Für den Politologen Clau Dermont ist das Urteil des Bundesgerichts ein Meilenstein: «Es ist ein zentraler Entscheid für den Kanton, weil eine der wichtigsten Institutionen Graubündens, der Grosse Rat, auf den Kopf gestellt wird».
Je nachdem wie man das Wahlsystem jetzt anpasst, dürfte es zu ganz anderen Resultaten bei den Wahlen kommen.
Die Folgen des Entscheides lassen sich für Clau Dermont im Moment noch nicht abschätzen. «Je nachdem wie man das Wahlsystem jetzt anpasst, dürfte es zu ganz anderen Resultaten bei den Wahlen kommen», sagt Dermont. Deshalb sei heute schwer abschätzbar, wer von diesem Entscheid profitiere.
Das Urteil sorgte in den Kommentarspalten und auf Social Media für viele Reaktionen. Sie könne die Argumentation des Bundesgerichts nicht nachvollziehen, schrieb eine Wählerin aus dem Prättigau: «Gerade in kleinen Wahlkreisen wie im Prättigau fühle ich mich in meiner Wahlfreiheit arg eingeschränkt. Ich wünschte mir, ich könnte eine Partei und nicht Köpfe – die ich übrigens nicht wirklich kenne – wählen.»
Dermont kritisiert Bundesgerichtsentscheid
Auch Politologe Dermont macht ein Fragezeichen hinter die Argumentation der Lausanner Richter, die davon ausgehen, dass in Wahlkreisen mit weniger als 7000 Bewohnern den Wählern die Kandidaten persönlich bekannt seien.
Das Bundesgericht verkennt, dass ein Wahlkreis mit 7000 Leuten flächenmässig sehr gross sein kann.
Das Bundesgericht verkenne hier, dass ein Wahlkreis mit 7000 Leuten bereits sehr gross sein kann. «Wir reden hier von Talschaften, von mehreren Gemeinden. Je nachdem kennt man nicht alle, die zwei Gemeinden weiter wohnen». Auch habe die Vergangenheit gezeigt, dass es meistens wenig Auswahl an Kandidierenden in Majorzkreisen gebe, will heissen, so Dermont: «Man kennt die Leute, hat aber nicht wirklich die Wahl».
Schwierige Diskussion im Grossen Rat
Bis zu den Wahlen 2022 – so lautet die Vorgabe des Bundesgerichts – muss Graubünden ein neues Wahlsystem haben. Das Problem liege nicht bei der Regierung, die nun einen Vorschlag ausarbeiten muss, erklärt Clau Dermont: «Schwierig wird es, sobald der Grosse Rat darüber diskutiert». Die Politiker seien direkt betroffen: «60 Leute, die dort drin sitzen, wurden vor einem Jahr verfassungswidrig gewählt». Je nach Anpassung des Wahlsystems könnten sie ihren Sitz verlieren.
60 Leute, die dort drin sitzen, wurden vor einem Jahr verfassungswidrig gewählt.
Die Grossräte müssten deshalb über ihren Schatten springen, fordert Dermont: «Sie müssen ein gutes, vernünftiges Wahlsystem ausarbeiten und nicht nur die eigenen Wahlinteressen in den Vordergrund stellen».
Nur Majorz: «Ein gefährlicher Weg»
BDP-Präsident Benno Niggli lancierte gegenüber dem «Regionaljournal Graubünden» von Radio SRF die Idee, die zu grossen Wahlkreise aufzuteilen und somit majorzkonform zu machen. Für Politologe Dermont ein gefährlicher Weg, das zeige das Beispiel Chur.
Es gebe «keine logische oder vernünftige Variante» die Stadt aufzuteilen. Wenn dann wie in Amerika jedes Jahr die Wahlkreise neu gezogen würden, damit bestimmte Parteien profitieren, sei dies problematisch. Komme hinzu: «Wenn ich in einem Quartier wohne, kenne ich die Leute von diesem Quartier oder von anderen Quartieren?»
Mix aus Majorz und Proporz?
Wenig begeistert ist Dermont auch von der Idee, künftig zwei verschiedene Wahlmodi zuzulassen: Majorz in den 32 Kreisen, die laut Bundesgericht unproblematisch sind, in den grösseren Kreisen Proporz. «Wenn ich jetzt in eine andere Gemeinde zügle, dann habe ich plötzlich ein anderes Wahlsystem». Die einfachste und transparenteste Lösung wäre ein einheitliches Wahlsystem für ganz Graubünden.
SP Initiative hängig
Seit 1937 lehnte die Bevölkerung bereits achtmal die Einführung des Proporzsystems für die kantonalen Wahlen ab.
Es gibt, so Dermont, schon lange Befürworter für ein Proporzsystem, darunter teilweise auch die Regierung. Nun habe sich die Situation geändert: «Es ist gut möglich, dass der Proporz nun eine Chance hat.»
Es ist jetzt ein guter Moment, um über die Bücher zu gehen.
«Es ist jetzt ein guter Moment, um über die Bücher zu gehen», erklärt Dermont. Auch weil eine Initiative der SP hängig ist, die den Grossen Rat Graubünden von 120 auf 90 Sitze verkleinern will.
Bundesgerichtsurteil und Initiative könnten nun miteinander diskutiert werden um herauszufinden, «wie muss der Grosse Rat reformiert werden». Damit könne verhindert werden, sagt Politologe Clau Dermont, dass das Bundesgericht wieder komme und sage: «He Bündner, ihr müsst etwas machen».
Sendebezug: SRF1, Regionaljournal Graubünden, 17:30 Uhr