sonntag» eine schlecht recherchierte Geschichte, die Geri Müller wohl seine Ämter als Nationalrat und Stadtpräsident kosten. Es ist also eine private Geschichte, die aus dem Ruder läuft und den Weg in die Medien findet. Dass dahinter der jüdische Strippenzieher Sacha Wigdorovits stehen soll, der das Ganze zusammen mit Bekannten instrumentalisiert haben soll, lässt sich nach Ansicht des Gerichts in Biel nicht beweisen und ist damit vom Tisch.

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