Er heisst Cla, ist Engadiner, Religionslehrer und die Hauptfigur im neuen Buch der Schriftstellerin Angelika Overath. Die Geschichte: Einen Winter lang will Cla in Istanbul wohnen, um für eine wissenschaftliche Arbeit zu recherchieren.
Dann aber passiert etwas, womit er nicht gerechnet hat. Er lernt einen jungen türkischen Kellner kennen – und verliebt sich in ihn.
Literaturkritikerin Esther Krättli hat sich mit Angelika Overath über ihr neues Buch «Ein Winter in Istanbul» unterhalten. Das ausführliche Gespräch finden Sie im Audio «Ich habe einen Engadiner nach Istanbul geschickt».
SRF News: Einige Ihrer Bücher haben das Engadin zum Thema, wo Sie mit Ihrer Familie seit zwölf Jahren leben. In Ihrem neuen Buch geht es aber nicht um den Engadiner Winter, den Sie auch schon beschrieben haben, sondern um einen Winter in Istanbul. Wie ist es dazu gekommen?
Angelika Overath: Ich habe einfach einen Engadiner nach Istanbul geschickt. Nein, ich hatte ein Stipendium für einige Monate. Sehr schnell dachte ich: Ich will, dass mein nächster Roman in Istanbul spielt. Man soll immer über das schreiben, was man kennt. Istanbul kannte ich noch nicht, aber das Engadiner Leben kannte ich ein bisschen. Da habe ich meinen Cla in diese Stadt am Bosporus geschickt.
Wie ergeht es Cla in Istanbul?
Der erste Satz heisst: Für einen der aus den Bergen kam, war diese Stadt die Hölle. Er ist überfordert. Zu viel Verkehr, zu viele Menschen, zu viele Sprachen. Er versteht nichts. Aber nach und nach sortiert er sich so ein bisschen und findet seine Ecken. Er liebt zum Beispiel das Fähre fahren. Und – er lernt einen Freund kennen.
Also hat er kein Heimweh, so wie die meisten Engadiner, wenn sie weg sind von zu Hause?
Man sagt ja auch, dass die Engadiner Heimweh haben, selbst wenn sie zu Hause sind. Oder vor allem dann, wenn sie weg wollen. Cla zieht mit seinem neuen Freund durch die Stadt und taucht tatsächlich ein und beginnt die Stadt faszinierend zu finden.
Sie haben ein Buch geschrieben, in dem Sie politische, religiöse und gesellschaftliche Themen der Türkei ansprechen. Es ist aber auch ein Buch mit Erotik zwischen zwei Männern. Das ist kein akzeptiertes Thema in einem muslimischen Land - ist das auch eine Provokation?
Homosexualität ist in der Türkei nicht verboten, obwohl es immer wieder Morde an schwulen Männern gibt. Eine Provokation, ich weiss es nicht... Ich glaube, ich habe ein mutiges Buch geschrieben. Wenn man als Frau den Geschlechtsverkehr zwischen zwei Männern beschreibt, dann muss man vorher recherchieren, Interviews führen und sich dann trauen. Aber ich denke im Grunde ist es ein Buch für die Toleranz und eine Liebeserklärung an Istanbul.
Das Gespräch führte Esther Krättli.